Das Schloss
schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 5. März 08 (Premiere)
“Es war spät abends als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloss an…“ So beginnt Franz Kafkas letzter Roman, der eigentlich gar nicht veröffentlicht werden sollte und unvollendet geblieben ist.
Mit diesen Worten beginnt auch Tomas Schweigens Inszenierung (basierend auf einer Bearbeitung von ihm und Marcel Luxinger). Nachdem die sechs Darsteller die mit mehr als einem Dutzend alter Lampen versehene Spielfläche in Nebel gelegt haben (Ausstattung: Stephan Weber), wird es fast ganz dunkel im Raum: nur eine Lampe wird abwechselnd eingeschaltet und der Landvermesserer K. macht sich auf seinen Weg vom Dorf hoch aufs Schloss des Grafen Westwest. Im Laufe der penibel mit einer Stoppuhr abgemessenen 100-minütigen Aufführung wird der Raum zwar immer heller, die Geschichte dafür umso rätselhafter. Bei seinem Weg zum Schloss trifft K. ständig auf neue Dorfbewohner und Schlossangestellte. Je mehr er sich scheinbar dem Schloss nähert, umso mehr entfernt er sich. Ein undurchdringbarer Dschungel von Prinzipien und Regeln tut sich dem K. auf, seine Orientierungslosigkeit wächst und wächst. Je mehr sich der diffuse Nebel legt und es heller wird, umso klarer wird es, dass es gar kein Schloss gibt. Aber wofür steht das Schloss dann? Ist es der Himmel? Die Hölle? Was will der Autor damit sagen? Wie bei kaum ein Werk der Weltliteratur bleiben hier viele Fragen offen. Luxinger und Schweiger verzichten auf eine eigene Interpretation. In dem die sechs Darsteller (Nadja Dankers, Wilhelm Eilers, Stefko Hunushevsky, Silvester von Hösslin, Sascha Icks, Max Landgrebe) verschiedene Episoden der Geschichte in wechselnder Rollenverteilung spielen, begeben sie sich mit dem Zuschauer auf eine Reise in die verklärte Welt von Franz Kafka. So begegnet K. der Brückenhofwirtin, dem Ausschankmädchen Frieda, den Schwestern Amalia und Olga und nicht zu letzt dem verführerischen Zimmermädchen Pepi. Auch der Bote Barnabas, der Gemeindevorsteher, die lustigen Gehilfen oder der strenge Lehrer Mizzi fehlen nicht.
Für mit dem Roman und seinen Figuren nicht vertraute Zuschauer dürfte das Stück eine Herausforderung sein, andere werden sich freuen in die geheimnisvolle Welt Kafkas einzutauchen.
Markus Gründig, März 08
Sommergäste
schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 16. Februar 08 (Premiere)
Eine befremdend anmutende Gesellschaft hat Maxim Gorki in seinem 1904 uraufgeführten Stück „Sommergäste“ verewigt. Eigentlich sind die drei Ehepaare und die Freunde (Ärzten, Juristen und Poeten) aufs Land gekommen, um sich die Zeit mit Picknicks, Theateraufführungen und Liebeleien zu vertreiben. Doch fast jeder von ihnen ist unglücklich, sei es unglücklich allein, unglücklich verliebt oder unglücklich verheiratet. Und sie sind vor allem eins: gelangweilt und im Irrglauben, wo anders wäre alles anders und besser. Trotz ihres Bildungsbürgertums ist diese Gruppe nicht fähig sich ausdrücken, gerät beispielsweise das Liebesbekenntnis zur unüberwindbaren Hürde, wie bei Sergej. Sonst durchaus ein Wortakrobat, versagt er, wenn es darum geht, seiner Warware zu sagen, dass er sie liebt. Aljoscha Stadelmann gibt ihn gelöst und mit starker Bühnenpräsenz.
Gleichzeitig besteht eine starke Sehnsucht nach Liebe, aber auch nach Anerkenntnis und Bewunderung, wie bei dem Schriftsteller Jakow Schalimov (Matthias Redlhammer), getreu dem Motto „Ein Autor sucht sein Publikum). Geistig sind diese Erwachsene noch irgendwo Kinder oder schon Greise; was Leben ist und wo es ist, wissen sie nicht. Gorki schildert mit diesem Stück den Sinnesverlust der dem Volk entfremdeten Intelligenz.
Regisseur Martin Nimz zeichnet mit Gorkis Szenen eine Gesellschaft auf, die natürlich von der unsrigen nicht weit entfernt ist. Warwara (statisch: Julia Penner): „Wir irren geschäftig umher, suchen nach einem bequemen Plätzchen im Leben… Wir tun nichts und reden entsetzlich viel.“
Die innere Gefangenheit der Charaktere hat Bühnenbildner Olaf Altmann in einen großen, kahlen Raum umgesetzt, der aus hölzernen Wandtafeln besteht, ohne Fenster und Türen. Vom Bühnenhimmel hängen zwölf Schaukeln herab, deren Sitzfläche auf dem Boden aufliegt und deren Stränge auch als Marionettenfäden verstanden werden können, an denen die Figuren hängen und wie von fremden Mächten geführt wirken.
Papiertüten mit ausgeschnittenen Öffnungen für Augen und Mund dienen als Maske um sich vor den anderen zu verstecken. Nimz lässt alle Darsteller stets auf der Bühne. Wer grad nichts zu sagen hat, steht stumm im Raum oder legt sich einfach nieder.
Bei einem Stück über Langeweile bleibt eine gewisse Langeweile im Publikum nichts aus, so auch hier (bei einer Spieldauer von 2 Std. und 40 Min). Vor allem Sabine Waibel sorgt aber als hysterisch und ordinäre Julija für frischen Wind, gedeckt galant gibt sich zudem Oliver Kraushaar als Wlas (mit artistisch frivoler Einlage an den Seilen – nackt und Zigarette rauchend).
Am Ende schweben die Sommergäste auf ihren Schaukeln, haben die Realität hinter sich gelassen und plumpsen der Reihe nach in den Abgrund. Nun kann ein jeder neu über seinen Weg den er gehen will, entscheiden.
Markus Gründig, Februar 08
Doppel-Feature: Zur Sache Dandy! ~ Dear Wendy
schauspielfrankfurt, schmidtstrasse12
Besuchte Vorstellung: 2. Februar 08 (Uraufführung)
Vor drei Jahren entstand unter der Regie von Thomas Vinterberg der Film „Dear Wendy“ nach einem Drehbuch von Lars von Trier. Sein Inhalt: In der ärmlichen Bergarbeiterstadt Estherslope im amerikanischen Südosten entwickelt eine Gruppe von friedliebenden jungen Leuten plötzlich eine tiefgehende Leidenschaft für Waffen und erlangt dadurch ein stärkeres Selbstbewußtsein. Trotz des strengen Ehrencodex der Gruppe (die sich Die Dandys nennen), mündet das Geschehen in eine Katastrophe. Der in Dänemark und Deutschland gedrehte Film zeichnet sich durch eine internationale Besetzung aus, mit Jamie Bell (Billy Elliot) in der Hauptrolle des pazifistischen Scharfschützen Dick und Bill Pullman (Lost Highway, Independence Day) als Sheriff Krugsby.
In der Außenspielstätte schmidtstrasse12 des schauspielfrankfurt fand jetzt unter der Regie von Florian Fiedler und Robert Lehniger die Uraufführung der Bühnenfassung statt. Dem eigentlichen Stück wurde als Einführung das knapp halbstündige “Projektil” Zur Sache Dandy! vorangestellt. Es beginnt mit einer Videodokumentation über den Besuch der Darsteller im Schieß-Sportzentrum RSA Heusenstamm und ihre Empfindungen beim Gebrauch von echten Waffen. Ihm folgte eine Diskussion über „Abbildung von Wirklichkeit“. Eine ironisierende Dandy-Modenschau leitet dann zur Frage über, was es heißt, ein Dandy zu sein. Diese Frage wird letztlich nicht beantwortet. Auch im Stück „Dear Wendy“ handelt es sich nur um eine Gruppe Jugendlicher, die sich die Dandys als Vorbild nehmen, ohne selbst wirklich welche zu sein, auch wenn sie zum Teil historisierende Roben tragen . Nicht nur, dass der Begriff Dandy zeitlich fixiert ist, auch der gesellschaftliche Status und eine bestimmte Geistes- und Lebenshaltung spielen eine wichtige Rolle. Doch von dieser erfährt man nur wenig.
Das schmidtstrasse12 Saison-Einheitsbühnenbild von Bernd Schneider wurde von Irene Ip um etliche Strohballen und einen Anhänger erweitert, sodass eine passende, ländliche Stimmung vermittelt wird.
Als ironischer Off-Kommentator begleitet Nicholas Reinke das Geschehen zunächst von einem Seitenplatz aus, steigt später aber als „Sebastian“ mit in das Spiel ein. An einer seitlichen Tribüne sitzt vor einem silbernen Glitzervorhang der „Chor der Weltkriegsveteranen“: drei Pärchen (zwei gemischte Paare und ein Männerpaar), die das Spiel gelegentlich Schlager singend, unterbrechen. Mit ihren blonden Haaren und ihrem eleganten Tennisoutfit stehen sie für eine neue Generation junger alter Menschen, die aber dennoch zu den Jugendlichen keinen Zugang hat. Die Gruppe dieser Teenager (Mathias Max Herrmann, Toni Jessen, Anne Müller, Sebastian Schindegger,) wird vom sensiblen Dick (Wieland Schönfelder) angeführt. Alle spielen ihr Spiel sehr gut, ein Funke springt dennoch nicht über und das große Finale läßt lange auf sich warten.
Markus Gründig, Februar 08
Drunner un dribber oder Die sinn völlig vun de Roll
Fastnachtsposse des MCV im Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 29. Januar 08
Ein dreimal kräftiges „Hellau“
Im Vergleich zu den Inszenierungen der vergangenen Fastnachtspossen kommt „Drunner un dribber“ bescheiden daher: das Einheitsbühnenbild von Annika Fischer zeigt bei nach hinten verkleinerter Bühne, nur den Salon einer Hotelsuite, mit geringer Ausstattung und einem Blick über den Balkon nach Mainz-Kastell, lediglich zehn Darsteller sind beteiligt (davon die Hälfte mit kleinen Rollen). Dennoch wurde bei der Premiere selten so viel und herzhaft gelacht, wie bei diesem Schwank. Heidi Pohl und Peter Krawietz jr. hatten für „Drunner un dribber“ das im Jahr 1990 uraufgeführte Stück „Out of Order“ (Deutscher Titel: „Außer Kontrolle“) des britischen Komödienspezialisten Ray Cooney (Jahrgang 1932) mit viel Lokalkolorit und auf Meenzer Mundart bearbeitet. Die gut dreistündige Aufführung (inkl. einer Pause) unterhält und fesselt von der ersten bis zur letzten Minute (Inszenierung: Heidi Pohl). Einem Taubenschlag gleich kommen die Personen über die Zimmertür und den Balkon in die Suite, die Geschehnisse werden immer verzwickter und einer Katastrophe folgt die Nächste.
Cooney, der aus seiner Erfahrung als Schauspieler und als Regisseur heraus schreibt, gilt als Meister der absurden Komik. Akribisch berechnet und mit atemberaubenden Tempo lässt er seine Figuren in immer neue Stolperfallen geraten. Er hat über 40 Theaterstücke geschrieben, allesamt Komödien, bei denen ganz normalen Menschen Außergewöhnliches geschieht.
So auch bei „Drunner un dribber“. Für die Mainzer Version wurde von Heidi Pohl und Peter Krawietz jr. der im Original stehende konservativen Ministers der sich mit der Sekretärin des Oppositionsführers zu einem Techtelmechtel im Hotel trifft, gegen einen Starbüttenredner des großen Fastnachtsvereins „Die Roten Nasen“ ausgetauscht. Statt mit einer Sekretärin trifft er sich am Vorabend des Fastnachtssamstag (dem „heiligen Freitag“) im Luxushotel „Perris“ mit einem Ballettmäuschen des Fastnachtsvereins „Grünen Ohren“ …
Den großen Part des um keine Notlüge verlegenen Charmeurs Johannes Eckespitz meistert Peter Krawietz jr bravourös, gefällt auch gesanglich mit „Einfach sein“ der Fantastischen Vier. Als seine Geliebte Christine Morales bezaubert Claudia Reimers. Ihr feuriger spanischer Ehemann Hector Morales (Markus Beer) bringt die Hotelgesellschaft ordentlich ins schwitzen (auch würde er gerne ein echter Fastnachter sein, doch weiss er nicht wie). Bernd Funke gibt einen etwas zu steifen Hoteldirektor und Franz Pohl einen sich unnachgiebig um seine Gäste kümmernden Kellner Roland Müller-Riesling, was ihn zur reichsten Person des Hotels macht.
Die meisten Lacher und Sympathie kann Andreas Kerz als Eckespitzs Referent und herzensguter Komiteefreund Jonathan Nothnagel verbuchen. Anfangs noch das schüchterne Muttersöhnchen, ängstlich und verklemmt, wächst er nicht nur mit seinen Aufgaben, sondern auch über sich hinaus (in weiteren Rollen: Monika Eberle, Sylvia Kipper, Jennifer Schorr).
Und wie es sich für die Mainzer Fastnachtsposse gehört fehlen auch dieses Jahr nicht die schwungvoll aufspielenden Salonsolisten unter der Leitung von Michael Millard und Ulrike Schilf (mit dem Mitsinglied der Frau Ruckelsberger). Auch die Dienheimer Jazztanzgruppe hat ihren Auftritt, leider erst ganz am Ende des Stücks und nicht so fesselnd wie sonst. Die Freude an der Inszenierung wird davon aber nicht getrübt, es lebe die Fassenacht.
Markus Gründig, Januar 08
Schonzeit
Staatstheater Darmstadt
Besuchte Vorstellung: 26. Januar 08 (Uraufführung)
Finster und gefährlich ist es im Wald der Kammerspiele des Staatstheater Darmstadt, haust hier doch ein gefährlicher Wolf auf Essenssuche für seine sieben Jungen. Zum großen Pech des Jägers haben Bürokraten in der fernen Großstadt ein Jagdverbot erlassen, das für 100 Tage gilt. Wenn schon kein Wolf zu jagen ist, macht sich der Jäger halt an die Mutter ran, mit der er beim letzten Dorffest getanzt und mit ihr einen Kuss ausgetauscht hat. Und schließlich ist da noch die Tochter, die zur kranken Großmutter soll…
Das bei uns durch die Gebrüder Grimm bekannt gewordene Märchen „Rotkäppchen“ (nach Charles Perraults „le Petit Chaperon rouge“ von 1697) hat durch die Jahrhunderte vielfältige Bearbeitungen erfahren. Der 1967 in Linz/Donau geborene Andreas Jungwirth („Schwarze Mamba“) fügt mit „Schonzeit“ eine zeitgemäße, den sexuellen Subtext der Vorlage freisetzende, ironische Variante hinzu, die jetzt im Staatstheater Darmstadt unter der Regie von Ina Annett Keppel eine gelungene Uraufführung erlebte. Das Märchen dient als Folie für die heutigen Probleme und Sehnsüchte der vier Protagonisten und auch des Wolfes (der gar kein Wolf mehr sein will).
Hans Matthias Fuchs verleiht dem Wolf mit nackten Oberkörper und drallen Bauch in schwarzen Lederhosen und Pelzmantel ein markantes Profil, er ist gefährlich, wie zugleich tragisch komisch. Harald Schneider gibt den kurz vor seiner Pension stehenden Jäger, der mit List erst den Wolf betrügt, schließlich aber Opfer seiner eigenen Lust wird. Sonja Mustoff ist eine erfahrene Mutter, die Männer hat sie in ihrer Gastwirtschaft zur Genüge kennen gelernt. Die pfiffige Großmutter (angenehm Seelenruhe vermittelnd: Margit Schulte-Tigges) kann am Ende ihrer Tage den Wolf selbst mit einem Messer nicht mehr abwehren. Mit den Facetten einer pubertierenden Teenagers kokettiert feinsinnig Julia Glasewald als das Mädchen.
Lediglich zwei Baumstümpfe vor dem Haus der Großmutter weisen auf einen Wald hin (Bühne und Kostüme: Sandra Draschaft). Das Haus selber wird mit einem Bett aus Holzbalken und einem frei hängenden kleinem Fenster nur angedeutet. Rechts, hinter dem gefährlichen Wald, liegt das Wirtshaus, in dem das Mädchen mit seiner Mutter lebt. Konkreter und für Kinder ungeeignet geht es kurz vor dem Ende mit zwei Nackt- und Kannibalismusszenen zu: das Mädchen entblättert sich langsam vollständig, um sich zur vermeintlichen Großmutter zu legen, der Jäger ißt (unwissend) vom rohen Fleisch der gerade getöteten Großmutter und trinkt ihr Blut.
Markus Gründig, Januar 08
Schade, dass sie eine Hure war
schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 19. Januar 08 (Premiere)
Der Name John Ford hört sich gegenwärtig an, auch der Titel des Stücks könnte einer aktuellen TV-Produktion entstammen. Doch mit der Moderne hat dieses Stück zunächst nichts zu tun. Der englische Lyriker und Dramatiker John Ford wurde um 1586 geboren, gestorben ist er um 1640, er war somit ein Zeitgenosse William Shakespeares. „Schade, dass sie eine Hure war“ war zu allen Zeiten ein Skandalstück, thematisiert es nicht nur in poetischen Farben eine inzestuöse Geschwisterliebe, sondern prangert gleichzeitig eine Gesellschaft an, die zwar gegen dieses Fehlverhalten vor geht, selbst aber keinen Deut besser ist. Im Gegenteil: die Kirche deckt einen Mörder, nur weil er aus der wohlhabenden Schicht stammt, Bürger der Stadt morden und bereichern sich.
Das schauspielfrankfurt zeigt das Stück in einer kraftvollen Übertragung des Schriftstellers und Regisseurs B.K. Tragelehn aus dem Jahr 2002. Kraftvoll lässt sich auch die mit ironischen Brechungen und humoristischen Versatzstücken versehene Inszenierung von Christian Kuchenbuch bezeichnen, die auf eine ausgezeichnete Schauspielerleistung basiert. Im Mittelpunkt steht natürlich das Geschwisterpaar Annabella (Sandra Bayrhammer) und Giovanni (Martin Butzke). Sie: verträumt, verletzbar und sich um die Familienehre sorgend; Er: begehrend, draufgängerisch und blind vor Leidenschaft. Ein markantes Profil verleiht Fabian Gerhardt Annabellas gehörnten Ehemann Soranzo. Die illustre Damengesellschaft von Parma besteht aus Hippolita (sinnlich und verführerisch: Sascha Icks, nebst lebender Schlange), Philotis (im kurzen, schwarzen Lederdress auf High Heels: Nadja Schneider) und der vertrauensseligen Vertrauten Putana (Mélanie Witteborg). Ingolf Müller-Beck trumpft als Weichei Bergetto auf, Christian Kuchenbuch gibt einen überzeugten Mönch Bonaventura und Wilhelm Eilers treibt als Scherge Vasques ein brutales Spiel (in weiteren Rollen: Simon Brusis, Wolfgang Gorks, Falilou Seck, Heiner Stadelmann und Falilou Seck; Kostüme: Kathi Maurer).
Diese, ursprünglich spät elisabethanische, Gesellschaft haust in einem großen Quader, der versetzt bis in den Zuschauerraum hinein reicht (Bühne: Michael Graessner). Zu Beginn noch von schwarzen Plastikvorhängen verdeckt, besteht er aus kahlen Wänden, lediglich ein Waschtisch befindet sich an einer Seite. Eine kalte Atmosphäre, die durch das grelle Neonlicht noch verstärkt wird. Nach der Pause wird es finster: der Bühnenboden ist nun schwarz, die Wände bestehen nur noch aus einem Lattengerippe, das einem Spinnennetz ähnelt. Für die Schlussszene fährt im Hintergrund ein Prospekt hoch und gibt den Blick frei in die abstruse Wohnküche im Hause von Soranzo, in der Annabella ihr finales Ende findet, das von allen anderen aus der Ferne beobachtet wird.
Auch wenn ein Blick zurück in die gute alte Zeit oftmals eine Vorstellung einer besseren Welt implementiert, ist dies doch eine falsche Vorstellung. John Ford hielt mit „Schade, dass sie eine Hure war“ der Gesellschaft ungeschminkt einen Spiegel vor. Peter Kastenmüllers Inszenierung ist ebenso wenig zimperlich und trotz ihres hohen Unterhaltungsfaktors auch sehr direkt. Aber das ist auch gut so, denn die Hure, das sind schließlich auch wir.
Markus Gründig, Januar 08
Kredit
schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 18. Januar 08 (Uraufführung)
“Raus aus den Schulden“ heißt eine aktuelle Serie auf RTL, über Menschen, denen eingeräumte Kredite über den Kopf gewachsen sind. Doch mit dem Thema „Kredit“ in diesem Sinne hat das neuste Stück von Jan Neumann (Jahrgang 75) nichts zu tun, auch wenn der Titel natürlich gut zur Bankenmetropole Frankfurt passt. Kredit ist hier differenzierter auszulegen. Was bekommt ein jeder auf seinem Lebensweg mit, schon durch die Geburt oder später durch die Familie und wie geht ein jeder mit dem ihm anvertrauten Dingen um? Handlungsgerüst ist die Geschichte von Hans, dessen Lebensweg von der Zeugung (1948) bis zum Tod (2008) ausschnittsweise (meist anhand von Familienfeierlichkeiten) skizziert wird (und den Untertitel „Familienhistorienspiel“ erklärt). Das Stück entstand als Stückentwicklung und wurde so von schauspielfrankfurt in Auftrag gegeben. Stückentwicklung bedeutet, dass zu Probenbeginn nur das Grobkonzept steht und der Text in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Darstellern erst während der Proben entsteht. Jan Neumann verzichtet bei diesem Stück auf Regieanweisung, Improvisation ist ein Bestandteil jeder Aufführung. So haben die Darsteller die Freiheit, den Text von Vorstellung zu Vorstellung fortzuschreiben.
Die Aufführung vermittelte dann aber doch einen recht abgeschlossenen Eindruck, von Provisorien keine Spur. Schon im Foyer schauen einem die fünf Familienmitglieder auf einem großen Portraitbild von Sandra Stetzenbach entgegen. In gleicher Position wie sie auf dem Bild stehen, befinden sie sich zu Beginn auf der Bühne. In schwarzen Anzügen, passend für hohe Familienfeierlichkeiten geeignet. Die Bühne von Thomas Goerge selbst spiegelt den Werkstattcharakter wider. Eingerahmt in Holzlatten und mit Leinentücher abgehangen, gleicht der Raum einem Künstleratelier. Schiefertafeln in unterschiedlicher Größe sind die wichtigste Requisite, auf der mit Kreide gemalt und geschrieben wird, was an Gegenständen fehlt.
Die Figur des Familienvaters Hans gibt es auf der Bühne nicht, nur seine fünf Kinder und eine große, schräge Verwandtschaftssippe (Nadja Dankers, Anna Grisebach, Stefko Hanushevsky, Max Landgrebe und Daniel Stock). In einem wahren Parforceritt spielen sich diese fünf Darsteller unter der Regie von Jan Neumann brillant und mit ansteckenden Enthusiasmus durch die unterschiedlichsten Rollen (mit Hilfe von Dutzenden von Perücken) und durch die Zeiten (mitunter knapp an karnevalistischen Einlagen vorbei).
Markus Gründig, Januar 08
Gertrud
schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 21. Dezember 07 (Premiere)
Ein Stück Deutschland anhand der Biografie einer Mutter. Nicht irgendeiner Mutter, sondern die von Einar Schleef („ein ostdeutsches Genie“, nach Elfriede Jelinek). Erste Liebe, Hochzeit, Kinder, Einsamkeit.., ihr Leben zeigt keine besonderen Momente auf, die diese Mutter von Millionen anderer Frauen unterscheidet. Und doch ist der Roman eine besondere Hommage, spiegelt sich darin das Leben vieler. Jens Groß hat das Buch für die Bühne eingerichtet, inszeniert hat es Armin Petras (Intendant des Berliner Maxim Gorki Theater). So wie Einer Schleef im Osten aufwuchs, tat es auch Petras, beide lebten nicht nur zeitweilig in Frankfurt sondern waren auch Hausregisseure am schauspielfrankfurt. Eine Verbindung, die die Uraufführung in Frankfurt nahe legte, zumal der Roman auch größtenteils in Frankfurt geschrieben wurde.
Petras hat mit Horns Ende eine ostdeutsche Biografie mit vielen Charakteren inszeniert. Auch Gertrud spielt im Osten (Sangerhausen, Sachsen-Anhalt), wobei diese szenische Romanumsetzung letztlich ein großer Monolog ist. Um die Zeitspanne zwischen Jugend, erster Liebe, Mutterglück und Einsamkeit darzustellen, teilte Jens Groß die Rolle auf vier Gertruds auf, die von Friederike Kammer, Sabine Waibel, Regine Zimmermann und Anne Müller gespielt werden. Es gibt viele Selbstgespräche dieser Gertruds, aber auch ein ausgeprägtes, vitales Rollenwechselspiel. Anders als bei der schauspielfrankfurt Inszenierung von „Die Wahlverwandtschaften“ , bei der in weiten Teilen eine Erzählstimme aus dem Off spricht und die Schauspieler nahezu zu Statisten werden, lässt sie Petras hier zu Höchstformen auflaufen. Das ausgeglichene Spiel dieser vier starken Schauspielerinnen imponiert: eine jede geht nicht nur brillant in ihrer Rolle auf, keine spielt sich in den Vordergrund, mitunter wirken sie wie unzertrennliche Schwestern.
Effektvoll ist das einfache Bühnenbild von Olaf Altmann. Zu Beginn spricht Gertrud, in Hausschuhen an der Bühne entlang schlürfend, an einer flach liegenden, gerüstähnlichen Konstruktion. Diese klappt nach hinten auf, die Bühne öffnet sich wie ein Buch und die Geschichte beginnt aus der Unterbühne heraus zu leben.
Dezente Videoprojektionen (Niklas Ritter) greifen träumerisch Lebensstationen auf (besonders schön: die umher fliegenden Springerinnen). Die Kostüme aus Großmutters Stube weisen hohe Widererkennungsqualitäten auf (Katja Strohschneider).
Markus Gründig, Dezember 07
Don Quijote
schauspielfrankfurt, schmitstrasse 12
Besuchte Vorstellung: 20. Dezember 07 (Premiere)
Der Ritter von der komischen Gestalt
Miguel de Cervantes „Der sinnreiche Junker Don Quijote von der Mancha“, oder kurz „Don Quijote“, begründete vor gut vierhundert Jahren die Gattung Roman, das Buch gilt trotz ausgedehnter Längen, schwacher Komposition und wüsten Geschichten, als eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur. Neben etlichen Filmen gibt es auch zahlreiche Bühnenfassungen der „Geschichte vom Ritter von der trauriger Gestalt“ (als Ballett, Oper oder auch als Musical).
Eine saloppe Bühnenfassung stellt die Version von schauspielfrankfurt dar, die jetzt unter der Regie von Simon Solberg (seit 2006 Hausregisseur am Nationaltheater Mannheim) in der schmidtstrasse12 Premiere feierte. Don Quijote hat durch das Lesen von Ritterromanen den Verstand verloren und kann fortan nicht mehr zwischen Einbildung, Wirklichkeit und Geschichte unterscheiden. Zur Darstellung dieser Ebenen nutzt Solberg vor allem Videotechnik (Philipp Batereau). Dabei beschränkt er sich nicht nur auf das Abspielen von integrierten Handlungselementen, sondern sorgt auch für szenisch fließende Übergänge zwischen realem Spiel und Video. Das geht so weit, das Don Quijote per Bluescreen in eine wilde Schießerei eingefügt wird.
Gleich zu Beginn entsteigt der Realitätsverweigerer Don Quijote ( fabelhaft versponnen: Sebastian Schindegger ) einem Feuerberg, um sich seine Ausrüstung zusammen zu suchen und auch hier zur Erkenntnis zu gelangen, ein Held wie er braucht natürlich eine Frau, die er kurzerhand per Kleinanzeige findet: Dulcinea aus Offenbach wird die Gebieterin seines Herzens.
Im Video zieht Don Quijote dann durch die Lande und stößt im Supermarkt auf seinen Knappen Sancho Panza, einem Preisauszeichner (Moritz Peters, mit langen Haaren und Tiefkühltaschenpanzer). Bei seinem Kampf mit Schwert und Pferd für Gerechtigkeit und eine bessere Welt befreit Don Quijote eine Prinzessin aus der Gefangenschaft, wobei es sich hier um eine Prostituierte im Zuhälterwagen handelt. Dazu setzt er sich für eine junge Frau ein, die aus Deutschland abgeschoben werden soll. Bei alledem ist es kein Wunder, das Don Quijotes Riesen keine Windmühlen sondern Hochhäuser im Frankfurter Bankenviertel sind. Neben Sancho Panza und der imaginären Dulcinea aus Offenbach, spielen drei weitere Personen eine Rolle in Don Quijotes Welt: der Autor (geflissentlich an der Schreibmaschine arbeitend: Bert Tischendorf als Kortex), ein Kioskverkäufer mit Durchblick und Showmasterqualitäten (Michael Lucke als Limbus) und eine Prinzessin in Pelz und Stöckelschuhen (ebenfalls Bert Tischendorf).
Auch heute gibt es genug Unrecht auf der Welt, gegen das zu kämpfen es sich lohnt. Es muss nur erst einmal erkannt werden. Bei dieser überdreht dargestellten Version des Don Quijotes mag dieser Gedanke etwas in den Hintergrund treten, unterhaltsam ist sie durchaus.
Markus Gründig, Dezember 07
Der Elefant
schauspielfrankfurt,nachtschwärmer
Besuchte Vorstellung: 17. Dezember 07 (Premiere)
„Verbrechen aus Leidenschaft“ ist das Saisonmotto der aktuellen nachtschwärmer-Reihe am schauspielfrankfurt, die nun mit dem Projekt „Der Elefant“ von Ensemblemitglied Oliver Kraushaar fortgesetzt wurde. Kraushaar setzt sich dabei mit dem Thema Gewalt, insbesondere unter Jugendlichen, auseinander. Betroffen von den vehement zunehmenden Amokläufen in der vergangenen Zeit begibt sich Kraushaar auf eine Spurensuche, um die Ursache für derart aus dem Ruder geratene Gewalt zu untersuchen und gleichzeitig der dringend nötigen Auseinandersetzung darüber einen Raum zu geben (denn mit bloßer Leidenschaft hat Gewalt nichts mehr zu tun, mit Verbrechen schon eher).
Noch nie hat es derart viele Amokläufe gegeben wie in diesem Jahrzehnt (und es ist noch nicht rum). Ein Beispiel der jüngsten Vergangenheit: am 16. April 07 schoss der 23-jährige südkoreanische Studenten Cho Seung-Hui im amerikanischen Blacksburg 32 Menschen nieder, weitere 29 wurden verletzt (er selbst tötete sich beim Eintreffen der Polizei). Während seiner Studienzeit schrieb er auch zwei Theaterstücke, die Oliver Kraushaar für diesen Abend ausgewählt hat. Es sind kurze Stücke in vulgärer Sprache, die sich beide um Außenseiter und um rohe Gewalt drehen. Im ersten Stück geht es um einen Jugendlichen (Moritz Peters), seine Mutter (Ruth Marie Kröger) und ihren neuen Geliebten (Özgür Karadeniz). Der Jugendliche hat einen unbändigen Haß auf seinen neuen Daddy, während Mama („Honigbärchen“) für ihn ein Zufluchtsort ist. Das hemmungslose, intensive Spiel mit ins Groteske gesteigerten Mitteln amüsiert und schockiert gleichermaßen ob der freigesetzten Aggressivität. Das Gewalt hier erlebbar wird, ist vor allem Moritz Peters zu verdanken, der als Wolf im Schafspelz erst unschuldig auflauert, um dann u mso heftiger seine Aggressionen auszukotzen.
Im zweiten Stück geht es um drei Jugendliche (Kröger, Karadeniz & Peters) die im Casino Ihren Lehrer Mr. Brownstone (Andreas Haase) beschimpfen und am Ende doch den Kürzeren ziehen und gemeinschaftlich den Guns’ N Roses Song „Mr. Brownstone“ anstimmen.
Beide Stücke dienten je
Markus Gründig, Dezember 07
Ein Volksfeind
schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 8. Dezember 07 (Premiere)
“Wo stehe ich , wo stehst Du“
„Deutschland macht das Licht aus“ lautete die größte Klimaschutz-Aktion des Jahres 2007, die von den Umweltverbänden BUND, Greenpeace und WWF und der BILD zur Halbzeit der Weltklimakonferenz auf der indonesischen Insel Bali initiiert wurde. Viele Städte und tausende von Bürgern schlossen sich dieser Aktion an und schalteten am Samstag den 8. Dezember 07 ab 20.00Uhr für fünf Minuten das Licht aus. Nicht ein Einzelner oder Zwei, sondern weite Teile der Gesellschaft setzten damit ein Zeichen, mehr für den Klimaschutz zu tun – für die Rettung unserer Erde. Ganz anders als in Henrik Ibsens „Ein Volksfeind“, bei dem ein Einzelner einen Umweltskandal entdeckt und statt zum Volkshelden, aufgrund vermeintlicher wirtschaftlicher Zwänge, zum Volksfeind erklärt wird.
Zufall oder Absicht dass die Premiere dieses Stückes mit dieser Klimaschutz-Aktion zusammenfiel? Zufall oder Absicht dass sich der Beginn um fünf Minuten verzögerte (wegen Störgeräuschen der Tontechnik)? Wie auch immer, gepasst hat es allemal. Inszeniert wurde das Stück von Jungregisseur Florian Fiedler, der seit der vergangenen Saison Hausregisseur am schauspielfrankfurt und Kurator der Spielstätte schmidtstrasse12 ist. Erstmals inszenierte er jetzt im Großen Haus. Anders als bei seinem „Handlungsreisenden“ im Kleinen Haus, bei dem die Bühne mit Ziegelsteinen zugemauert wurde und die Schauspieler an die Wand gestellt auf einem kleinen Streifen spielen mussten, nutzt er für den „Volksfeind“ nicht nur die gesamte große Bühne, sondern verlängert sie mit einem aus den Tiefen des Bühnenraums kommenden Holzsteg bis weit in den Zuschauerraum hinein.
Noch vor Beginn sieht der Zuschauer eine prächtige Parkanlage mit Blick auf einen klassizistischen, schlossähnlichen Klinikbau. Auf einem wohlgepflegten grünen Rasen sonnen sich die Kurgäste genüsslich in Badekleidung, tauchen in das kristallklare Wasser eines Sees: ein Idyll… Freilich nur in der Fantasie, denn die Bühne von Maria-Alice Bahra ist um einiges nüchterner, weitgehend karg und kalt. Die sich Sonnenden gibt es aber tatsächlich. Das Zuhause der Familie Stockmann wird spartanisch angedeutet, eine Bühnenbrücke dient als Empore im Saal von Kapitän Horster. Fiedler nutzt nicht nur den Bühnen- und den Zuschauerraum, auch zwei Musiker, Martin Engelbach und Frank Wulff, sind integraler Bestandteil dieser Ibsen-Inszenierung, die das Stück behutsam ins Heute überträgt.
Im Mittelpunkt steht der Familienvater und Klinikarzt Dr, Thomas Stockmann, der zum Umweltaktivist, Gesellschaftskritiker und kompromisslosen Idealist wird und sich damit gegen die gesamte Bürgerschaft stellt. Aljoscha Stadelmann gibt diesen Rebellen wider Willen mit seiner ihm eigenen vollen Hingabe: intensivstes Aufgehen in der Rolle. Erstklassig die Auseinandersetzung mit seinem Rollenbruder Bürgermeister Stockmann (ein engagierter Rainer Frank als glattzüngiger Politiker), bei der er seine große Enttäuschung und seinen tiefen Ärger stark nach Außen kehrt. Er ist aber auch äußerst feinfühlig, beispielsweise wo er die Geschichte vom Quadrat vorträgt (nach E.A. Abbots mathematische Satire „Flatland“) und frenetisch bei seinem Plädoyer an das Volk (die Zuschauer).
Auch die anderen Darsteller sorgen dafür, das dieses zwischen sozialkritischer Anklage und Parodie liegende, selten gespielte, Stück Ibsens zu einer sehenswerten Auseinandersetzung über die persönliche Positionsbestimmung eines Einzelnen in der Gesellschaft gerät. In Verbindung mit der musikalischen Untermalung (und einem peppigen Gesangsshowblock) gelang Fiedler dies zudem angenehm unterhaltsam zu vermitteln. Möge die Vorstellung einer anderen Wirklichkeit als die, in der wir leben, ebenso wie die „Deutschland macht das Licht aus“-Aktion, kein einmaliges Ereignis sein.
Markus Gründig, Dezember 07
Was ihr wollt
schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 2. November 07
Der nicht gerade eingängigen Stückvorlage „Ulrike Maria Stuart“ der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelineck folgte am schauspielfrankfurt ein Tag nach der Premiere ein Komödien-Kassiker par Excellence: William Shakespeares „Was ihr wollt“. Sind beide Inszenierungen auch sehr unterschiedlich, gab es doch für beide am Ende großen Applaus für Darsteller und für das Regieteam.
Für Corinna von Rad ist „Was ihr wollt“ das zweite Stück, dass sie im Großen Haus inszenierte, nach der letztjährigen Erfolgsproduktion „König Arthur“ (die ab 14. November 07 mit fünfzehn Vorstellungen bis zum 26. Dezember 07 erneut auf dem Spielplan steht). Dient „König Arthur“ der Unterhaltung kleiner wie großer Kinder, richtet sich „Was ihr wollt“, das Spiel um Liebe, Täuschungen und verwirrte Gefühle, an erwachsenen Zuschauer. Gespielt wird im üblichen schauspielfrankfurt Format (2 Stunden ohne Pause). Die Küste Illyriens ist hier ein etwas in die Jahre gekommenes Seebad aus Beton und Glas (Bühne: Ralf Käselau).
Dem melancholischen Grundcharakter des Stücks folgend, beginnt der Abend zunächst bedächtig. Die illustre Hofgesellschaft von Illyrien bricht dann aber mit zunehmenden Tempo diese Stimmung auf. Hier ist es vor allem Maria (sexy und verführerisch: Georgia Stahl), die Gesellschafterin der Gräfin, die mit Unterstützung durch Familie und Freunde (musizierende Spaßgesellschafter: Roland Bayer, Sebastian Schnindegger und Andreas Bittl) und einem gefälschten Liebesbrief den steifen Verwalter Malvolio (bravourös komisch: Oliver Kraushaar) lächerlich machen. Die trauernde Gräfin Olivia (herzhaft: Olivia Grigoli) findet schließlich ihr Liebesglück in Sebastian (feinfühlig: Bert Tischendorf), genauso wie Viola und Orsino (ungewöhnlich locker: Christian Kuchenbuch) zueinander finden. Viola/Cesario scheint die einzig klare im Kopf zu sein, auch wenn ihre Gefühlswelt durcheinander gerät. Sandra Bayrhammer gibt sie mit Anmut und bewundernswerten poetischen Ausdruck.
Zum Ende schließt von Rad den Stimmungsbogen. Während der Narr (sarkastisch: Matthias Redlhammer) sein Gedicht liest, setzt sich die Hofgesellschaft friedlich nebeneinander an den vorderen Bühnenrand, glücklich zur Harmonie zurückgefunden zu haben.
Markus Gründig, November 07
Ulrike Maria Stuart
schauspielfrankfurt – schmidtstrasse 12
Besuchte Vorstellung: 1. November 07 (Premiere)
Zwei Stücke hatten vergangenes Jahr zu ihrer Uraufführung ein großes Medieninteresse ausgelöst: Yasmina Rezas „Der Gott des Gemetzels“ und Elfriede Jelinecks „Ulrike Maria Stuart“. Letzteres sorgte schon Monate vor der Aufführung für Wirbel, meldete die Tochter von Ulrike Meinhoff doch deutlich Kritik wegen Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte an. Die Hamburger Uraufführungsinszenierung des Thalia Theaters (Regie: Nicolas Stemann) wurde zum Berliner Theatertreffen, den Mülheimer Theatertagen und ins Wiener Burgtheater eingeladen. Jetzt, ein Jahr danach, wird deutlich wo des Volkes Stimme schlägt. Das Boulevardstück „Der Gott des Gemetzels“ läuft allerorten, das Königinnendrama „Ulrike Maria Stuart“ dagegen nur sehr selten.
Wesentliches Merkmal des Stück ist, das es kein Stück ist. Die Literaturnobelpreisträgerin Jelinek schrieb keine Geschichte über die RAF oder einig ihrer Mitglieder, kein Drama im klassischen Sinn, denn es gibt keine Handlung, keine Dialoge. Es ist ein Textmaterial von 98 Manuskriptseiten, das nur im Theater existiert und ansonsten nicht veröffentlicht wird. Jede Neuinszenierung ist somit nahezu immer auch eine Uraufführung. Das Stück beginnt mit der Familienheimsuchung der Untoten Meinhof. Es folgt der innere Monolog Ensslins und schließlich die Begegnung der „Königinnen”.
Über die Hamburger Erstaufführung des Thalia Theaters (Regie: Nicolas Stemann) schrieb die WAZ: „eine abgefahrene Show mit rauschhaften Bildern und Ratlosigkeit“. Bei der grotesken Slapstick-Inszenierung wurden u.a. Wasserbomben und Schutzfolien an das Publikum verteilt. Demgegenüber nähert sich die Inszenierung von Peter Kastenmüller am schauspielfrankfurt wesentlich sachlicher dem Thema Deutscher Herbst und RAF, versinnlicht den Text szenisch, ohne ihn mit übermäßiger Action zu überladen.
Sechs Tische stehen auf der Spielfläche in der schmidtstrasse 12, der Außenspielstätte des schausielfrankfurt. Das Publikum sitzt um diese Fläche an zwei Seiten herum, die zwei verbleibenden zwei Tribünenflächen werden von den Schauspielern mitgenutzt. Auf den Tischen liegen Gesetzessammlungen, Akten, ein Telefon und eine Bonbondose, inmitten befindet sich ein Zeugenstand, eine der Tribünen dient als Richterpodium. Die anfängliche Ordnung, die Gerichtsatmosphäre löst sich schnell auf. Am Ende des verbalen Gemetzels gleicht die Spielfläche einem wüsten Szenario (Grundraum: Bernd Schneider, Ausstattung: Michael Graessner).
Als schreibbesessene Theoretikerin und modebesessene Terror-Schwester Gudrun Ensslin (und Elisabeth) ist eine famose Sabine Waibel zu erleben. Zurückhaltender in ihrer Art, aber nicht minder hart mit ihren Worten ist die Ulrike (Maria) der Abak Safaei-Rad, womit sie sich der realen Ulrike annähert.
Beide Frauen gibt es zusätzlich auch als schrill kreischende kunstvolle Schwellköpfe tragende Teenys (bei der Hamburger Inszenierung waren die Doppel Rentnerinnen). Ein „Chor der Greise” (Susanne Böwe, Heiner Stadelmann) steht für das Spektrum von den RAF-Sympathisanten bis zu den -Kritikern jener Generation. Die „Prinzen im Tower” (Johanna Bantzer, Falilou Seck), die Kinder der Täter, hinterfragen die radikale Position der Eltern.
Jelineck skizziert anhand ihrer „vier Stück Frau“ Machtmechanismen, die üblicherweise den Männern zugeschrieben werden. Doch auch diese herausragenden, unangepassten Frauen scheitern wie die Männer.
Markus Gründig, November 07
Des Teufels General
Staatstheater Mainz
Besuchte Vorstellung: 15. Oktober 07
Mit dem Beginn der Intendanz von Matthias Fontheim in der Saison 2006/2007 erhielt die Schauspielsparte des Staatstheater Mainz die Möglichkeit, auch die Bühne im Großen Haus zu bespielen (diese war bislang dem Musiktheater und dem Ballett vorbehalten). Großes Theater gehört nun einmal auch auf eine große Bühne. Gleichwohl birgt dies eine gewisse Gefahr. Im Musiktheater kann man sich entspannt zurücklehnen und nur den Klängen der Musik und den Stimmen der Sänger folgen. Im Schauspiel ist ein wesentlich konzentriertes Zuhören und Beobachten erforderlich, andernfalls tritt schnell ein distanzierter Guckkasteneffekt auf, ohne Aufgehen in das Bühnengeschehen und Anteilnahme am Schicksal der Figuren. Eine packende Geschichte und großartige Schauspieler können jedoch wiederum diese Tücke umschiffen, wie jetzt hier bei „Des Teufels General“ geschehen.
Bereits 1946 wurde das Stück in Zürich uraufgeführt (Regie: Heinz Hilpert und mit Gustav Knuth in der Titelrolle). Die deutschen Besatzungsmächte gestatteten zunächst keine Aufführung doch das änderte sich schnell. Allein bis 1955 wurde es über 5 .000-mal gespielt. Scharfmacher, Mitläufer und stille Widerstandskämpfer, Zuckmeyer zeichnete hier aus dem fernen Amerika (wo er sich im Exil befand) ein Abbild der deutschen Gesellschaft. Das Drama über das deutsche Mitläufertum und den deutschen Widerstand im Hitler-Regime bildete einen wichtigen moralischen Beitrag zur Vergangenheitsbewältigung. Auch 61 Jahre nach der Uraufführung ist das Stück zeitgemäß, steht doch die Frage nach der persönlichen Integrität eines jeden zentral im Mittelpunkt.
Einen mächtigen Verschlag aus Sperrholzplatten hat Florian Barth auf die Bühne gestellt. Es ist ein glanzloses Kasino mit Bunker-Atmosphäre, allein die Platten mit Kanapees und Hummer verdeutlichen, dass man hier nicht bei armen Leuten ist. Aus großen Luken rutschen und poltern immer wieder schwungvoll die Personen in den fensterlosen Raum, der mit zwei seitlichen Galerien ausgestattet ist. Rückseitige Schiebetüren geben den Blick ab und an frei auf eine kleine Musikbühne mit Flügel. Stühle, Tische und Rollläden stammen aus den Anfängen der deutschen Wirtschaftswunderzeit. Ein Raum nicht mehr im gestern, aber auch noch nicht im heute (überwiegend ebenso zeitlos die Kostüme von Annelies Vanlaere). Hier wird kräftig gefeiert, gesungen und das Leben fast zügellos genossen. Für den zweiten Akt, das Atelier von Harras, fahren aus dem Boden drei Räume empor: eine Holzpaneelwohnküche (mit in die sechziger Jahre verweisendem Kühlschrank, Neonröhre und Plattenspieler), ein schmaler Musikraum und die „Pilotenbar“ (die Welt mit Glitterregen auf den Kopf stellend, ein irrealer Zufluchtsort für Harras und Diddo). Intimität gibt es hier nicht, das Übel kommt über die Dachterrasse. Ergreifende Nüchternheit herrscht zum finalen dritten Akt: die Bühnenelemente fahren an die Seite und geben den Blick frei auf eine große leere, schwarze Fläche: das Flugfeld. Mittig stehen lediglich zwei Stühle, auf dem Boden liegen die Baupläne der Flugzeugmotoren/Propeller. Hier hat Harras sein ihm die Augen öffnendes Gespräch mit Oderbruch, in diesem ungeschützten Raum gibt er sich schließlich seinem Schicksal hin.
Stefan Walz in der Paraderolle des Harras (General der Flieger), ist der überragende Spieler des Abends: wo er im ersten Akt noch scherzt, flirtet und das Leben genießt, machen sich im zweiten Akt Brüche bemerkbar, setzt ihm der Zeitdruck zur Fehlerfindung mehr und mehr zu. Er bleibt auch in seiner Zerbrochenheit und seiner Empfindlichkeit ein Frauenheld, Haudegen und Teufelspaktler per Excellenze. Durchweg solide spielen die Freunde und Feinde an seiner Seite. Wo sich die Damen mit ihrer Exaltiertheit hervorheben (allen voran Verena Bukahl als Waltraut von Mohrungen), bestechen die Männer in ihrer natürlichen Art zwischen Unbeholfenheit, Machterhaltungswunsch und strikter Befehlsausführung.
Regisseurin Cornelia Crombholz erzählt die leicht gekürzte Geschichte spannend und auch mit etwas lokalem Kolorit (schließlich wurde Zuckmeier im nahen Nackenheim geboren). Auch fehlt Musik nicht, was das Mänzer Publikum natürlich erfreut. Bei überwiegend live gespielter Musik (von Charleston, Yankee-Musik, dem Lilli Marleen-Song, übers das Gute Nacht-Lied und meditativen Klavierklängen), gefällt hier mit schöner Stimme Daniel Seniuk als Buddy Lawrence (mit Robbie Williams Ballade „She’s the one“).
Markus Gründig, Oktober 07