Von Ballast befreite »Zauberflöte« an der Oper Frankfurt

Die Zauberflöte ~ Oper Frankfurt ~ Tamino (Michael Porter) und Mann (Micha B. Rudolph; sitzend) ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Mozarts Zauberflöte ist in vielerlei Hinsicht ein Kuriosum. Sie ist Zauberspiel, Kasperltheater, Freimaurerpathos und Mysterium in einem. Das Libretto mit seiner widersprüchlichen Handlung von Emanuel Schikaneder handelt von einer gefährlichen Schlange, von einem Prinzen auf der Suche nach einer entführten Prinzessin, Prüfungen vor einem Tyrannen und Todessehnsüchten.
Eine sehr bildhafte Umsetzung war lange Zeit an der Oper Frankfurt zu sehen. Alfred Kirchners Inszenierung von 1998 wurde 15 Mal wiederaufgenommen. Sie eignete sich gut, um Kinder und Jugendliche in die Welt der Oper einzuführen. Die jetzige Neuinszenierung der Zauberflöte wurde daher mit großer Spannung erwartet. In der Woche vor der Premiere wurde die Oper Frankfurt von der Fachzeitschrift „Opernwelt“ zum sechsten Mal zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt, davon schon fünf Mal unter der Intendanz von Bernd Loebe. Entdeckungen abseits des gängigen Repertoires und neue Sichtweisen auf etablierte Werke sind Markenzeichen seiner Spielpläne. Insoweit überrascht es nicht, dass die neue Zauberflöte nun deutlich anders ist als die bisherige.

Die Zauberflöte
Oper Frankfurt
Papageno (Danylo Matviienko)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Aus zeitgenössischer Perspektive genähert

Vor fünf Jahren gab der US-amerikanische Regisseur Ted Huffman mit Händels Rinaldo sein Deutschland-Debüt im Bockenheimer Depot. Nun inszenierte er erstmals im Opernhaus, wo er Ende Januar 2023 zudem Händels Orlando neu auf die Bühne bringen wird. Wie er im Gespräch mit dem Dramaturgen Maximilian Enderle äußerte (abgedruckt im Programmheft), hat er sich der Zauberflöte vor allem aus zeitgenössischer Perspektive genähert. Im Fokus stehen bei ihm die Figur des Taminos und die Themen Vergänglichkeit, Altern und Demenz. Ein Morgenland in sagenhafter Zeit, ein Reich der Königin der Nacht und ein Reich Sarastros gibt es nicht.

Die Zauberflöte
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Zweite Dame (Kelsey Lauritano), Tamino (Michael Porter), Dritte Dame (Cláudia Ribas) und Erste Dame (Monika Buczkowska)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Der Bühnenraum ist eine Herausforderung

Die Bühne des US-Amerikaners Andrew Lieberman zeigt einzig das Zuhause von Tamino. Ein sehr großzügiges. Auf der Drehbühne wird abwechselnd ein großes Wohnzimmer mit angegliedertem Musikraum, ein Schlafgemach und ein breiter, sich nach hinten verjüngender geschwungener Flur gezeigt (nebst Küche und Bad). Zwei Portale mit jeweils drei Türen, dezente Anspielung auf die drei Tempel (Weisheit/Vernunft/Natur), flankieren das Zuhause auf der zusätzlich zum Einsatz kommenden äußeren Drehbühne. Alles ist in reinem Weiß gehalten, die Ausstattung ist auf das Nötigste reduziert. Selbst mit Kenntnis der Handlung ist dieser Bühnenraum eine Herausforderung für das Verständnis, sucht man doch vergeblich nach Felsen, Bergen oder Gärten.

Raphaela Roses Kostüme sind von heute. Der aus seinem bösen Schlangen-Traum erwachte Tamino trägt einen Schlafanzug mit kurzen Ärmeln, Papageno gibt sich ganz in Kanarienvogel-Gelb, eng anliegende, glitzernde und kurze Abendkleider tragen die drei Damen, ein langes giftgründunkeles Kleid die Königin der Nacht, Anzüge die Riege der Herren.

Die Zauberflöte
Oper Frankfurt
Pamina (Hyoyoung Kim) und Sarastro (Andreas Bauer Kanabas)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Text vom Band

In konsequenter Fortsetzung des Regie-Konzepts werden die Textstellen nicht von den jeweiligen Figuren gesprochen, sondern ertönen als Aufnahme aus dem Off. Eingesprochen wurden sie von der Schauspielerin Heidi Ecks: Sie ist langjähriges Ensemblemitglied am Schauspiel Frankfurt und aktuell zu sehen in Lärm. Blindes Sehen. Blinde Sehen! Was ich sagen wollte, Hiob und Eternal Peace. Sie spricht mit vielen Nuancen, dazu werden auch englische Übertitel angezeigt. Ein konzentriertes Zuhören erleichtert das Zuordnen des Gehörten zu den jeweiligen Figuren. Diese verharren während des Textvortrages auf der Bühne jeweils in Erstarrung.

Die Zauberflöte
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Tamino (Michael Porter), Frau (Corinna Schnabel) und Mann (Micha B. Rudolph)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Die Kraft der Musik

Konträr zu Schikaneders Libretto steht Mozarts Musik, die die emotionale Seite der Figuren detailliert ausleuchtet. Über die Kraft der Musik finden die Figuren zu sich, insbesondere am Ende Tamino. Hier schließt sich der Inszenierungsbogen von Ted Huffmann. Denn Tamino und Pamina erscheinen als gealtertes Paar (Micha B. Rudolph, Corinna Schnabel). Der inzwischen demente Tamino findet durch die Musik am Klavier wieder zu sich und kann wieder mit seiner Pamina den Alltag genießen. Der wie immer sehr überzeugende Chor (Chor: Tilman Michael) singt dazu seine finalen Dankesworte verdeckt aus dem Hintergrund.

Für die ursprünglich vorgesehene aber erkrankte Julia Jones leitet Steven Sloane, alternierend mit Simone Di Felice, das Frankfurter Opern- und Museumsorchester. Und hier kommt jeder auf seine Kosten, denn die Musik wirkt fast wie ein Katalysator. Dabei ist Sloanes Dirigat sehr leidenschaftlich und sänger:innenfreundlich.
Auf der Bühne sind fast nur Mitglieder der Oper Frankfurt zu erleben. Da diese Produktion in dieser Spielzeit 15 Mal gegeben wird, sind die Rollen doppelt besetzt (s. u.). Die Zauberflöte hat in dieser Spielzeit die meisten Aufführungen (sonst sind es meist sieben oder acht) und bietet somit viele Gelegenheiten, tiefer in diese besondere Inszenierung einzusteigen.

Michael Porter gibt einen nachdenklicher Tamino mit fokussierter Stimme. Neue Stipendiatin des Opernstudios der Oper Frankfurt ist seit dieser Spielzeit die Sopranistin Hyoyoung Kim. Und gleich ihre erste Rolle ist die der Pamina, die sie souverän und ausdrucksstark verkörpert. Bariton Danylo Matviienko kann sich als lebenslustiger, trinkfreudiger und liebessehnsüchtiger Papageno groß in Szene bringen: körperlich sehr agil, stimmlich sehr prägnant.
In der als Tamino Erinnerung erzählten Geschichte, agieren die Figuren anders als in einer märchenhaft bebilderten Umsetzung. So sind der Sarastro des Bassbaritons Andreas Bauer Kanabas und die Königin der Nacht der Sopranistin Anna Nekhames (neu im Ensemble) verhaltener als üblich zu erleben. Kanabas´ Sarastro nimmt mit seiner balsamisch wirkenden Stimme sehr für sich ein. Einnehmend ist auch Nekhames‘ Königin der Nacht, hier mehr sorgende Mutter als rachewütende böse Königin (bei der „Der Hölle Rache kocht“ scheinen ihr die bösen Worte fast Leid zu tun). Theo Lebow glänzt als Monostatos mit seinen schauspielerischen Fähigkeiten. Die drei Damen (Monika Buczkowska, Kelsey Lauritano und Cláudia Ribas) bringen sich mit Grazie ein. Sopranistin Karolina Bengtsson begeistert als Papagena nicht nur das Herz von Papageno. Herausragend sind die drei Knaben, die hier sehr klangschön von Solistinnen des Kinderchores gegeben werden (Luise Tahe, Zoe Nettey-Marbell, Emma Ruhe). Dazu sind Erik van Heyningen als Sprecher, Michael McCown als erster Geharnischter und Anthony Robin Schneider als zweiter Geharnischter zu erleben.

Während der Aufführung gab es bei der besuchten Vorstellung relativ wenig Zwischenapplaus, am Ende aber intensiven Zuspruch für alle Beteiligte.

Markus Gründig, Oktober 22


Für an eine verspieltere Umsetzung Interessierte: Karsten Wiegands Zauberflöte-Inszenierung aus 2018 wird im Dezember 22 am Staatstheater Darmstadt wiederaufgenommen.


Die Zauberflöte

Eine deutsche Oper in zwei Aufzügen

Von: Wolfgang Amadeus Mozart
Text: Emanuel Schikaneder
Uraufführung: 30. September 1791 (Wien, Freihaustheater)

Premiere an der Oper Frankfurt: 2. Oktober 22
Besuchte Vorstellung: 7. Oktober 22

Musikalische Leitung: Steven Sloane / Simone Di Felice
Inszenierung: Ted Huffman
Bühnenbild: Andrew Lieberman
Kostüme: Raphaela Rose
Licht: Joachim Klein
Choreografie: Pim Veulings
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Maximilian Enderle

Besetzung:

Tamino: Michael Porter / Kudaibergen Abildin
Pamina: Hyoyoung Kim / Karolina Bengtsson
Papageno: Danylo Matviienko / Domen Križaj
Sarastro: Andreas Bauer Kanabas / Kihwan Sim
Königin der Nacht: Anna Nekhames / Aleksandra Olczyk
Erste Dame: Monika Buczkowska / Elizabeth Reiter
Zweite Dame: Kelsey Lauritano / Cecelia Hall
Dritte Dame: Cláudia Ribas / Judita Nagová / Katharina Magiera
Monostatos: Theo Lebow / Peter Marsh
Papagena: Karolina Bengtsson / Hyoyoung Kim
Sprecher: Erik van Heyningen
Erster Geharnischter: Michael McCown / Gerard Schneider
Zweiter Geharnischter: Anthony Robin Schneider
Drei Knaben: Solist*innen des Kinderchors

Chor, Kinderchor und Statisterie der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester


Im Rahmen des Festivals Mainly Mozart 2023.

Weitere Vorstellungen: 7., 15., 21., 30. (15.30 Uhr) Oktober, 5., 10., 13. (18 Uhr), 19. (18 Uhr) November 2022, 17., 26., 31. März, 10. (18 Uhr), 19., 22. (im Rahmen des Festivals Mainly Mozart) April 2023

Falls nicht anders angegeben, beginnen diese Vorstellungen um 19 Uhr
Preise: € 16 bis 190 (12,5% Vorverkaufsgebühr nur im externen Vorverkauf)
Mit freundlicher Unterstützung der DZ Bank