Bemerkenswerter Monolog »Aggro Alan« am Staatstheater Mainz

Aggro Alan ~ Staatstheater Mainz ~ Roger (Klaus Köhler) ~ © Andreas Etter
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Eigentlich hätte die Premiere von Penelope Skinners Monolog Aggro Alan schon im September am Staatstheater Mainz stattfinden sollen. Doch ein Wadenbeinbruch des Darstellers macht dies unmöglich. Bei der jetzt im Dezember erfolgten Premiere am Abend vor dem 4. Advent sorgte wiederum die Technik für Probleme, sodass die Vorstellung bereits nach wenigen Minuten abgebrochen werden musste (mit einer zum Stück passenden spitzen Bemerkung des Darstellers: „Frauen an der Technik“). Diese ist mit ausgefeilten und punktgenauen Videoprojektionen ein essenzieller Bestandteil der Inszenierung von Alexander Nerlich (der jüngst Millers Hexenjagd im Kleines Haus inszenierte). Da, wie Intendant Markus Müller anmerkte, aller guten Dinge drei sind, klappte es nach einer kleinen Verzögerung beim dritten Anlauf wie am Schnürchen.

Bei Aggro Alan geht es um moderne Rollenbilder und Verhaltensmuster in reduzierter Sicht: Frauen als Emanzen und Männer als ratlos Verlorene. Der frustrierte Supermarktangestellte Roger rekapituliert entscheidende Stationen seines Lebens. Gefühle darf er indes nicht zeigen, in der gynozentrischen Gesellschaft ist er auf die Rolle des Versorgers reduziert (in diesem Zusammenhang wird mehrfach erwähnt, dass in den USA 70 % aller Selbstmörder Männer sind). Thesen des charismatischen Angry Alan öffnen Roger die Augen, dass er wie in einem Käfig gefangen ist. In der von Alan geführten Männerrechtsbewegung findet er Gleichgesinnte, Trost und Zuflucht. Sein Verhältnis zu seinem Sohn, dem er sein guter Vater sein will, kann er dadurch jedoch nicht zum Guten wenden.


Aggro Alan
Staatstheater Mainz
Roger (Klaus Köhler)
© Andreas Etter

Geschrieben hat Aggro Alan kein Mann, sondern die britische Dramatikerin Penelope Skinner (* 1978). Mit viel Feingefühl und Witz zeichnet sie ein differenziertes Bild von Roger und bezieht die nächsten Personen um ihn mit ein. In der Inszenierung von Alexander Nerlich kommen diese Figuren als Videoprojektionen zum Leben: als unverschämter und brutaler Supermarktkunde, als Freundin Courtney (samt Kolleginnen) und Sohn Joe, aber auch als anonyme Stimme aus dem Off. Und auch das Publikum wird anfangs etwas mit einbezogen, also der männliche Teil, die „Brüder“. Sie dürfen, ja sollen mit Roger gemeinsam den Ritus beschwören „Gut, mutig und klug“ zu sein und als Zeugnis ihres gewachsenen Selbstbewusstseins aufstehen.

Gespielt wird in der 2. Etage der Spielstätte Filiale. Der für ein Solo recht große Raum ist hierfür mit einem Spalier aus Gazevorhängen versehen, zusätzlich kommen zwei mobile Vorhänge auf großen Kleiderstängel und ein Vorhang im Hintergrund zum Einsatz. Szenen im Supermarkt, zu Hause und in Courtneys Job werden gekonnt als Synthese zwischen live Spiel und projizierten vorgefertigten Bildern dargeboten. Später entstehen aus den Vorhängen ein Zelt und ein Lagerfeuer (Ausstattung, Video: Stefano Di Buduo).
Trumpf der 75-minütigen Inszenierung ist die Besetzung des Roger mit Klaus Köhler, der die Figur eines ganz normalen Mannes mittleren Alters von vielen Seiten und ohne übertriebenen Pathos zeigt: Kraftvoll, wütend, verstört, verzweifelt, kämpferisch und stets würdevoll. Rogers Faszination für die Männerrechtsbewegung erscheint plausibel, wobei sein größter Schritt diesbezüglich ist, für sündhaft viel Geld an einer Konferenz teilzunehmen, an der Angry Allan sprechen wird. Dass sich sein Sohn dann dort vor ihm auf dem Campingplatz ausgerechnet als Gender fluid outet, erscheint dann doch etwas arg konstruiert von Skinner. Bei Roger löst der Regelverstoß, sich die Freiheit zu nehmen, sich nicht auf ein Geschlecht festlegen zu lassen, einen zu starken Affekt aus. Er läuft davon, lässt sein Gewehr aber zurück bei seinem Sohn. Kurz darauf fällt ein Schuss…

Für das an sich schnelle Ende findet die Inszenierung ein poetisches Nachspiel. Nach seinem Suizid erscheint Sohn Joe, in Form des Tänzers Tristan El Mouktafi, leibhaftig. Die jahrelangen unterschwelligen Konflikte werden nun in einem ergreifenden Kampf durchlebt (Choreografie: Sebastian Zuber, Musik: Malte Preuß) und Joe vergibt seinem Vater und umhüllt ihm mit Liebe, bringt ihn sanft ins Leben zurück, das er nun neu zu gestalten hat.
Kräftiger und sehr langer Applaus.

Markus Gründig, Dezember 19


Aggro Alan

(Angry Allan)

Monolog

Von: Penelope Skinner
Deutsch von: Thomas Huber

Uraufführung: 2018 (Edinburgh, Fringe Festival)

Premiere am Staatstheater Mainz: 21. Dezember 19 (Filiale)

Inszenierung: Alexander Nerlich
Ausstattung, Video: Stefano Di Buduo
Musik: Malte Preuß
Choreografie: Sebastian Zuber
Dramaturgie: Rebecca Reuter
Licht: Florian Kuster

Besetzung:

Roger: Klaus Köhler
Joe: Tristan El Mouktafi

staatstheater-mainz.de