Ibsens »Ein Volksfeind« kurzweilig am Schauspiel Frankfurt

Ein Volksfeind ~ Schauspiel Frankfurt ~ Stockmann (Isaak Dentler), dahinter Aslaksen (Stefan Graf), Billing (Sebastian Reiß) ~ Foto: Thomas Aurin
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

15 Jahre ist es her, dass Ibsens politischstes Stück am Schauspiel Frankfurt zu sehen war. 2008 inszenierte es Florian Fiedler mit Aljoscha Stadelmann in der Titelrolle. Jetzt stellte die britische Theaterregisseurin und Schauspielerin Lily Sykes ihre Sichtweise vor. Seit dieser Spielzeit ist sie Haus-Regisseurin am Staatsschauspiel Dresden. Dem Schauspiel Frankfurt ist sie bereits seit vielen Jahren verbunden. Es war ihre erste Station in Deutschland, ab 2009 zunächst als Regieassistentin. Hier inszenierte sie u. a. 2012 Georges J. C. Simenons Kurzroman Betty in der Box.

Vordergründig handelt Ibsens Drama von einem Konflikt in einer Küstenstadt im Süden Norwegens in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Das Wasser des Kurorts ist durch massive Umweltschäden mit Schadstoffen verseucht und gesundheitsgefährdend. Dadurch ist auch das neu errichtete Kurbad in seiner Existenz gefährdet. Noch ist dieser Umstand nicht öffentlich bekannt und so geht es um die Frage, ob der Skandal publik gemacht oder verschwiegen werden muss, um die Stadt vor einem finanziellen Kollaps zu bewahren. Im Kern ist es ein Diskurs um wirtschaftliche Prioritäten und das Diktat der Mehrheit.

Ein Volksfeind
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Thomas Aurin

Lily Sykes zeigt die fünf Akte in kompakten, pausenlosen 120 Minuten als Komödie, Drama, TV-Show und politisches Happening. Die Spielfläche ragt dabei weit in den Zuschauerraum hinein. Sie dient universell für das Haus des Badearzts Dr. Stockmann, die Badeanstalt und das Redaktionsbüro des »Volksboten«. Die große Versammlungsszene in Kapitän Horsters Haus findet bei erhelltem Licht im Publikumssaal statt (Bühne: Thea Hoffmann-Axthelm).

Anfangs mehr humoristische Aspekte betonend, dringt Lily Sykes mit kluger Hand von Szene zu Szene geschickt zum Kern vor. Höhepunkt ist Dr. Stockmanns temperamentvolle Rede gegen die schweigende Masse mit Publikums-Interaktion im vierten Akt. Diesen gibt voller Idealismus und kämpferisch Isaak Dentler. Die Figur von Stockmanns älterem Bruder Peter wurde hier in eine Schwester Petra abgewandelt. Sie ist Bürgermeisterin und Aufsichtsratsvorsitzende des Kurbads und somit Stockmanns Gegenspielerin. Caroline Dietrich gibt sie resolut und mit cooler Couleur.
Sebastian Reiß ist ein telegener Redaktionsmitarbeiter Billing, der auch bereit ist, mit Schnorchelbrille den Ursachen auf den Grund zu gehen. Einen umtriebigen Redakteur Hovstadt gibt Oscar Olivo. Viel körperlichen Einsatz legt Stefan Graf als markanter Buchdrucker Aslaksen vor. Gute Laune und Sorglosigkeit versprüht die Marie der Tanja Merlin Graf. André Meyer gibt einen gefestigten Kapitän Horster und Uwe Zerwer einen alle Schuld von sich abweisenden Gerbermeister Morten Kiil.

Ein Volksfeind
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Thomas Aurin

Am Ende steht die ganze Kurstadt am Abgrund, aber und das ist nicht selbstverständlich, Lily Sykes zeigt eine Alternative für die Zukunft auf: Geben und Nehmen. Verdeutlicht wird das durch ein von Marie initiiertes Fadenspiel, das immer weiter gereicht wird (unter Bezug auf die, auch im Programmheft zitierte, US-amerikanische Naturwissenschaftshistorikerin, Biologin und Professorin für feministische Theorien und Technoscience Donna Haraway. Am Ende viel Applaus für die lebhaft dargebotene Umsetzung.

Markus Gründig, Oktober 22


Ein Volksfeind

(En Ffolkefiende)
Schauspiel in fünf Akten

Von: Henrik Ibsen
Uraufführung: 13. Januar 1883 (Oslo, Christiania-Theater)
Deutsche Erstaufführung: 4. März 1888 (Berlin, Residenztheater)

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 25. September 22 (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 2. Oktober 22

Regie: Lily Sykes
Bühne: Thea Hoffmann-Axthelm
Kostüme: Jelena Miletic
Musik: Fabian Kalker
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt

Besetzung:

Doktor Thomas Stockmann, Badearzt: Isaak Dentler
Marie, seine Tochter, Lehrerin: Tanja Merlin Graf
Eilif, sein Sohn, 10 Jahre alt: Thomas Mehltretter / Stefan Olteanu
Petra Stockmann, die ältere Schwester des Doktors, Bürgermeisterin und Polizeichefin Vorsitzende im Aufsichtsrat des Bades, usw.): Caroline Dietrich
Morten Kiil, Gerbermeister, Pflegevater von Maries verstorbener Mutter): Uwe Zerwer
Hovstadt, Redakteur des »Volksboten«: Oscar Olivo
Billing: Sebastian Reiß
Kapitän Horster: André Meyer
Buchdrucker Aslaksen: Stefan Graf

Die nächsten Vorstellungen:
Mi. 5., So. 9., Do. 13., und Sa. 15. Oktober
Fr. 4., Fr. 11. und Sa. 19. November 22

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