Sängerische Glanzleistungen bei bestechender Neuinterpretation von Puccinis »Manon Lescaut« an der Oper Frankfurt

Manon Lescaut ~ Oper Frankfurt~ Manon Lescaut (Asmik Grigorian) und Chevalier Renato Des Grieux (Joshua Guerrero) ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Der autobiografisch geprägte Roman L’Histoire du chevalier des Grieux et de Manon Lescaut (Die Geschichte des Ritters des Grieux und Manon Lescauts) gilt als Meisterwerk des französischen Schriftstellers Antoine-François Prévost d’Exiles. Er erschien erstmals 1731 und fiel zunächst der Zensur zum Opfer. Die Geschichte des Paares Grieux und Lescaut inspirierte zahlreiche Künstler, darunter Massenet (Manon), Puccini und auch Hans Werner Henze (Boulevard Solitude). War zunächst Massenets Manon Vertonung überaus erfolgreich, wird in jüngerer Zeit eher Puccinis Umsetzung gespielt (allein an der Oper Frankfurt ist dies jetzt die 4. Inszenierung von Puccinis Vertonung nach 1945, während Massenets nur einmal, 2003, inszeniert wurde).

Kluger und frischer Blick auf eine aus der Zeit gefallenen Geschichte

Die Oper erzählt die Geschichte der jungen Manon, die von ihrem Bruder in ein Kloster gebracht werden soll. Vorher verliebt sie sich jedoch in den mittellosen Studenten Renato und brennt mit ihm durch. Dann verlässt sie ihn des Geldes wegen und wählt sich einen wohlhabenden Liebhaber in Paris und wird dort zur Prostituierten. Schließlich findet sie zwar zu ihrem Studenten zurück, verbannt in die USA, stirbt sie in der Wüste von Louisiana.
Nach den Opern La Ville und Edgar, brachte Manon Lescaut dem damals 35-jährigen Giacomo Puccini den großen Durchbruch, künstlerisch und finanziell. Die Oper bietet eine große Fülle inspirierender Melodien. Zugleich schuf Puccini bereits hier die Basis für alle nachfolgenden Erfolge. Die Neuinszenierung von Àlex Ollé an der Oper bietet Sentimentalität im besten Sinne des Wortes, aber auch einen frischen Blick auf eine aus der Zeit gefallenen Geschichte. Ollé zählt zum katalanischen Künstlerkollektiv La Fura dels Baus und stellte sich vor zwei Jahren mit dem Doppelabend La Damoiselle élue (Claude Debussy) und Jeanne d’Arc au bûcher (Arthur Honegger) in Frankfurt vor (der am 14. März 2020 wiederaufgenommen wird).


Manon Lescaut
Oper Frankfurt
Manon Lescaut (Asmik Grigorian) und Chevalier Renato Des Grieux (Joshua Guerrero)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Er nutzt die schillernde Titelfigur, um das Stück von der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts in die Gegenwart zu verorten. So zeigt denn auch schon das Ankündigungsplakat zwei an einer Poledancestange hängende rot lackierte Frauenfüße. Im Vorfilm von Emmanuel Carlier erfahren die Zuschauer, aktuelle Themen wie Flüchtlingsproblematik und modernen Sklavenhandel aufgreifend, dass Manon aus fernen Landen geflohen ist und zunächst als Näherin in einer Fabrik arbeitet, per Kleinbus flieht und schließlich mit diesem auf der Bühne im Gasthof von Amiens, dem Handlungsort des ersten Akts (ein cool anmutender Platz unter einer Art Betonbrücke) ankommt. Dessen Bedienung erinnert an einen Schnellimbiss, die Kundschaft ist kunterbunt gemischt. Menschen unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft sitzen an den Bistrotischen, in Gruppen oder auch einzeln an einem Laptop arbeitend, kommen und gehen.
Frivol wird es im zweiten Akt, der elegante Salon im Palast von Geronte ist ein rot ausgeleuchteter Poledanceclub auf mehreren Ebenen, auf dem sich leicht bekleidete junge Frauen räkeln und strecken und Manon ist natürlich eine von ihnen. Im dritten warten die verbannten Prostituierten in einer großen Käfiganlage (die an Bilder des US-amerikanischen Gefangenenlagers in Guantanamo erinnert) auf ihre Deportation in die Kolonien. Den vierten und letzten Akt beherrscht das in überdimensional großen Lettern gebildete Wort LOVE. Es ist vom ersten Akt an integraler Bestandteil des Bühnenbilds. Nun steht es frei in der ansonsten leeren Weite des Raums. Erst verkehrt herum, doch dreht es sich bis zum Ende langsam bis zur frontalen Ansicht (Bühne: Alfons Flores). Dabei wechselt die Ausleuchtung, die Facetten der Liebe reflektierend, zwischen warm und kalt (Licht: Joachim Klein). Die Liebe hat die beiden zusammengeführt, die Liebe ist das einzige, was Ihnen bleibt. Dieser vierte Akt ist überaus dicht und ergreifend.

Die „Sängerin des Jahres“ ist zurück in Frankfurter

Die litauische Sopranistin Asmik Grigorian gab vor einem Jahr ihr Debüt an der Oper Frankfurt (in Tschaikowskis lyrischem Opereinakter Iolante). Für ihre Interpretation der Salome in Richard Strauss´ gleichnamiger Oper bei den Salzburger Festspielen (2018 und 2019) wurde sie vor kurzem von der Fachzeitschrift Opernwelt als „Beste Sängerin des Jahres“ ausgezeichnet. Ihr Ausnahmetalent, sich in eine Rolle hineinzuversetzen, zeigt sie bei der ambivalenten Figur der Manon exzeptionell. Diese ist einerseits sehr selbstbewusst und stark (nicht zuletzt, wenn sie wie in dieser Inszenierung im Bikini und auf Highheels die Männer heiß macht; Kostüme: Lluc Castells), andererseits aber auch sehr empfindsam und fragil (ergreifend in den Armen von Renato im vierten Akt). Ständig schwankt sie zwischen Geborgenheit, Nähe und Zärtlichkeit suchend und sich dann wieder ganz pragmatisch dem Geld und den schönen Dingen des Lebens zuwendend. Asmik Grigorian ist in jeder Pose und Stimmung szenisch und stimmlich überwältigend.


Manon Lescaut
Oper Frankfurt
Lescaut (Iurii Samoilov) und Manon Lescaut (Asmik Grigorian)
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Sein Deutschland-Debüt gibt bei dieser Produktion der aus Las Vegas stammende US-amerikanische Tenor Joshua Guerrero als Chevalier Renato des Grieux. Diese, auf einen treuen Liebhaber reduzierte, Figur bietet nicht so viele Entwicklungsmöglichkeiten. Dafür ist sie aber die umfangreichste und Joshua Guerrero bringt mit der Not, Trauer und Verzweiflung seines Renatos eindrucksvoll seine große Stimme mit Strahlkraft und Schmelz zum Leuchten. Als Manons dubioser Bruder Lescuat, bei dem man nie so genau weiß, auf welcher Seite er gerade steht, begeistert Bariton Iurii Samoilov, mit Tatoos, Jogginghose, coolen Sneakers oder auch in aufgerissener Jeans, stets lässig und cool wirkend. Voller positiver Energie ist des Grieuxs Freund Edmondo des Tenors Michael Porter. Donato Di Stefano gibt den Sonnenbrille tragenden Geronte de Ravoir, der es ebenfalls auf Manon abgesehen hat. Und auch die kleinen Rollen wirken formidabel: wie Bass Magnús Baldvinsson als Wirt, Sopranistin Bianca Andrew als Tänzerin (Musiker), Bassbariton Pilgoo Kang (vom Opernstudio) als Kapitän, Tenor Jaeil Kim als Tanzmeister und Bassbariton Božidar Smiljanić als Sergeant. Als zusätzliche originelle Idee der Regie mutiert die Rolle des Laternenanzünders ím 3. Akt zu einer Dragqueen (erstmals an der Oper Frankfurt und galant: Tenor Santiago Sánchez). Der von Tilman Michael einstudierte Chor der Oper Frankfurt ist als Bürger, Studenten und Soldaten szenisch stark eingebunden.

Das Frankfurter Opern und Museumsorchester sorgt wieder einmal für einen Spitzenklang, mit zarten und heftig strahlenden Klangfarben. Am Pult verantwortlich dafür ist mit großer Leidenschaft und Akkuratesse der junge Dirigent Lorenzo Viotti (im März 2020 wird er 30).

Am Ende intensiver und lang anhaltender Applaus und Standing Ovations für diese furiose Manon Lescaut.

Markus Gründig, Oktober 19


Manon Lescaut
Oper Frankfurt
Manon Lescaut (Asmik Grigorian; in der vorderen linken Bildhälfte), Geronte de Ravoir (Donato Di Stefano; rechts von ihr in beigem Anzug) und Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Manon Lescaut
Dramma lirico in vier Akten

Von: Giacomo Puccini
Premiere an der Oper Frankfurt: 6. Oktober 19
Besuchte Vorstellung: 10. Oktober 19

Musikalische Leitung: Lorenzo Viotti
Inszenierung: Àlex Ollé (La Fura dels Baus)
Bühnenbild: Alfons Flores
Kostüme: Lluc Castells
Licht: Joachim Klein
Video: Emmanuel Carlier
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Stephanie Schulze

Besetzung:

Manon Lescaut: Asmik Grigorian
Lescaut: Iurii Samoilov
Chevalier Renato des Grieux: Joshua Guerrero
Geronte de Ravoir: Donato Di Stefano
Edmondo: Michael Porter
Der Wirt: Magnús Baldvinsson
Ein Musiker: Bianca Andrew
Ein Tanzmeister: Jaeil Kim
Der Laternenanzünder: Santiago Sánchez
Der Sergeant: Božidar Smiljanić
Der Kapitän: Pilgoo Kang *

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

* Mitglied des Opernstudios

oper-frankfurt.de