Alles oder nichts! ~ Ibsens »Brand« am Schauspiel Frankfurt

Brand ~ Schauspiel Frankfurt ~ Brand (Heiko Raulin) © Birgit Hupfeld

Mit beeindruckenden und faszinierenden Bildern der norwegischen Fjordlandschaften wirbt die Tourismusindustrie seit Jahren erfolgreich um Besucher aus aller Welt. Mit Erfolg. Jedes Jahr kommen über 5 Millionen Gäste in das nordische Land, das etwa ebenso viele Einwohner zählt.
Mit seinem rauen Klima und wenig Tageslicht durch die langen Winter, stellt sich der Alltag freilich anders da, als für die Touristen. Erst recht in vergangenen Tagen, wo die Industrialisierung noch nicht so fortgeschritten war und in vielen Perioden große Armut herrschte.

Der norwegische Autor Henrik Ibsen berichtet in seinem dramatischen Gedicht Brand, das 1865, noch vor seinen anderen bekannten Werken (Peer Gynt, Nora, Baumeister Solneß und Hedda Gabler) entstand, von dieser für uns unwirklich wirkenden Landschaft. Die Schneefelder des Hochgebirges sind dabei ebenso wie die von schroffen Bergwänden umschlossenen Fjorde und die Täler meist von dichtem Nebel eingehüllt. Sonnenschein und üppiges Grün sucht man darin vergebens. Mittendrin befindet sich der Pfarrer Brand, der mit unnachgiebiger Härte, auch sich und seiner Familie gegenüber, stur seine radikale Grundhaltung verteidigt und von seinen Mitmenschen einfordert. Brand kann auch als Ibsens Strafpredigt gegen seine Landsleute gesehen werden. Dass es sich bei Brand um einen fundamentalistischen Pfarrer handelt, ist sekundärer Natur. Mit den hervortretenden extremistischen Positionen wird deutlich, wie modern Brand ist. Gefördert von der staatlichen NORLA (Vereinigung Norwegian Literature Abroad), hat Hinrich Schmidt-Henkel das Gedicht zudem neu und in eine zeitlos-heutige Prosafassung übersetzt (und dabei gekürzt).


Brand
Schauspiel Frankfurt
Agnes (Jana Schulz), Einar (Nils Kreutinger)
© Birgit Hupfeld

Karge und düstere Bühne für Brands finstere Heilsbotschaft

Entsprechend Ibsens Vorgabe gibt es in der packenden Inszenierung von Roger Vontobel im Schauspielhaus des Schauspiel Frankfurt viel Nebel, nahezu die ganze dreistündige Vorstellung (mit einer Pause) über. Die Bühne zeigt für die rauen Bergklippen und die kleine Ortschaft an der norwegischen Westküste eine abstrakte Szenerie. Wesentliches Element im Bühnenbild von Olaf Altmann sind zwei dreiecksförmige Spielflächen. Eine lang gezogene liegt quer zur Bühne und ragt in den Zuschauerraum hinein. Die zweite, wesentlich größere Dreiecksform, erinnert an Altmanns Schräge bei Penthesilea (Dez. 2015), wobei diese hier je nach Licht unterschiedliche Farben reflektiert. In der Höhe ist sie variabel, wie sie auch gekippt zu einem unwegsamen Berg oder zur neuen großen Kirche mutiert. Für eine dezent heimelige Atmosphäre im Wohnhaus Brands, das sich zwischen zwei Felsspalten befindet, wird eine große, geschwungene Platte vom Schnürboden herabgesenkt. Es sind offene, weite Räume, die gleichzeitig eine unheimliche Stimmung und Bedrückung widerspiegeln. Hinzu kommt die Livemusik von Keith O’Brien und der Gesang von Katharina Bach als Gerd und nordischer Troll. Oftmals ist es weniger Gesang als ein elektronisch verstärktes unter die Haut gehendes, Albträume erweckendes, extreme Gekrächzte und Gekreische (das oftmals an den Stil von Nina Hagen erinnert).


Brand
Schauspiel Frankfurt
Der Landrat (Isaak Dentler), Brand (Heiko Raulin)
© Birgit Hupfeld

Heiko Raulin als Brand fast immer auf der Bühne

In der Titelrolle des tragisch endenden Pfarrers Brand ist Heiko Raulin fast ständig auf der Bühne und zeigt sich dabei sehr wandelbar. Als wagemutiger, Sturm und Wellen nicht fürchtender Fjordübersetzer verschafft er sich den Respekt der Dorfbevölkerung, gewinnt sodann das Herz der grundgütigen Agnes, grenzt sich von der Gemeinschaft mehr und mehr ab und schaufelt sich mit seinen kompromisslosen Ansichten sein eigenes Grab. Jana Schulz, derzeit auch als Siddhartha in den Kammerspielen zu erleben, zeigt erneut eine beeindruckend starke Präsenz, sei es als losgelöste Braut des Einar (stürmisch: Nils Kreutinger) oder als sich um ihren kleinen Jungen sorgende Mutter, die zunehmend zerbricht. Heidi Ecks gibt mit Nachdruck Brands reiche Mutter (sowie eine ausgestoßene Bettlerin), die nicht bereit ist, ihr mühsam erarbeitetes Vermögen ohne Wenn und Aber aufzugeben und deshalb am Sterbebett feststellen muss, dass Gott gütiger ist, als ihr eigener Sohn. Als mit seiner Selbstgefälligkeit und wendigen Art als Pendant zu Brand stehender Landrat, gefällt Isaak Dentler. In mehreren kleinen Rollen tun dies auch Michael Schütz (Bauer / Der Arzt / Der Küster) und Wolfgang Vogler (Sohn / Ein Mann / Der Lehrer). Uwe Zerwer beschreibt als Probst mit staatstragender Attitüde die Regeln der Gemeinschaft. Eine kleine Schar Statisten ist als Volk beteiligt.

Am Ende hat sich Brand von der Gemeinschaft isoliert und wird oben auf der weiten Hochebene, von einer Lawine begraben, während eine Stimme verkündet „Gott ist deus caritatis!“. Jedoch nicht in der Inszenierung von Roger Vontobel. Gerd spricht als letzte Worte zu dem „Alles oder nichts“ fordernden Brand gewandt, der sich gerade erschossen hat, „… träumt wie eine Taube“. Zumindest hat er nun für sich seinen Frieden gefunden. Die mit diesem Stück zur Diskussion gestellte Autonomie des Einzelnen ermöglicht auch diesen finalen Akt. Sich anbietende aktuelle Bezüge zu heutigen Fanatikern und Fundamentalisten, seien es Politiker oder Klimakämpfer, klingen allenfalls in den Köpfen der Zuschauer an. Sehr viel Applaus.

Markus Gründig


Brand

Ein dramatisches Gedicht in fünf Akten

Von: Henrik Ibsen
Neuübersetzung: Hinrich Schmidt-Henkel
Uraufführung: 24. März 1885 (Stockholm)
Deutsche Erstaufführung: 17. März 1898 (Berlin)

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 12. Oktober 19 (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 13. Oktober 19

Regie: Roger Vontobel
Bühne: Olaf Altmann
Kostüme: Ellen Hofmann
Musik: Keith O’Brien
Dramaturgie: Marion Tiedtke

Besetzung:

Brand: Heiko Raulin
Seine Mutter / Eine Frau: Heidi Ecks
Agnes / Eine Gestalt: Jana Schulz
Einar / Ein Mann: Nils Kreutinger
Der Landrat: Isaak Dentler
Bauer / Der Arzt / Der Küster: Michael Schütz
Sohn / Ein Mann / Der Lehrer: Wolfgang Vogler
Ein Mann / Der Probst: Uwe Zerwer
Gerd: Katharina Bach

schauspielfrankfurt.de