
Ein Mann kommt nach Deutschland. Er war lange weg, der Mann. Sehr lange. Vielleicht zu lange. Und er kommt ganz anders wieder, als er wegging. So lässt Wolfgang Borchert sein Monodrama um den Kriegsheimkehrer Beckmann beginnen. Und seinen kriegsversehrten – neudeutsch traumatisierten – vornamenlosen Protagonisten, „einer von denen“ halt, wie die Figur in der Besetzungsliste lakonisch beschrieben ist, im Traum, auf der Straße oder in den eigenen Erinnerungen auf eine ganze Reihe von namenlosen, typisierten Charaktermasken treffen.
Die alle eines gemeinsam zu haben scheinen: Sie haben sich schon längst wieder in einer Version der Realität arrangiert, die für einen wie Beckmann fremd bleiben muss. Einer, der Fragen hat. Fragen nach Moral und Verantwortung. Nach Identität oder zumindest der Suche danach. Überhaupt, ganz banal, nach Antworten. Die er nicht bekommen wird. Und damit draußen bleibt. Selbst die Elbe, in die er sich stürzen will, hat keinen Platz für ihn und spuckt ihn wieder aus.
Es ist Krieg. Vor unserer Haustür. Das kann doch nicht wahr sein. Wir hauen uns doch alle nur noch digital, dachten wir. Aber das hier ist echt. Also zumindest in den bewegten Bilderschnipseln, die uns im Minutentakt im Netzwerk der Wahl angezeigt werden. Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen den Vorhang auf und alle fragen: Haben wir uns um 360 Grad weiter gedreht oder die Welt? Wir haben doch nicht den Kriegsdienst verweigert, um jetzt nach einem langen Marsch durch die Institutionen darüber zu rätseln, ob Taurus-Raketen eigentlich Offensiv- oder Defensivwaffen sind und was das eigentlich für einen Unterschied macht für denjenigen, der sie abbekommt.
Rein in die Nato, raus aus der Nato. Raus aus der Wehrpflicht, rein in die Wehrpflicht. Rheinmetall, Rhausmetall? Schöne Grüße, aber weil wir leider aus der Vergangenheit gelernt haben, werden deutsche Waffen nur dahin geliefert werden, wo es friedlich ist. Sollen doch die Ukrainer sehen, wo sie bleiben, wenn sie unsere Freiheit am Hindukusch verteidigen sollen. Es ist Krieg.
Mach, dass das weggeht.
Da stellen wir uns mal ganz dumm. Vor ein leeres Blatt Papier. Wo nichts mehr ist, ist alles möglich. Auch richtiges Theater im Falschen. Dummscrolling. Denn mit Wahrheit hat die Kunst doch nichts zu tun. Eine leere Bühne, ohne feste Regeln, ohne verabredete Signale, ohne gemeinsame Rezeptionsgeschichte, ohne gemeinsame Seherlebnisse, ohne „Du weißt doch, was ich meine“. Ein absurder überspitzter übersteigerter Zirkus, der sich seine Regeln erst beim Handeln schafft. Tabula Rasa. Alles neu. Stunde Null. Die Welt mit Staub bedeckt, doch wir wolln seh’n, wo’s hingeht. In einen Reigen bunter Trümmer.
Einer theatralen Therapiestunde gleich, servieren uns expressionistische Fratzen, Karikaturen und Knallchargen Antworten auf Beckmanns existentielle Fragen nach Krieg im Frieden. In einem Zerrspiegel erscheint die Wirklichkeit als Wahnwitz, dem sich niemand entziehen kann. Auch nicht die ganz eigene persönliche Verantwortung für die Einsicht in die Notwendigkeit. Die Notwendigkeit, für die Freiheit, die wir zum überleben brauchen, zu sterben. Was ist wahrhaftig und was ist inszeniert. In einer Inszenierung von Wirklichkeit. Eine albern absurde Ambivalenz, die es auszuhalten gilt.
Stell Dir vor, es ist Krieg. Und jetzt zur Werbung.
STUNDE NULL ~ DRAUßEN VOR DER TÜR
Ein Reigen nach Motiven von Wolfgang Borchert
PREMIERE: 17. OKTOBER 2025, 20:00 Uhr, Landungsbrücken Frankfurt
weitere Termine: 18.10.//19.10.//08.11.//09.11.//14.12.2025, jeweils 20:00 Uhr, Landungsbrücken Frankfurt
REGIE & KONZEPT & TEXTE: Linus Koenig
DRAMATURGIE & OUTSIDE EYE & TEXTE: Felix Bieske
MIT: Jochen Döring als Beckmann UND Ole Bechtold, Lucie Dordoigne, Mara Haußler, Andreas Jahncke, Julian W. Koenig, Nora Kühnlein, Julius Ohlemann, Randi Rettel und Sven Marko Schmidt
RAUM: Anna Hasche
KÖRPERARBEIT: Katharina Wiedenhofer
MUSIK: Thomas Buchenauer
FOTOGRAFIE: Christian Schuller
Eine Koproduktion von Landungsbrücken Frankfurt mit Blasted Productions 2025
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