Eine auf den ersten Blick nicht naheliegende Verbindung zwischen Wolfgang Amadeus Mozart und Jacques Offenbach zeigt in dieser Spielzeit das Staatstheater Mainz auf. Dabei spielt die griechische Mythologie um den Trojanischen Krieg eine zentrale Rolle. Mozarts Dramma per musica Idomeneo (Premiere war Ende September) spielt unmittelbar nach diesem, Offenbachs Opéra-bouffe Die schöne Helena zeigt auf, wie es zu ihm kam.
Anders als Mozart karikiert Offenbach das Geschehen um die schönste Frau der Welt (Helena). Er entheroisiert die Welt der Götter und zeigt parodistisch deren menschliche Schwächen auf. Für das Staatstheater Mainz hat die Regisseurin Cordula Däuper das vor 160 Jahren uraufgeführte Werk jetzt ideenreich in die Gegenwart geholt. In Mainz inszenierte sie bereits 2021 Mozarts La finta giardiniera und 2022 Mozarts Cosi fan tutte.
Bei Venus auf der Beratungscouch
Gespielt wird die kritische Ausgabe von J. C. Keek in der deutschen Textfassung von Gunter Selling. Regisseurin Cordula Däuper und Chefdramaturgin Sonja Westerbeck haben daraus eine eigene Textfassung erstellt. Diese wartet nicht nur mit viel Gegenwartssprache auf, sondern auch mit Einfügung der Göttin Venus. Diese hat Paris als Dank für sein Urteil beim Schönheitswettstreit die schönste aller Frauen versprochen und Helena nach Kythera beordert, kommt szenisch aber eigentlich gar nicht vor. Hier erwacht ihre Statue zum Leben und führt fortan als Psychotherapeutin Behandlungsgespräche mit dem verzweifelten Menelaos, dem testosterongesteuerten Paris und der liebessüchtigen Helena. Die Schauspielerin Barbara Behrendt gibt sie, mit wechselnder Haarpracht, sehr wortgewandt.
Die durch viele gesprochene Zwischentexte ohnehin ständig unterbrochene Opéra-bouffe mutiert durch die zusätzlich eingeführten Passagen fast zu einem Theaterstück mit Musik. So ist der erste Teil (Akte 1 und 2) durch die vielen Unterbrechungen, Zwischenvorhänge und eingeschobener Beratungscouch schon etwas zäh und wirkt eher bemüht als locker. Von Champagnerlaune und Walzerseligkeit ist wenig zu spüren.
Farbenfrohe Bilder und Kostüme
Dafür unterhält die Szenerie mit farbenfrohen Bildern und ebensolchen Kostümen. Letztere haben direkte Bezüge zur griechischen Mythologie (Kostüme: Sophie du Vinage), erstere eher zur Gegenwart (Bühne: Pascal Seibicke). Blau und Weiß, die Farben Griechenlands, kommen überall vor.
Gleich zu Beginn trifft Helena an einem Döner-Verkaufswagen auf Paris. Die Spiel-Szene zu Beginn des 2. Akts zeigt einen großen Spieltisch mit Publikumstribüne und im 3. Akt führt der Strand von Nauplia (Nafplio) mit seinen vielen Liegestühlen und Sonnenschirmen beim Publikum zum Schmunzeln. Helenas einsehbares Schlafgemach, indem sie wild mit Paris „träumt“, gleicht einer großen Parfümverpackung.
Das Philharmonische Staatsorchester Mainz glänzt
Auf musikalischer Seite glänzt das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter Kapellmeister Samuel Hogarth. Offenbachs eingehende Melodien mit Ohrwurmcharakter kommen herrlich gefühlvoll und sprudelnd zur Geltung. Der Titelrolle der schönen und temperamentvollen Helena gibt die Sopranistin Maren Schwier ein markantes und vielseitiges Profil. Sehr schön die Arie „Ehre! Lob sei dem Sieger dargebracht! („Ehre sei dem Schäfer dargebracht – Es ist der Apfelmann“). Einnehmend ihr Duett „ Ja, ein Traum, schön und mild“ mit Paris. Diesen gibt Tenor Benjamin Lee vom MiR Gelsenkichen. Er überzeugt gleich zu Beginn mit seiner strahlkräftigen Stimme und lyrischen Wohlklang bei seiner Auftrittsarie „Auf dem Berge Ida… Evoe… “.
Die Partie des Paris wird bei späteren Vorstellungen auch von Mark Watson Williams gegeben, wie auch Vera Ivanović als Helena zu erleben sein wird.
Tenor Alexander Spemann gibt eindringlich den gehörnten König Menelaos, der am Schluss zum Krieg gegen Troja aufruft.: Mit starker szenischer Präsenz: Bariton Gabriel Rollinson als Agamemnon, König der Könige. Dessen Sohn Orest hat hier seine wahre Identität gefunden und wurde zu Oresta (provozierend: Verena Tönjes). Als Systemkritikerin schwenkt sie mutig die Friedensflagge und konstatiert am Ende, dass Männer Kriegen führen, weil sie zu wenig Sex haben.
Bei der Premierenvorstellung wurde die Partie des Kalchas (Großaugur Jupiters) wegen Erkrankung des Bassbaritons Tim-Lukas Reuter doppelt ersetzt: Bass Igor Storozhenko sang die Rolle von der Seite, während Regieassistentin Sophie Kochanowska die Partie szenisch gab. In den weiteren Rollen brachten sich spielfreudig ein: Collin André Schöning (Achill, König von Phtiotides), Scott Ingham ( Ajax I., König von Salamis) und Dennis Sörös ( Ajax II., König von Lokris).
Stark präsentierte sich der von Sebastian Hernandez-Laverny einstudierte Chor des Staatstheaters Mainz.
Nach einem um einiges lebhafteren und kompakteren finalen 3. Akt, gab es wohlverdienten freundlichen Beifall (und für das Regieteam auch ein paar wenige Buh-Rufe).
Markus Gründig, November 24
Die schöne Helena
(La Belle Hélène)
Opéra-bouffe
Von: Jacques Offenbach (1864)
Libretto: Henri Meilhac und Ludovic Halévy
Uraufführung: 17. Dezember 1864 (Paris, Théâtre des Variétés)
Premiere am Staatstheater Mainz: 2. November 24 (Großes Haus)
Musikalische Leitung: Samuel Hogarth
Inszenierung: Cordula Däuper
Bühne: Pascal Seibicke
Künstlerische Mitarbeit Bühne: Dejana Radosavlevic
Kostüme: Sophie du Vinage
Licht: Ulrich Schneider
Chorleitung: Sebastian Hernandez-Laverny
Dramaturgie: Sonja Westerbeck
Besetzung:
Paris, Prinz von Troja: Benjamin Lee* / Mark Watson Williams
Menelaos, König von Sparta: Alexander Spemann
Helena, seine Gemahlin: Maren Schwier* / Vera Ivanović
Agamemnon, König der Könige: Gabriel Rollinson
Oresta, seine Tochter: Verena Tönjes
Kalchas, Großaugur Jupiters: Igor Storozhenko* + Sophie Kochanowska (szenisch) / Tim-Lukas Reuter
Achill, König von Phtiotides: Collin André Schöning
Ajax I., König von Salamis: Scott Ingham
Ajax II., König von Lokris: Dennis Sörös
Bacchis: Anke Peifer
Venus: Barbara Behrendt
Opernchor des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz
* Premierenbesetzung
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