Bergarbeiter-Oper »Rummelplatz« in Chemnitz uraufgeführt

Rummelplatz ~ Oper Chemnitz ~ Ensemble ~ © Nasser Hashemi

Der 1991 eingestellte Bergbau im sächsischen Erzgebirge hat eine über 800-jährige Geschichte. Mit viel Aufwand und Schweiß wurde dort nach Silber, Zinn und Kobalt gegraben. Nachdem die USA am Ende des 2. Weltkriegs die erste Atomwaffe abgeworfen hatten, geriet Russland in Verzug. Dringend wurde nun Uran für die Herstellung von Atomwaffen benötigt. In den von Russland besetzten Gebieten Ostdeutschlands begannen daher schon 1946 Grabungen nach Erzen mit Urananteilen, nicht nur im Erzgebirge, sondern auch in anderen Gegenden von Sachsen und Thüringen. Der Uranbergbau hatte nicht nur eine militärische, sondern auch eine große ökonomische Bedeutung. Nach außen wurde jedoch nur „Die Gewinnung, das Schürfen und der Absatz bunter Metalle“ als Gegenstand des Unternehmens kommuniziert.

Rummelplatz
Oper Chemnitz
Ingrid (Marlen Bieber), Hermann Fischer (Jaco Venter); hinten: Opernchor
© Nasser Hashemi

Ursprünglich dem Ministerium für Staatssicherheit zugeordnet (Abteilung „W“), hatte die dafür verantwortliche Firma Wismut ab 1954 die Rechtsform einer Sowjetisch Deutschen Aktiengesellschaft, mit Sitz in Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz. Sie war prägend für die Region und hatte eine eigene Verwaltung und Sonderrechte („Staat im Staate“) .Hier zu arbeiten war ein Privileg. Verhältnismäßig gut bezahlt und mit etwas besseren Lebensbedingungen als im Rest der DDR (wie z. T. die Wohnsituation, die Vielfalt an Produkten in den Läden und die Krankenversorgung betreffend). Da damals niemandem getraut wurde, arbeitete man eng mit der Partei und der Staatssicherheit zusammen.
Die negativen Folgen des Uranabbaus, wie Umweltverseuchungen und Gesundheitsgefährdungen (Lungenkrebs, Staublunge etc. ) wurden tabuisiert.

Posthume Ehrung für Werner Bräunig

Der 1934 in Chemnitz geborene Werner Bräunig hat in seinem unvollendeten Roman „Rummelplatz“ anhand einer kleinen Gruppe junger Menschen deren Erlebnisse beim Uranabbau und ihre private Lebenssituation über mehrere Jahre unverblümt offen festgehalten. Detailliert und sprachlich vielfarbig schildert er in dem 768 Seiten umfassenden Roman nicht nur deren persönliche Erlebnisse, sondern auch offen die schweren Arbeitsbedingungen und Gegebenheiten.

Rummelplatz
Oper Chemnitz
v. l. : Christian Kleinschmidt (Etienne Walch), Bergmann (Thomas Kiechle), Bergmann (David Sitka), Bergmann(Johann Kalvelage), Bergmann (Daniel Pastewski)
© Nasser Hashemi

Zu seinen Lebzeiten wurde der Roman nicht veröffentlicht. Er entsprach nicht dem Bild, wie sich die SED-Führung der DDR ab 1965 präsentieren wollte. Der Roman galt ob seiner naturalistischen Schilderungen als schmutzige Schundliteratur voller Obszönitäten. Was für Bräunig eine Art öffentliche Hinrichtung zur Folge hatte, an der er schließlich zugrunde ging. Er starb 42-jährig an den Folgen seiner Alkoholsucht. Erst 2007 wurde der Roman posthum vom Aufbau-Verlag veröffentlicht (dank Bräunigs Söhnen, die das als verschollen geglaubte Manuskript zufällig entdeckten). Inzwischen ist der Roman sogar in China, England, Israel, den Niederlanden und in der Türkei erschienen. Dramatisierungen davon erfolgten bereits 2009 am Berliner Maxim Gorki Theater und 2018 am Chemnitzer Fritz Theater.

Im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres 2025 erteilte die Oper Chemnitz frühzeitig einen Kompositionsauftrag über Bräunigs Roman. Komponist Ludger Vollmer vertonte das von Jenny Erpenbeck erstellte Libretto. Dieses verzichtet auf die in Westdeutschland handelnden Geschehnisse, wie sich zwangsläufig auch auf die wichtigsten Personen konzentriert wird. Dem am Volksaufstand vom 17. Juni 1953 endenden Roman fügten sie einen Epilog bei. Dieser spielt im Jahre 1991, als die Firma Wismut ihre Tätigkeit einstellte (die noch heute bestehende Wismut GmbH ist inzwischen Weltführer für die Sanierung von radioaktiv kontaminierten Standorten).

Knapp 50 Jahre nach Bräunigs Tod erfolgte jetzt mit der Uraufführung der Oper „Rummelplatz“ eine späte Ehrung Werner Bräunigs. Rund um die Uraufführung gab es eine Konferenz über die Themen des Romans, eine polnisch-deutsche Schreibwerkstatt und nach den Aufführungen gibt es unter dem Titel „Gedankenkarussell“ Diskussionen und Nachgespräche.

Graue Landschaft und Enge in den Stollen

Die Oper beginnt wie der Roman im Jahr 1949. Der Obersteiger (erster Aufseher) Hermann Fischer (mit profunder Baritonstimme: Jaco Venter) erwartet eine Schar Neuankömmlinge. Die heterogene Gruppe aus ehemaligen Wehrmachtssoldaten, politisch Gefangenen und Zwangsrekruierten, soll er zu einer leistungsfähigen Brigade formen. Darunter sind der temperamentvolle fanfarenartige Peter Loose (lebhaft: Bariton Thomas Essl) und der feinfühlige Möchtegernstudent Christian Kleinschmidt (mit fest fokussierter, kräftiger Stimme: Countertenor Etienne Walch). Sie treffen auf die in einer Kneipe arbeitende und rücksichtslosen Männern ausgesetzte Ingrid (liebenswürdig: Mezzosopranistin Marleen Bieber) und Fischers Tochter Ruth, die sich in der rauen Männerwelt behauptet und durchsetzt (als heimlicher Star des Abends, auch stimmlich anpackend: Sopranistin Menna Cazel). Hier arbeitet sie nicht in einer Papierfabrik, sondern als Lokfahrerin im Bergbau.

Rummelplatz
Oper Chemnitz
Peter Loose (Thomas Essl; vorne), Verteidiger (Jakob Ewert), Richter (Felix Rohleder), Staatsanwalt (Thomas Kiechle)
© Nasser Hashemi

Bermsthal heißt bei Bräunig der fiktive Handlungsort. Das Reihendorf aus der Zeit des Silberbergbaus ist vom Industrieruß gezeichnet. Dreck und Staub bedeckt alle Häuser. Entsprechend grau ist die Bühne von Volker Thiele. Ein leerer großer Raum mit grauschwarzen Wänden, die die Trostlosigkeit der Gegend wie die eines Bergstollens widerspiegeln. Für die in den engen Bergwerksschächten spielende Handlung fährt die Unterbühne hoch und zeigt vier Stollenausschnitte, in denen die Bergleute einsam ihre Knochenarbeit verrichten. Dunkelheit herrscht über wie unter Erde, durchaus auch als Metapher auf die gegenwärtige Welt.

Als Ort der Entspannung und des Entfliehens des Alltags gilt der titelstiftende Rummelplatz. Hier angedeutet mit Girlanden und Videoprojektionen (Video: Stefan Bischoff) hinter einem Gazevorhang. Farbliche Kontraste stiften die Kostüme von Gabriele Rupprecht. Hier machen die farbenfrohen Blusen, Kleider und Haare der drei grellen Mädchen ihrer Beschreibung alle Ehre. Auffallend auch: drei große Rowdys (Riesen) in mit reichlich Phosphor beschmutzen Gummianzügen und hohen Schuhen, die an Kothurnen erinnern.

Vielfältige und impulsive Musik

Regisseur Frank Hilbrich konterkariert Ludger Vollmers temporeiche Anfangsmusik mit stoischer Ruhe. Die Figuren betreten die Bühne im Zeitlupentempo, was den Abend über auch so bleibt. Eilig haben es die Figuren bei ihm nie. Mitunter stehen sie auch frontal an der Rampe. Ein paar wenige Passagen werden dabei nur gesprochen.

Rummelplatz
Oper Chemnitz
Ruth Fischer (Menna Cazel)
© Nasser Hashemi

Vollmers Musik ist modern, bleibt aber tonal. Sein Wunsch, das Sujet Oper auch für junges Publikum attraktiv zu machen, wird bei der großen, von den Oberen als subversiv angesehenen, Tanzszene am deutlichsten, die vom Boogie-Woogie zu Club-Sounds führt. Er scheut aber auch nicht Verweise auf Volksmusik und klassisches Liedgut (wie mit „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“). Er bleibt dabei bei seiner von ihm selbst entwickelten Kompositionstechnik F.R.A.M.E. (Fast Rhythm Advanced Music Experience), schnell aufeinanderfolgende, kurze und rhythmisch scharf akzentuierte Szenen. Die Robert-Schumann-Philharmonie ist unter ihrem neuen Chefdirigenten Benjamin Reiners mit viel Energie dabei (wie er selber auch schon rein körperlich viel Einsatz zeigt).

Szenenwechsel erfolgen abrupt, der Vorhang fährt oft herab. Aber auch schnell wieder hoch (mit überraschend schnellen Wechsel der Protagonisten). Eingebunden ist nicht nur der Chor (Einstudierung: Stefan Bilz), sondern auch der Kinder- und der Jugendchor des Theaters Chemnitz (Einstudierung: Konrad Schöbel).

Neben der eigentlichen Handlung kommen die Grundfragen die Bräunig stellte, nicht zu kurz. Wann fängt das Morgen an? Wie kann, nicht nur die Jugend betreffend, an der Zukunft mitgewirkt werden?
Der Schlusschor spannt dann einen Bogen zum Beginn: „Woher wir kommen, das gibt es nicht mehr. Wohin wir gehen, das wissen wir nicht“.

Lang anhaltender und intensiver Beifall (inklusive Standing Ovations) für alle Beteiligten.

Markus Gründig, September 25


Rummelplatz

Nach einem Roman von: Werner Bräunig (1934 – 1976)
Musik von: Ludger Vollmer (* 1961)
Libretto von: Jenny Erpenbeck (* 1967)

Premiere/Uraufführung am Opernhaus Chemnitz: 20. September 25

Musikalische Leitung: Benjamin Reiners
Inszenierung: Frank Hilbrich
Bühne: Volker Thiele
Kostüme: Gabriele Rupprecht
Video: Stefan Bischoff
Chor: Stefan Bilz
Kinder- und Jugendchor: Konrad Schöbel
Dramaturgie: Johannes Frohnsdorf, Friederike Pank

Besetzung:

Peter Loose: Thomas Essl
Christian Kleinschmidt: Etienne Walch
Ingrid: Marlen Bieber
Ruth Fischer: Menna Cazel / Elisabeth Dopheide
Herrmann Fischer: Jaco Venter
Polotnikow / Richter: Felix Rohleder
Nickel: Tommaso Randazzo
Spiess / Bote 3: Daniel Pastewski
Drei grelle Mädchen: Tea Trifkovi, Maraike Schröter, Paula Meisinger
Drei Riesen: Stephan Hönig, Lukasz Wieloch, Jann Schröder
Bergmann 1 und 4 / Bote 2: Jonathan Koch
Bergmann 2 / Heidewitzka / Bote 1: David Sitka
Bergmann 3 / Lagerverwalter: Johann Kalvelage
Bergmann 5 / Staatsanwalt: Thomas Kiechle
Jungandres / Verteidiger: Jakob Ewert
Vater Kleinschmidt: Matthias Winter
Ein Ordner: Harald Meyer
Sowjetische Soldaten: Musiktheaterstatisterie

Opernchor sowie Kinder- und Jugendchor der Theater Chemnitz
Robert-Schumann-Philharmonie

Die nächsten Vorstellungen sind am 28. September und 3. Oktober 25.

theater-chemnitz.de