Carl Maria von Webers »Der Freischütz« am Staatstheater Mainz

Der Freischütz ~ Staatstheater Mainz ~ Kilian (Dennis Sörös,) Max (Alexander Spemann), Ensemble ~ © Andreas Etter
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Sein Konterfei ist nur wenigen vertraut, dennoch zählt Carl Maria von Weber zu den wichtigsten Komponisten der Musikgeschichte. Auch hat er heutzutage nicht die Popularität, die er verdient. In seinem relativ kurzen Leben (1786 – 1826) machte er sich nicht nur als Komponist von zehn Opern und Schöpfer des romantischen Opernklangs einen Namen, sondern auch als Musikschriftsteller und -organisator. Sein Œuvre war Vorbild der Wagnerschen Musikdramen. Weber sorgte mit tonmalerischen Effekten für eine bis dato nicht bekannte Farbe im Orchesterklang, verwendete Leitmotive. Zudem ebnete er den Weg für eine deutsche Opern-Entwicklung und brach die Vorherrschaft der bis dato maßgebenden italienischen und französischen Opern. Beim Freischütz stehen einfache Menschen im Mittelpunkt, keine Fürsten oder Könige.

Diesen Sommer jährte sich die Uraufführung seiner Erfolgsoper zum 200. Mal. Hierzu gab es u. a. im Konzerthaus Berlin, dem Ort der Uraufführung (damals noch Königliches Schauspielhaus) eine besondere Inszenierung mit dem katalanischen Künstlerkollektiv La Fura dels Baus (in der Regie von Carlus Padrissa und der musikalischen Leitung von Christoph Eschenbach).
Die Uraufführung 1821 fand nicht in allen Punkten Webers Zustimmung. So soll er kritisiert haben, dass das Bühnenbild von Gropius die Standesunterschiede nicht darstellte und die eleganten Kostüme von J. H. Stürmers nicht der Handlungszeit (nach dem Dreißigjährigen Krieg) entsprachen. Dennoch wurde allein diese Inszenierung über 500 Mal gespielt.

Der Freischütz
Staatstheater Mainz
Agathe (mitte: Nadja Steinhof) und die Brautjungfrauen (Hwakyung Lee, Nerea Elizaga Gómez, Nayun Lea Kim*, Eunyoung Park)
© Andreas Etter

Am Staatstheater Mainz feierte jetzt eine Neuinszenierung Premiere, die ursprünglich bereits für die Spielzeit 2020/21 geplant war. Intendant Markus Müller zeigte sich bei seiner kurzen Ansprache vor der Premiere hoch erfreut, dass nach nunmehr 20-monatiger Pause endlich wieder große Oper (mit Chor und Extrachor) gegeben werden kann und dankte allen Beteiligten ob der außergewöhnlichen Herausforderungen inmitten der Corona-Krise.

Alexander Nerlich ist seit der Spielzeit 2019/20 Hausregisseur am Staatstheater Mainz und inszenierte dort bisher im Schauspielbereich (wie Aggro Alan oder Hexenjagd). Bei seiner Umsetzung des Freischütz nimmt er engen Bezug zur Handlungszeit, die kurz nach Beendigung des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) liegt. Dunkle Spuren der Verstörung, des Verlusts und der Zerstörung sind vorherrschend.

Wolfgang Menardi schuf ihm ein Einheitsbühnenbild, dass aus einer Kombination einer Festhalle mit fahlen gelben Wänden, eines ehemals herrschaftlichen Forsthauses mit dunkel vertäfelten Wänden und einem angedeuteten Waldidyll besteht, mitsamt einem Boden aus verbrannter Erde. Die Dunkelheit der Romantik wird so optisch erlebbar (Licht: Frederik Wollek). Die Spuren des Krieges sind auch in den Kostümen unübersehbar. So tragen Jäger, das fürstliche Gefolge, Musikanten und Schenkmädchen zwar durchaus elegante Roben, allerdings haben diese deutliche Spuren des brutalen Krieges. Jedes Kleidungsstück hat durch äußere Einflüsse (wie Dreck, Schimmel und Schwefel) entstandene Farbverläufe. Am krassesten fallen diese Beschädigungen bei den vier Brautjungfern (Nerea Elizaga Gómez, Hwakyung Lee, Nayun Lea Kim und Eunyoung Park) bei „Wir winden dir den Jungfernkranz“ auf, deren ehemals weiße Kleider nur so von schwarzen Flecken und Strähnen durchzogen sind (Kostüme: Zana Bosnjak).

Der Freischütz
Staatstheater Mainz
Kasper (Derrick Ballard)
© Andreas Etter

Zur Verbildlichung von Verdrängtem und Unbewusstem erweiterte Nerlich die Figur des schwarzen Jägers Samiel, dem Herrn der dunklen Wolfsschlucht. Die Tänzerin Alessia Ruffolo ist als androgyner Samiel omnipräsent. Jeder Figur erscheint sie mit beeindruckender Agilität als jeweilige Projektionsfläche (Choreografie: Jasmin Hauck). Dies gibt den Figuren einerseits mehr Tiefe, lenkt andererseits aber auf Dauer ab.

Der Jägerbursche Max ist in dieser Inszenierung als dauerhaft deprimierter und strauchelnder Tropf gezeichnet, nicht als kämpferischer Held („Nein, länger trag ich nicht die Qualen…“). Tenor Alexander Spemann vermittelt ihn klangschön. Bass-Bariton Derrick Ballard trumpft als dämonischer Kaspar mit profunder Stimme auf („Scheig“).
Nadja Stefanoff verzaubert als entrückt wirkende Förstertochter Agathe mit aufblühenden lyrischen Spitzentönen („Und ob die Wolke sie verhülle“). Wie dies auch die aus Armenien stammende junge Sopranisten Julietta Aleksanyan als couragiertes Ännchen tut („Kommt ein schlanker Bursch“). Sie zählt seit dieser Spielzeit zum Mainzer Ensemble. Ihre Fröhlichkeit wirkt unmittelbar ansteckend.

Souverän fügen sich Brett Carter ( Böhmischer Fürst Ottokar), Stefan Stoll ( fürstlicher Erbförster Kuno), Stephan Bootz (Ein Eremit) und Dennis Sörös (treffsicherer und reicher Bauer Kilian) ein.

Trotz langer Auftrittspause in großer Besetzung hat der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor des Staatstheater Mainz (verstärkt um den Extra-Chor) nichts von seiner vorzüglichen Schlagkraft verloren. Generalmusikdirektor Hermann Bäumer hält am Pult des Philharmonischen Staatsorchester Mainz nicht nur die Fäden zusammen, sondern spinnt aus Webers unmittelbar in den Bann ziehender Musik ein packendes Netz mit Suggestivkraft.

Markus Gründig, November 21


Der Freischütz

Romantische Oper in drei Aufzügen

Von: Carl Maria von Weber
Libretto: Friedrich Kind

Uraufführung: 18. Juni 1821 (Berlin, Königliches Schauspielhaus)

Premiere am Staatstheater Mainz: 20. November 21 (Großes Haus)

Musikalische Leitung: Hermann Bäumer
Inszenierung: Alexander Nerlich
Bühne: Wolfgang Menardi
Kostüme: Zana Bosnjak
Choreografie: Jasmin Hauck
Licht: Frederik Wollek
Chor: Sebastian Hernandez-Laverny
Dramaturgie: Elena Garcia Fernandez

Besetzung:

Ottokar: Brett Carter / Michael Dahmen
Kuno: Stefan Stoll
Agathe: Nadja Stefanoff
Ännchen: Julietta Aleksanyan
Kaspar: Derrick Ballard / Stephan Bootz
Max: Alexander Spemann
Ein Eremit: Stephan Bootz / Derrick Ballard
Kilian: Dennis Sörös
Brautjungfern: Nerea Elizaga Gómez*, Hwakyung Lee*, Nayun Lea Kim*, Eunyoung Park*
Samiel: Alessia Ruffolo

*Junges Ensemble des Staatstheater Mainz

Chor und Extrachor des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz

staatstheater-mainz.de