»Guercœur« an der Oper Frankfurt: Die Hoffnung stirbt zuletzt

Guercœur ~ Oper Frankfurt ~ Guercœur (Domen Križaj) ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

„Es muss nicht immer Pasta Carbonara oder ein Omelett sein. Zum Leben gehört auch Risiken einzugehen und neue Stücke zu entdecken.“ Für die französische Dirigentin Marie Jacquot (* 1990) ist Albéric Magnards Oper Guercœur dementsprechend eine Spezialität, die es lohnt, entdeckt zu werden.

Eine Rarität ist diese Oper zweifelsohne. Schon die Entstehungsgeschichte ist bemerkenswert. Vor Fertigstellung wurde das Haus des Komponisten kurz nach Beginn des 1. Weltkrieges von der deutschen Kavallerie in Brand gesetzt. Dabei starb auch Magnard. Von Guercœur konnte nur die Partitur des zweiten Akts gerettet werden. Sein Freund Joseph Guy Ropartz instrumentierte später die Akten 1 und 3 auf Basis der bereits 1904 im Eigenverlag Magnards erschienenen Klavierauszüge und der in 1908 und 1910 erfolgten konzertanten Aufführungen dieser Sätze. Seit ihrer Uraufführung 1931 in Paris war Guercœur bislang nur in Osnabrück (2019) und Straßburg (1921) inszeniert worden. Schon allein deshalb ist ein Besuch dieser Neuinszenierung der Oper Frankfurt lohnenswert.

„Ein Kind von Wagners Parsifal und Debussys Pelléas et Mélisande“

Die Oper verbindet auf sehr harmonische Weise französische und deutsche Musikstile. Magnard war u. a. beeinflusst von Gabriel Fauré, Ernest Chausson und von Claude Debussy. An dessen „Drame lyrique“ Pelléas et Mélisande werden während des Zuhörens von Guercœur Erinnerungen wach. Magnard war aber auch ein großer Verehrer Richard Wagners, an dessen Bühnenweihspiel Parsifal einzelne Passagen erinnern. Deshalb sieht die Dirigentin Marie Jacquot die Oper gewissermaßen als ein Kind von Wagners Parsifal und Debussys Pelléas et Mélisande. Stellenweise fühlt man sich aber auch einfach nur an stimmungsvolle, emotionale Filmmusik und Oratorien erinnert.

Guercœur
Oper Frankfurt
Giselle (Claudia Mahnke), Guercœur (Domen Križaj)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Bei der besuchten zweiten Vorstellungen wurde Marie Jacquot krankheitsbedingt vom Studienleiter Takeshi Moriuchi würdig vertreten. Er hatte bereits die Proben begleitet und für den 8. März ist ohnehin ein Dirigat mit ihm angesetzt. Guercœur verbindet nicht nur französische und deutsche Musikstile, es ist große Oper mit kammermusikalisch anmutenden Perlen. All diese Facetten bringt Takeshi Moriuchi mit dem Frankfurter Opern- und Museumsorchester einfühlsam und plastisch zur Geltung (mitunter auch stark im Fortissimo).

Vom Mittelalter in die Gegenwart

Regisseur David Hermann inszenierte an der Oper Frankfurt bereits u. a. die Ernst Krenek Trilogie (Der Diktator ~ Das geheime Königreich ~ Das Schwergewicht oder Die Ehre der Nation) und Leoš Janáček Aus einem Totenhaus (diese Produktion wird im März wiederaufgenommen).

Die eigentlich im Mittelalter spielende Handlung von Guercœur verlegte er behutsam in die Gegenwart. Sie handelt von Guercœur (coeur de guerrier = Kriegerherz), einem Politiker, der sich für die Demokratie und sein Volk einsetzt. Im Kampf für die gute Sache ist er viel zu früh gestorben. Im Paradies äußert er seine Unzufriedenheit und bittet, noch einmal auf die Erde zurückkehren zu können. Die Bitte wird ihm gewährt, doch Souffrance (das Leiden) wünscht ihm Unheil. Und so findet er seine Frau in den Armen seines Schülers Heurtal, der das Land in eine Diktatur führen will. Aktuelle Bezüge zum gegenwärtigen Weltgeschehen waren bei der Stückauswahl nicht geplant, zeigen aber die Aktualität des Stoffes.
Schließlich wird Guercœur von einer Meute Politiker ermordet. Er kehrt zurück ins Paradies. Vérité (die Wahrheit) verkündet ihm die Utopie eines friedlichen, prosperierenden Staates, schließlich stirbt die Hoffnung zuletzt.

Guercœur
Oper Frankfurt
Heurtal (AJ Glueckert; mit Bart) und Chor der Oper Frankfurt
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Als Bezug zum Demokratieverständnis von Guercœur beherrscht bei der Produktion der Oper Frankfurt in den ersten beiden Teilen, die nicht deckungsgleich mit den ersten beiden Akten sind, ein Bungalow mit großen Fensterfronten und karger Einrichtung die Bühne. Der Bonner Kanzlerbungalow mit seiner Stahlskelettkonstruktion aus der jungen BRD lässt grüßen. In dessen Park befindet sich die Figurenbaum-Skulptur von Bernhard Heiliger. Auf der Bühne befindet sich neben dem Bungalow eine Nachbildung der Reclining Mother and Child-Skulptur von Henry Moore, eine Anspielung auf die durch Suizid verstorbene Mutter Mangards und seine einsame und traurig empfundene Kindheit.

Guercœur
Oper Frankfurt
Heurtal (AJ Glueckert; rechts Hände schüttelnd, mit Bart) und Chor der Oper Frankfurt
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Größe strahlt zu Beginn des dritten Teils ein Sitzungsaal aus. Er ist dem Sitzungssaal des UNO-Sicherheitsrates nachempfunden. Mit dem Sieg des Diktators Heurtal stürzen die Stelen des Saales allesamt zusammen. Auf der Erde ist nichts mehr ganz. Der Bungalow wirkt nun ohne Vorhänge und Möbel noch fahler (Bühnenbild: Jo Schramm).

Drei starke Hauptfiguren

In der Titelrolle hat Domen Križaj eine starke szenische Präsenz, alle drei Akte über. Dabei hat er in dieser Spielzeit bereits die Titelrollen in Henzes Der Prinz von Homburg und in Verdis Macbeth inne. Die anspruchsvolle und umfangreiche Partie bewältigt er mit baritonalem Wohlklang. Mit blonden Haaren stark verjüngt die Giselle der Sopranistin Claudia Mahnke. Sie hat schon viele starke Frauenpersönlichkeiten verkörpert. Der Giselle verleiht sie viel Empathie und ausdrucksstarke lyrische Momente. AJ Glueckert gibt mit wagnerischer Stärke den sein Volk in die Diktatur führenden Heurtal.

Guercœur
Oper Frankfurt
Bühne im 3. Akt
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de

Diese drei Hauptfiguren beherrschen den oftmals auch als Kammeroper vorstellbaren Abend. Doch es gibt auch noch „Schatten“ im Paradies, die sich ihrem Schicksal ergeben haben (Julia Stuart, Cláudia Ribas und Istvan Balota). Fordernd ist auch die Partie der Vérité, die Anna Gabler erhaben gibt. Sie hat drei Wesen an ihrer Seite Bonté (die Güte; Cecelia Hall, bei Folgevorstellungen auch Bianca Andrew), Beauté (die Schöne; Bianca Tognocchi) und Souffrance (das Leiden; Judita Nagyová). Diese drei tragen ausgefallene Kleider mit Geschenkschleifen als betont große Schulterpartien (Kostüme: Sibylle Wallum). Der Chor der Oper Frankfurt agiert zunächst dezent und klangschön aus dem Off und trumpft vor allem in der turbulenten Parlamentsszene groß auf (Einstudierung: Virginie Déjos).

Am Ende lang anhaltender und intensiver Beifall für diese sehenswerte Opernrarität.

Markus Gründig, Februar 25

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Anlässlich der Neuinszenierung von Guercœur spricht am Dienstag, den 18. Februar Michel Friedmann mit dem Politikwissenschaftler Herfried Münkler über das Thema „Freiheit“ (im Opernhaus, 19.00 Uhr).


Guercœur

Tragédie en musique in drei Akten
Von: Albéric Magnard
Szenische Uraufführung der rekonstruierten Fassung: 24. April 1931 (Paris, Opéra Garnier)

Premiere / Frankfurter Erstaufführung: Sonntag, 2. Februar 25 (Opernhaus)

Musikalische Leitung: Marie Jacquot / Takeshi Moriuchi (8.2., 8.3.)
Inszenierung: David Hermann
Bühnenbild: Jo Schramm
Kostüme: Sibylle Wallum
Licht: Joachim Klein
Chor: Virginie Déjos
Dramaturgie: Mareike Wink

Besetzung:

Guercœur: Domen Križaj
Giselle: Claudia Mahnke
Heurtal: AJ Glueckert
Vérité: Anna Gabler
Bonté: Cecelia Hall / Bianca Andrew (21., 23.2, 1., 8.3.)
Beauté: Bianca Tognocchi
Souffrance: Judita Nagyová
Schatten eines jungen Mädchens: Julia Stuart°
Schatten einer Frau: Cláudia Ribas°
Schatten eines Dichters: Istvan Balota

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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