Ein Fest großartiger Stimmen: »La Juive« an der Oper Frankfurt

La Juive ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Léopold (Gerard Schneider; mit dem Rücken zum Betrachter), Éléazar (John Osborn im Hintergrund stehend) und Rachel (Ambur Braid; in der Bildmitte) sowie Ensemble ~ © Monika Rittershaus
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Die Oper Frankfurt ist unter der Intendanz von Bernd Loebe dafür bekannt und geachtet, nicht nur das klassische Opernrepertoire zu bedienen. Fesselnde Ausgrabungen und Neuentdeckungen sind mit ein Grund für die wiederholte Auszeichnung als „Opernhaus des Jahres“.

Zu den heute weitestgehend unbekannten Komponisten zählt der Franzose Fromental Halévy (1799-1862). Zu seiner Zeit war er hingegen populär, komponierte er doch über 30 Opern. Vor allem seine Grand opéra La Juive, die jetzt an der Oper Frankfurt gespielt wird, war sehr erfolgreich (angeblich wurden über 150.000 Franc in Gold für die Ausstattung verwendet). Daneben war Halévy Ausbilder von Komponisten wie Charles Gounod, Camille Saint-Saëns und Georges Bizet (der seine Tochter Geneviève heiratete).

La Juive
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Léopold (Gerard Schneider) und Eudoxie (Monika Buczkowska)
© Monika Rittershaus

Halévy war ein Zeitgenosse von Giacomo Meyerbeer, beide stehen für die französische Grand opéra. Allerdings mit deutlichen Unterschieden. Halévy blieb der klassischen Tradition treu. Große Tableaus waren nicht seine Stärke. Was ihn besonders macht, sind Arien, Duette und Terzette bei seinen feinfühligen Charakterporträts. La Juive ist für das Aufzeigen von Menschen in psychischen Grenzsituationen eine großartiges Paradebeispiel. Und dafür, dass er mehr auf das Wirkungsbedürfnis der Hauptdarsteller eingegangen ist, als seinen eigenen Stil weiterzuentwickeln.

La Juive (Die Jüdin) handelt von der jungen Rachel, die vom verheirateten Schlawiner Léopold an der Nase herumgeführt wird und am Ende dafür mit dem Leben bezahlt.

La Juive
Oper Frankfurt
Ensemble
© Monika Rittershaus

Die Handlung spielt im Jahr 1414 in Konstanz am Bodensee. Eine Zeit, in der ein friedliches Zusammenleben weder zwischen Christen und Juden, noch innerhalb der Christen möglich war. Um eine Einheit innerhalb der Christen wiederherzustellen wurde damals in Konstanz ein Konzil einberufen. Gegen den offenen Antisemitismus wurde jedoch nichts unternommen, er galt als normal. Und so sind die jüdischen Figuren in Halévys Oper, der Goldschmied Éléazar und seine Ziehtochter Rachel, immer wieder heftigen Angriffen der christlichen Gemeinschaft ausgesetzt.

Diese Konflikte arbeitet Regisseurin Tatjana Gürbaca in ihrer actionreichen Umsetzung detailliert heraus. Ihre Inszenierung von Luigi Dallapiccolas Ulisse an der Oper Frankfurt ist noch in bester Erinnerung. Wie bei Ulisse arbeitete sie auch für La Juive mit dem Bühnenbildner Klaus Grünberg zusammen. Seine Einheitsbühne für alle fünf Akte zeigt einen abstrakten Raum. Er besteht aus einer Treppenanlage mit zwei Geländern, die von einem monströsen Objekt umgeben ist. Um was es sich dabei handelt, ist nicht unmittelbar zu deuten. Ein Schutzwall, eine Mauer oder ein Turmfragment mit Galerien? Davor weist ein flacher, glühender Scheiterhaufen bereits auf das Ende hin (den Tod auf den Scheiterhaufen).

La Juive
Oper Frankfurt
Éléazar (John Osborn)
© Monika Rittershaus

Ausgefallen sind die Kostüme von Silke Willrett. Es ist ein krudes Konglomerat unterschiedlicher Stile (vom Mittelalter bis zur Gegenwart reichend), die schon optisch eine Brücke zur Gegenwart schlagen. Während der für die Grand opéra obligatorischen Ballettmusik gibt es einen Kriegscomic über den erfolgreichen Reichsfürsten Léopold zu sehen (Video: Nadja Krüger). Tatjana Gürbaca bringt eine Vielzahl an Ideen und Besonderheiten ein. Sie füllt damit nicht nur die lange Spieldauer gut, sie verdeutlicht auch intensiv die Aktualität des Stoffes hinsichtlich Fremdenhass und Intoleranz. Mitunter mutet die Szenerie surreal an.

In erster Linie ist die Oper ein Fest großartiger und schöner Stimmen. In der Titelpartie brilliert die Sopranistin Ambur Braid. Die Gefühlstiefe der rein wirkenden Rachel vermittelt sie ergreifend. Leider wird Braid das Ensemble zum Spielzeitende verlassen. Als Rachels Ziehvater und Goldschmied trumpft Tenor John Osborn auf. Er knüpft damit an seinen Erfolg als Lord Arturo Talbo in Bellinis I puritani an. Sein Éléazar ist ebenso von großer Gefühlstiefe geprägt (selbst wenn er aus Rachegelüste seine Tochter dem Scheiterhaufen preisgibt). Von seinem Talent als Liedsänger wird man sich bei seinem Liederabend am Montag, den 8. Juli 24 im Frankfurter Opernhaus überzeugen können.

La Juive
Oper Frankfurt
vorne v.l.n.r. Éléazar (John Osborn; in blau/gelbem Kostüm), Rachel (Ambur Braid; in roter Felljacke) und Ruggiero (Sebastian Geyer; kniend) sowie Ensemble und hinten in der Bildmitte Kardinal Brogni (Simon Lim; in weißer Soutane)
© Monika Rittershaus

Tenor Gerald Schneider gibt mit Leidenschaft den Verführer und Reichsfürsten Léopold, der am Ende mit einem „blauen Auge“ davonkommt (statt wie Éléazar und Rachel auf dem Scheiterhaufen zu landen). Ihr Talent für Koloraturen stellt Monika Buczkowska als attraktive Societylady Eudoxie unter Beweis. Mit autoritärer Würde gibt Bass Simon Lim den Kardinal Brogni.
Bariton Sebastian Geyer hat seinen Spaß als Ruggiero und Henker. Bariton Danylo Matviienko gibt nicht nur mit Vehemenz den Albert, er gefällt auch als Ausrufer des kaiserlichen Heeres mit seinem athletischen Körper. Auch er wird leider zum Spielzeitende das Ensemble verlassen (er wechselt an die Semperoper Dresden, wo er zunächst ab September Il Conte di Almaviva in Mozarts Le nozze di Figaro zu erleben sein wird).

Als grand opéra ist La Juive auch eine Choroper. Hier präsentiert sich der vorläufig zum letzten Mal von Tilman Michael einstudierte Chor und Extrachor der Oper Frankfurt erneut in Bestform, sei es als brutale Meute oder sich innig gebende jüdische Gesellschaft beim Gebet. Das Frankfurter Opern- und Museumsorchesters lässt unter der Leitung von Henrik Nánási die Musik Halévy glutvoll erklingen.

Markus Gründig, Juni 24


La Juive

Oper in fünf Akten
Von: Fromental Halévy

Premiere an der Oper Frankfurt: 16. Juni 24
Besuchte Vorstellung: 23. Juni 24

Musikalische Leitung: Henrik Nánási
Inszenierung: Tatjana Gürbaca
Bühnenbild, Licht, Animation: Klaus Grünberg
Bühnenbildmitarbeit: Anne Kuhn
Kostüme: Silke Willrett
Kostümmitarbeit: Carl-Christian Andresen
Video: Nadja Krüger
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Maximilian Enderle

Besetzung:

Rachel: Ambur Braid
Éléazar: John Osborn
Léopold: Gerard Schneider
Eudoxie: Monika Buczkowska
Kardinal Brogni: Simon Lim
Ruggiero / Henker: Sebastian Geyer
Albert / Ausrufer des kaiserlichen Heeres: Danylo Matviienko

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

oper-frankfurt.de