Am Schauspiel Frankfurt weckt Tim Crouchs »An Oak Tree« Lust auf erneuten Vorstellungsbesuch

An Oak Tree ~ Schauspiel Frankfurt ~ Sebastian Reiß (© Robert Schittko)
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Jeder Theaterabend ist einmalig, selbst bei Stücken, die ihre zigste Aufführung erleben. Schließlich ist jeden Abend das Publikum und dadurch auch die Stimmung, anders. Bei Tim Crouchs An Oak Tree ist die Einmaligkeit jedoch Programm und das ziemlich genial. Bei dem 2005 in Edinburgh uraufgeführten Zweipersonenstück ist nur einer der beiden beteiligten Schauspieler konstant dabei, der zweite Schauspieler ist in jeder Vorstellung ein anderer. Dabei wird bis zum Vorstellungsbeginn geheim gehalten, wer an dem jeweiligen Abend die zweite Rolle spielt. Derjenige tritt dann nahezu unvorbereitet auf. Er hat zwar einem vorgefertigten Skript zu folgen, dennoch ist es keine statische Angelegenheit, jeder hat gewisse Freiheiten und last,but not least, soll schließlich der jeweilige Gastschauspieler einfach nur viel Spaß dabei haben.

Formal geht es um einen Hypnotiseur, der in einen Verkehrsunfall verwickelt war, bei dem ein junges Mädchen zu Tode kam. Ihn trifft keine Schuld (gewisseParallelen zu Furor sind zunächst zwangsläufig), dennoch hat er den Schock noch nicht verarbeitet. Hinzu kommt dann als stets wechselnder Spielpartner Andreas, der Vater der getöteten Lena, der sich noch immer am Verlust abarbeitet und immer wieder die Eiche (Englisch =Oak Tree) aufsucht, die im Zusammenhang mit dem Unfgall steht.

An Oak Tree, das bisher von Autor Tim Crouch selbstaufgeführt wurde und der hier nunmehr Regie führt, ist überaus vielschichtig, denn die zugeordneten Rollen wechseln, neue treten hinzu (wie die Mutter Rita), die vierte Wand wird durchbrochen und das Publikum direkt angesprochen („Ihr seid die Stars“). Es ist zunehmend kniffeliger das Spiel im Spiel als solches zu erkennen, denn die Übergänge erfolgen fließend und rasant, Ebenen überlagern sich. Was ist echt, was ist gespielt, ist alles Zufall oder alles detailliert vorgegeben und nur geschickt getarnt?

Sebastian Reiss ist der Hypnotiseur, der zu Beginn über den Zuschauersaal auf die Bühne tritt. In schwarzer Hose, weißem Hemd, dezent glitzernder gold-schwarzer Weste und einer Hypnoseradplakette auf der linken Brust (Kostüme: Anna Sünkel) zeigt er 75-Minuten lang (so lange geht das Stück) eine starke Präsenz und Wandelbarkeit: Vom oberflächlich strahlenden und animierenden Unterhalter, über einen einfühlsam agierenden Schauspieltrainer (er gibt unmittelbare Anweisungen, teilweise für das Publikum nicht hörbar über Mikrofonan den Kopfhörer tragenden Mitspieler), bis hin zum fast an seiner vermeintlichen Schuld und Trauer zerbrechenden Unfallbeteiligten.

Bei der besuchten zweiten Vorstellung war, nach Heidi Ecks bei der Premiere, nun Thorsten Flassig die Aufgabe zu teil, die Rolle des Vaters zu übernehmen. Er wirkt dabei stets neugierig und interessiert, man könnte ihn sich auch gut als Gast in einer TV-Show vorstellen. Gleichwohl beherrscht auch er das Spiel der Täuschung hervorragend, sodass nie gesagt werden kann, wann er den Vater  spielt oder als Schauspieler sich selbst oder gar nur er selbst ist. Intensiv sind die parallel gesprochenen Monologe, wenn Vater Andreas von Körperentspannung am Meer redet (im Sinne der Progressiven Muskelentspannung), während der Hypnotiseur bei diesem Gedanken zunehmend verkrampft und zu verzweifeln droht.

Der äußere Rahmen ist im Bühnenbild von Loriana Casagrande ist äußerst schlicht gehalten. Acht blaue Stapelstühle, ein Komforthocker, ein Tisch im Hintergrund dient lediglich als Ablageort für die Klemmbretter mit dem Text und für ein Mischpult (die einzelnen Szenen werden, 3, 2,1, durch kurze Musiknummern unterbrochen, wofür zusätzlich zwei Lautsprecher im Bühnenhintergrund positioniert sind). Das Licht im Zuschauerraum ist nur beim Schlussapplaus vollständig aus, der Übergang von Publikum zu Bühne also optisch fließend.
Die gemeinschaftliche Hypnoseveranstaltung („heute in einem Jahr“), wird, nicht unähnlich zu einer realen Hypnose, vom Spruch „Wenn du die Augen öffnest, bist du frei“ beendet.

Trotz und gerade wegen aller Konstruiertheit des Abends: Sehr viel Applaus und die Überlegung, sich diesen Abend mindestens ein weiteres Mal anzuschauen, denn die nächste Aufführung wird garantiert anders.


Markus Gründig, November 18


An Oak Tree
Von: Tim Crouch

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 9. November 18
Besuchte Vorstellung: 14. November18

Regie: Tim Crouch, mit Sebastian Reiß
Bühne: Loriana Casagrande
Kostüme: Anna Sünkel
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt

Besetzung:

Sebastian Reiß, NN (Spielpartner_in wechselt zu jeder Vorstellung)

www.schauspielfrankfurt.de