»A Chorus Line« neu inszeniert bei den Bad Hersfelder Festspielen

A Chorus Line ~ Bad Hersfelder Festspiele ~ Ensemble ~ © BHF / Johannes Schembs)

Mit 6.896 Aufführungen stand das Musical A Chorus Line lange Zeit an der Spitze der am längst laufenden Shows am Broadway. Als es 1975 Premiere feierte, war es epochemachend. Erstmals wurde keine Geschichte über große und exotische Themen erzählt. Im Mittelpunkt von A Chorus Line stehen vielmehr diejenigen, die sich sonst im Hintergrund, in der zweiten Reihe befinden: Die hochmotivierten und meist schlecht entlohnten Mitglieder des Ensembles. Damit reflektiert das Musical das eigene Genre schonungslos. Es enthält unsterbliche Nummern, darunter „One“, „What I Did For Love“ und „Dance: Ten; Looks: Three“.

Der Begriff „Chorus Line“ geht auf die Zeit der frühen Musicals und Shows zurück. Synchronisierte Bewegungen einer Gruppe von Tänzer:innen zur Untermalung der Haupthandlung wurden als Chorus Line bezeichnet.
Das Musical wurde mehrfach ausgezeichnet. So erhielt es u. a. 9 Tony Awards (u. a. als „Bestes Musical“ und 5 Drama Desk Awards). Die Verfilmung von 1985 mit Michael Douglas in der Rolle des Regisseurs Zach machte es noch bekannter. Danach fiel es langsam in einen Dornröschenschlaf. Schuld daran war nicht zuletzt, dass eigenständige Inszenierungen und Choreografien lange Zeit nicht gestattet wurden.

A Chorus Line
Bad Hersfelder Festspiele
Ensemble
© BHF / Johannes Schembs

Bad Hersfelder Festspiele brechen eine Lanze für A Chorus Line

Die Bad Hersfelder Festspiele brechen mit großem Orchester, einem hochkarätigen Ensemble und unter der energievollen und subtilen Regie und Choreografie von Melissa King nun eine Lanze für A Chorus Line (in der deutschen Fassung von Robin Kulisch aus dem Jahr 2022). In der Stiftsruine wurde, einen Tag nach Eröffnung der Spielzeit 2024 mit Brechts/Weills Die Dreigroschenoper, große Premiere gefeiert. Schon bei den ersten Takten von „One“ entlud sich ein erster Freude- und Beifallssturm im Publikum. Am magischen Ende mit der großen Ensembletanzszene mit 24 Beteiligten wurde eifrig mitgeklatscht und es gab sofort stehende Ovationen vom über 1600 Personen umfassenden Premierenpublikum und lang anhaltenden Applaus für alle Beteiligte.

A Chorus Line
Bad Hersfelder Festspiele
Zach (Arne Stephan)
© BHF / Johannes Schembs

Schlichte und effektive Ausstattung

Von der Ausstattung her zählt A Chorus Line zu den kostengünstigsten Musicals. Es wird kein Ozeandampfer (Titanic), Urwald (Tarzan), Schienenanlagen (Starlight Express) oder Hubschrauber (Miss Saigon) benötigt. Ein paar Spiegel, die die Atmosphäre in einem Proberaum vermitteln, reichen. Die Darsteller:innen tragen nur zur Schlussnummer glitzernde Anzüge, ansonsten kommt eine Produktion mit unspektakulärer Freizeit- und Sportkleidung gut hin. Das ist auch bei den Bad Hersfelder Festspielen grundsätzlich nicht anders. Wobei hier schon mehr geboten wird. Es gibt fahrbare Spiegeltürme, die nicht nur in unterschiedliche Positionen gebracht werden können, sondern teilweise auch als Podest dienen. An den Seiten nehmen LED-Wände das Format der Spiegel auf. Auf Ihnen werden teilweise Nahaufnahmen live gezeigt, dazu vorbereitetes Material und abstrakte Bilder. Alles angepasst an den jeweiligen Song, stets sehr dezent und unaufdringlich. Und natürlich fehlt auch nicht die obligatorische, deutlich markierte „Chorus Line“ ( Bühne: Karin Fritz; Video: Eric Dunlap; Kostüm: Conny Lüders).

A Chorus Line
Bad Hersfelder Festspiele
Bebe (Samantha Turton), Maggie (Kelly Panier), Sheila (Olivia Grassner)
© BHF / Johannes Schembs

Geschichten, die berühren

A Chorus Line erzählt von einer Audition für ein neues Musical. Gesucht werden acht Tänzer:innen, die künftig die Stars unterstützen und noch mehr strahlen lassen sollen. Der für die Auswahl zuständige Regisseur Zach interessiert sich nicht für das, was in ihren jeweiligen Lebensläufen steht. Er will sie mit all ihrer Individualität als Person kennenlernen. Vom Regiepult mitten im Publikums aus, lässt er sie einzeln vortreten und aus ihrem Leben erzählen. Dadurch kann sich das Publikum auch selbst als ein Teil der Audition fühlen. Und die intimen Geschichten berühren, denn alle geben sie mit großer Authentizität.

Regisseurin Melissa King gelingt es dabei gut, sich von der Filmversion zu lösen. Den einzelnen Erzählungen werden oftmals weitere Figuren beigestellt, die entweder den jeweiligen Song fortführen oder von ihrer Unsicherheit erzählen, wie sie den Anforderungen des Regisseurs gerecht werden können. Melissa King ist in Bad Hersfeld keine Unbekannte. Bei Show Boat in 2013 führte sie die Regie, die Choreografie u. a. bei West Side Story, Cabaret, My Fair Lady, Hair, Titanic und zuletzt in 2023 bei Jesus Christ Superstar.

Für die Rolle des Zach konnten die Bad Hersfelder Festspiele den Schauspieler Arne Stephan (u. a. bekannt aus „In aller Freundschaft“, „Familie Dr. Kleist“ und „Tierärztin Dr. Mertens“) gewinnen.Sein erstes Engagement in Bad Hersfeld hatte er 2002 in dem Musical Jesus Christ Superstar. Er gibt sich wesentlich emphatischer als es Michael Douglas im Film tat und schwingt auch selber die Tanzbeine. Auf die Einhaltung von Disziplin und auf technische Perfektion kann natürlich auch er nicht verzichten. Alan Byland gibt seinen Assistenten Larry, der hier deutlich markanter und maskuliner erscheint (und dennoch sehr agil ist). Er führt zusätzlich eine mobile Livekamera.

A Chorus Line
Bad Hersfelder Festspiele
Schlussapplaus
Foto: Markus Gründig

In 130 Minuten, traditionell ohne Pause, entfacht das Ensemble ein mitreißendes Spiel. Myrthes Monteiro gibt eine reizende Diana, die ganz genau auf ihr Herz hört („Was mein Herz mir sagt“). Den mega von sich überzeugten Bobby verkörpert mit Goldkette Pascal Cremer mit viel Charme. Die hohe Kunst des Stepptanzes führt federleicht wirkend Johan Vandamme als Mike vor. Viel Selbstvertrauen strahlt die Sheila der Olivia Grassner aus („Beim Ballett“, unterstützt von Bebe [Samantha Turton] und Maggie [Kelly Panier].
Ausführlich und eindringlich erzählt der Paul des Kevin Reichmann von seinem Weg zur Travestie. Vom Kreuz mit der optischen Erscheinung („Tanz: zehn; Typ: drei“) erzählt Val (pfiffig: Clara Mills-Karzel). Sympathisch kommt der Richie des William Briscoe-Peake rüber. Eine eigene große Tanznummer hat Cassie, die ehemalige Freundin von Zach (einfühlsam und ausdrucksstark: Emma Kate Nelson).
Das die Gesangs- und Tanznummern so gut zur Geltung kommen, liegt auch am Orchester der Bad Hersfelder Festspiele unter der Leitung von Christoph Wohlleben.

A Chorus Line steht an ausgewählten Tagen bis zum 18. August 24 auf dem Spielplan der Bad Hersfelder Festspiele. Stand von heute: Für fast alle Vorstellungen sind nur noch Restkarten erhältlich. Also schnell sich um ein Ticket kümmern!

Markus Gründig, Juni 24


A Chorus Line

Von: James Kirkwood & Nicholas Dante
Musik: Marvin Hamlisch
Texte: Edward Kleban
Deutsche Fassung: Mischa Mleinek / Robin Kulisch (2022)

Uraufführung: 15. April 1975 (New york, New York Shakeaspeare Festival Theatre)
Broadway-Premiere: 25. Juli 1975 (New York, Shubert Theatre )
Deutsche Erstaufführung: 4. Oktober 1980 (Berlin, Theater des Westens)

Premiere bei den Bad Hersfelder Festspielen: 22. Juni 24 (Stftsruine)

Regie & Choreografie: Melissa King
Musikalische Leitung: Christoph Wohlleben
Bühne: Karin Fritz
Video: Eric Dunlap
Kostüm: Conny Lüders
Dramaturgie: Wiebke Hetmanek
Sounddesign: Joerg Gruensfelder
Lichtdesign: Pia Virolainen

Besetzung:

Zach: Arne Stephan
Larry, sein Assistent: Alan Byland

Al: Benjamin Sommerfeld
Bebe: Samantha Turton
Bobby: Pascal Cremer
Cassie: Emma Kate Nelson
Connie: Vivian Wang
Diana: Myrthes Monteiro
Don: Rhys George
Frank: Stefan Schmitz
Greg: Thiago Fayad
Judy: Anneke Brunekreeft
Kelly: Julia-Elena Heinrich
Kristine: Maria Joachimstaller
Lois: Grace Simmons
Maggie: Kelly Panier
Mark: Alessandro Ripamonti
Mike: Johan Vandamme
Paul: Kevin Reichmann
Richie: William Briscoe-Peake
Roy: Tobias Stemmer
Sheila: Olivia Grassner
Tom: Anton Schweizer
Tricia: Katrin Merkl
Val: Clara Mills-Karzel
Vicky: Lavinia Kastamoniti

Orchester der Bad Hersfelder Festspiele GbR

bad-hersfelder-festspiele.de