Lustvolle und ergebnisoffene Befragen der Zukunft mit »1994 – Futuro al dente« am Schauspiel Frankfurt

1994 – Futuro al dente ~ Schauspiel Frankfurt ~ Navigatix (Torsten Flassig), Data Luv (Altine Emini), Doktore (Samuel Simon), Funki (Christoph Pütthoff), Ko-Captain (Fridolin Sandmeyer), Captain (Melanie Straub) ~ © Jessica Schäfer

Mit ihrem Whodunit-Krimi Der alte Schinken stellte sich das Autorenduo Nele Stuhler und Jan Koslowski im April 2018 am Schauspiel Frankfurt vor. Das Erfolgsstück wird am Silvesterabend zum letzten Mal gespielt werden (die Vorstellung ist bereits ausverkauft). Ob die neueste Stückentwicklung der beiden, 1994 – Futuro al dente, einen ähnlichen Erfolg haben wird, liegt in der Zukunft. Und diese ist zugleich ihr Thema. Die Zukunft kann rosarot oder dystopisch sein. Aber immer ist die Vorstellung von Zukunft aus Bildern der Gegenwart und Vergangenem genährt.

Mit der MS Futuro zur Standortbestimmung der Gegenwart

Auch diese Stückentwicklung entstand als Work in progress in enger Zusammenarbeit mit den DarstellernInnen. In den Probenprozess sollen großen Mengen an Materialien zum Thema eingeflossen sein (darunter auch das Buch „Unruhig bleiben: Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“ von Donna Haraway). Das ist auf der Bühne nur bedingt zu erfassen. Viele gesellschaftspolitische Implikationen werden nur kurz angerissen oder geraten in der lustvollen szenischen Umsetzung in den Hintergrund.

Die formale Geschichte einer Weltraumfahrt mit der MS Futuro gibt den äußeren Rahmen ab. Gespielt wird nicht in der Gegenwart, sondern 25 Jahre zurück. 1994, ein Zufallsdatum, sieht man von zufälligen Ereignissen wie den Tod von Kurt Cobain oder die Einschulung von Jan Koslowski ab. Aber auch das ist nicht zu genau zu nehmen, denn mit Zahlen hat es das Stück nicht so sehr. Hat die Crew jetzt nun 10 Jahren geschlafen und/oder ist sie 40 Jahre bereits auf ihrer Mission? Auf jeden Fall soll die Zukunft angenehm und schmackhaft, also bissfest (al dente) sein. Zugleich nimmt das Stück lose Bezug zum Spielzeitmotto „Morgen ist heute“.


1994 – Futuro al dente
Schauspiel Frankfurt
Ko-Captain (Fridolin Sandmeyer), Doktore (Samuel Simon), Captain (Melanie Straub), Data Luv (Altine Emini), Navigatix (Torsten Flassig)
© Jessica Schäfer

Hierfür wurde die Bühne der Kammerspiele in einen kunstvollen Raum verwandelt (ohne konkret eine Kommandobrücke, oder andere Räume eines Raumschiffs zu zeigen). Hinter einem mondän wirkenden Schiebevorhang befindet sich vor weißen Wänden ein großes Objekt aus aufeinandergestapelten Leuchtplateaus (ein nicht so leicht zu bedienender virtueller Assistent Kassandra; Bühne: Chasper Bertschinger). Großflächige sphärische Projektionen vermitteln eine gewisse Weltraumatmosphäre (Animationen: Luis August Krawen). Formal beginnt der Abend mit dem Erwachen der Crew nach langem, sehr langem Schlaf. Der Warp-Antrieb existiert nach wie vor nur als Idee, Weltraumflüge dauern noch Ewigkeiten. Captain General Major Utro Zavtra (strahlend: Melanie Straub) wacht als Erste auf, oder träumt sie noch? Sie weiß es selbst nicht so recht. Nach und nach kommt der Rest der kleinen Crew dazu: Ko-Captain Ralle (heiter: Fridolin Sandmeyer), Navigatix Avanti Popolo (zurückhaltend: Torsten Flassig) und Doktore Senza Glutini (energetisch: Samuel Simon). Und wie es sich für ein Raumschiff gehört, gibt es auch einen Androiden: Data Luv (eloquent: Altine Emini). Und es gibt noch den Funki des Christoph Pütthoff. Er ist kein Mensch, weder Tier noch Pflanze, sondern ein Pilz. Das Potential von Pilzen ist noch wenig erforscht, sie gelten als Rohstoff mit Zukunft, als Nahrungsgrundlage für eine wachsende Weltbevölkerung und Alternative für Plastik. Die Zukunft gehört ihnen. Kein Wunder, dass sich die Crew nur zu gerne mit ihm verbindet, schafft Harmonie doch auch Frieden und soziale Bindungen können wachsen.

Der Abend ist auch eine Hommage an dem in diesem Jahr verstorbenen US-amerkanischen Musiker und Indiestar Daniel Johnston (* 1961), der an einer bipolaren Störung litt. Das Cover seines Albums „Hi, How Are You“ prangert auf des Captains Schlafumhang. Zwei später erscheinende Aliens spielen mit ihren weit herausragenden Augen ebenfalls darauf an (Kostüme: Svenja Gassen). Und es ertönen viele seiner Gutelaunesongs. Am Ende bleibt Kassandra schuldig, den Missionsplan herauszugeben, denn schon allein das nötige Logbuch ist fehlerhaft: es fehlt. Das ist nun Aufgabe des Publikums, diesen für sich zu finden. Große Beifallsbekundung vom Premierenpublikum.

Markus Gründig, Dezember 19


1994 – Futuro al dente

Eine Stückentwicklung von: Nele Stuhler und Jan Koslowski

Premiere/Uraufführung am Schauspiel Frankfurt: 6. Dezember 19 (Kammerspiele)

Regie: Nele Stuhler, Jan Koslowski
Bühne: Chasper Bertschinger
Kostüme: Svenja Gassen
Animationen: Luis August Krawen
Dramaturgie: Lukas Schmelmer

Besetzung:

Captain General Major Utro Zavtra: Melanie Straub
Data Luv: Altine Emini
Ko-Captain Ralle: Fridolin Sandmeyer
Navigatix Avanti Popolo: Torsten Flassig
Doktore Senza Glutini: Samuel Simon
Funki: Christoph Pütthoff,

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