Schwungvolle »Gräfin Mariza« mit nostalgischer Note am Staatstheater Wiesbaden

Gräfin Mariza ~ Staatstheater Wiesbaden ~ Gräfin Mariza (Sabina Cvilak) ~ © Karl und Monika Forster

Als zweite große Musiktheaterproduktion der Jubiläumsspielzeit 2019/20 präsentiert das Staatstheater Wiesbaden mit Emmerich Kálmáns Gräfin Mariza einen Klassiker des Operettengenres, der kunstvoll Humor und Sentiment miteinander verbindet. Dabei handelt es sich um eine Inszenierung von Thomas Enzinger, die ab 2014 bereits an der Volksoper Wien zu sehen war und nun von ihm für Wiesbaden und das Jahr 2019 angepasst wurde. Enzinger ist ausgebildeter Schauspieler und seit vielen Jahren erfolgreich als Regisseur im musikalischen Unterhaltungstheater tätig. Seit Mai 2017 ist er zudem Intendant und Geschäftsführer des renommierten Lehár Festivals Bad Ischl.


Gräfin Mariza
Staatstheater Wiesbaden
Ensemble, Tänzer, Chor
© Karl und Monika Forster

Retrospektive Erzählung mit heißblütigem Tanzensemble

Noch während die letzten Besucher ihren Platz einnehmen, befinden sich mit einer Kartenlegerin (geheimnisvoll: Saem You), einem Geigenspieler (passend zur gleichnamigen Operette Kálmáns, als Zigeunerprimas bezeichnet) und einer Tänzerin, drei Darsteller auf der Bühne (deren Kulisse zunächst von einem großen Tuch bedeckt ist). Eröffnet wird nicht mit der vom Orchester gespielten Ouvertüre, sondern mit einem karg begleiteten und melancholischen Lied der Kartenlegerin. Sodann erscheint der alte Kammerdiener Tschekko (Gottfried Herbe) mit einem Mädchen, das sich fragt, was die Kartenlegerin gerade gesungen hat. Die Geschichte der Gräfin Mariza und ihres Verwalters Tassilo wird als Antwort darauf als Rückblick erzählt, bei dem das Mädchen zwischendurch immer wieder erscheint und Tschekko fragt, warum sich die Erwachsenen mit der Liebe so schwer tun (währenddessen das Bühnengeschehen dann jeweils zum Stillstand kommt).
Bevor aber die Geschichte einsetzt, zeigt ein aus vier Paaren bestehendes Tanzensemble barfüßig und temperamentvoll zahlreiche kleine Liebesgeschichten. Auch bei den weiteren Tanznummern, von denen es erfreulicherweise einige gibt, sind die TänzerInnen heißblütig, voller Dynamik dabei (mitsamt artistischen und Breakdance-Elementen, mit kurzem Rap und auch swingend im Charleston-Stil, bei einer eigens für diese Operette komponierten Nummer von Charles Kálmán; Choreografie: Evamaria Mayer). Sie sind, ebenso wie der Zigeunerprimas (Igor Mishurisman) ganz in Schwarz gekleidet. Folkloristische Elemente sind nur sehr dezent enthalten. Wie in dieser Inszenierung generell der Bezug zum Handlungsort Ungarn bzw. zur Puszta gering gehalten wird.


Gräfin Mariza
Staatstheater Wiesbaden
Graf Tassilo von Endrödy-Wittemburg(Thomas Blondelle), Fürstin Božena Guddenstein zu Clumetz (Désirée Nick)
© Karl und Monika Forster

Drehbühne sorgt für Stimmungswechsel und Désirée Nick gibt sich selbstironisch und kabarettistisch

Für die Wechsel zwischen Innen- und Außenbereich im Schlossgut der Gräfin Mariza ist die Drehbühne im ständigen Einsatz. Sie zeigt vor der Schlossfassade eine Treppenanlage (später auch das Tabarin und eine Art Lustgarten mit zahlreichen Portalen) und im Innenbereich wechselnd, ein Kaminzimmer, Kinderstube und Marizas Rückzugsbereich. Die Kostüme der Gräfin sind elegant und stilvoll, die der Gäste nehmen Bezug zu den 1920er Jahren, also zur Zeit der Uraufführung (Bühne, Kostüme: Toto). Der von Albert Horne einstudierte Chor des Staatstheater Wiesbaden bringt sich als feierfreudige Gästeschar klangstark ein.

Extravagant und mit viel Glitzer, Federn und Haarschmuck ausgestattet, erscheint zum Ende hin die Fürstin Božena Guddenstein zu Clumetz, von Tassilo kurzerhand „Tante Durchlaucht“ genannt, der Désirée Nick. Die vielseitige Unterhaltungskünstlerin spielt hier nicht nur ihre Paraderolle einer Diva und zeigt ihre langen Beine, für sie wurde extra ein Couplet eingefügt. Wallersteins Entrée-Couplet aus Kálmán Ein Herbstmanöver wurde mit neuem Text versehen. Die erste Strophe ironisiert das Thema Schönheitswahn bei reifen Damen („Fünf Operationen und dann die nächste gratis“), die zweite Strophe ist mit ironischen Anspielungen auf Trump und Johnson politisch und die Zugabe (… „für den alten Herrn in der Königsloge“…), wird gar auf Gretas Klimaaktivismus Bezug genommen. Wer wagt es da zu sagen, Operette sei von gestern.


Gräfin Mariza
Staatstheater Wiesbaden
Baron Koloman Zsupan (Erik Biegel), Lisa (Shira Patchornik)
© Karl und Monika Forster

Sabina Cvilak und Thomas Blondelle in den Hauptrollen

Die Sopranistin Sabina Cvilak gibt der Gräfin Mariza das Bild einer modernen Frau mit großer Anmut, zeigt Verletzlichkeit genauso intensiv wie Stärke und glänzt mit schöner Stimme (nicht nur bei „Komm mit nach Varasdin“). Dabei macht sie in jedem ihrer Kostüme einen blendenden Eindruck. Tenor Thomas Blondelle zeigt sich als verarmter Graf und Gutsverwalter Tassilo mit vielen Facetten und erfüllt die stimmlich sehr fordernde Rolle vortrefflich (mit „Grüß mir die süßen, die reizenden Frauen im schönen Wien“ und „ Komm, Zigan, komm, Zigan, spiel mir was vor“) hat er zudem die Ohrwürmer dieser Operette zu singen). Sein komisches Talent spielt Erik Biegel als Baron Koloman Zsupan besonders bewegungsreich aus. Dazu passt die als aufgeregtes Püppchen gezeichnete Lisa der Shira Patchornik. Zusammen singen die beiden wunderbar „Ich möchte träumen von dir, mein Puzikam“. Als Langzeitverlobter der Fürstin und sich selbst als bester Ehemann für die Gräfin empfielt sich der tragikomische Fürst Populescu des Björn Breckheimer. Tassilos Freund Karl Stephan Liebenberg gibt entspannt Thomas Jansen. Aufgewertet wurde die Sprechrolle des Penižek (Kammerdiener der Fürstin), der hier nicht nur ihrer Mimik Ausdruck verleihen muss (die ihr wegen zahlreicher Schönheitsoperationen abhanden gekommen ist), sondern als Kritiker a. D. alles mit Musik~Theatertiteln kommentiert (mit Sinn für Humor: Klaus Krückemeyer).

Sehr viel Applaus und Standing Ovations für diese ausbalancierte Umsetzung und nicht zuletzt auch für das unter der musikalischen Leitung von Christoph Stiller subtil und schmissig aufspielende Hessische Staatsorchester Wiesbaden.

Markus Gründig, Oktober 19


Gräfin Mariza
Operette in drei Akten

Von: Emmerich Kálmán (1882 – 1953)
Libretto: Julius Brammer und Alfred Grünwald
Uraufführung: 28.Februar 1924 (Wien, Theater an der Wien)

Premiere am Staatstheater Wiesbaden: 5. Oktober 19 (Großes Haus)
Musikalische Leitung: Christoph Stiller
Inszenierung: Thomas Enzinger
Bühne, Kostüme: Toto
Licht: Klaus Krauspenhaar, Sabine Wiesenbauer
Chor: Albert Horne
Choreografie: Evamaria Mayer
Dramaturgie: Katja Leclerc
Assistenz Choreographie / Dance Captain: Myriam Lifka

Besetzung:

Gräfin Mariza: Sabina Cvilak, Betsy Horne
Fürst Populescu: Björn Breckheimer
Baron Koloman Zsupan (Verlobter): Erik Biegel
Graf Tassilo von Endrödy-Wittemburg(Verwalter): Thomas Blondelle, Marco Jentzsch
Lisa: Shira Patchornik
Karl Stephan Liebenberg: Thomas Jansen
Fürstin Božena Guddenstein zu Clumetz (Tante von Tassilo): Désirée Nick
Penižek: Klaus Krückemeyer
Tschekko: Gottfried Herbe
Manja: Saem You
Zigeunerprimas: Igor Mishurisman

TänzerInnen: Janina Clark, Nathalie Gehrmann, Sofia Romano, Helena Sturm, Davide de Biasi, Tim Cecatka, Manuel Gaubatz, Christian Meusel

Chor & Statisterie des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden
Hessisches Staatsorchester Wiesbaden

staatstheater-wiesbaden.de