

Tschaikowskis Oper Die Zauberin ist auf den Spielplänen der Opernhäuser eine Rarität. Ähnlich wie die Oper Guercœur (von Albéric Magnard), die seit Anfang Februar 25 erstmals in Frankfurt gezeigt wird.
Peter Tschaikowski komponierte zehn Opern. Darunter die regelmäßig in den Spielplänen enthaltenen Opern Eugen Onegin und Pique Dame. Die 1887 uraufgeführte Zauberin ist seine drittletzte Oper. Die Personenkonstellation bietet reichlich Drama pur: Ein Ehemann ist seiner Frau überdrüssig und verliebt sich in eine andere Frau. Das kann die Betrogene nicht hinnehmen. Erst stiftet sie ihren Sohn an, die Rivalin umzubringen. Als dieser sich dann flugs aber in diese verliebt, sorgt sie selbst für Fakten. Am Ende gibt es drei Tote und einen verrückt gewordenen Ehemann.
Bedrohung der Freiheit und der Vielfalt
Ab Dezember 2022 wurde Die Zauberin erstmals an der Oper Frankfurt aufgeführt. Die Inszenierung von Vasily Barkhatov wurde jetzt erstmals wieder in den Spielplan aufgenommen (Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Alan Barnes) und ist noch bis zum 14. März an ausgewählten Tagen zu sehen. Von der Premierenserie gibt es auch eine DVD-Aufnahme beim Label Naxos (u. a. erhältlich bei Veranstaltungen im Opernhaus). Barkhatov verlegte die Handlung vom 16. Jahrhundert in die Gegenwart, denn er fand in diesem Musikdrama viele hochaktuellen Bezüge zur Gegenwart. Von denen gibt es leider viel zu viele. Denn neben dem Konflikt innerhalb der Fürstenfamilie beinhaltet die Oper auch Gesellschaftskritik, wie die Bedrohung der Freiheit und der Vielfalt. Diese Themen sind nicht nur in Russland, sondern zunehmend auch in anderen Ländern der Welt allgegenwärtig.
Tschaikowskis Gesellschaftskritik ist auch in der Musik hörbar
Das besondere dieser Oper ist, wie Dramaturg Zsolt Horpácsy ausführt, das Tschaikowskis Gesellschaftskritik nicht nur im Textbuch, sondern auch in der Musik hörbar und deutlich vernehmbar ist. Dabei unterscheiden sich die vier Akte musikalisch durchaus. „Zunächst sind die Klangfarben sanft, die Musik fließt unaufhaltsam, hoffnungsvoll und frei. Dann kommen impulsive Akkorde und dramatische Ausbrüche für die unterdrückten Gefühle und familiären Verstrickungen hinzu. Im dritten Akt, mit einem großen Duett zwischen der „Zauberin“ und dem Fürsten, rückt ein leidenschaftlicher Ton ins Zentrum. Schließlich strömt, bebt und klagt die Musik. Motive eines Schauerdramas ertönen, für Verfolgung, Flucht, Giftmord aus Eifersucht und Wahn“ (Auszüge aus der Audioeinführung).

Oper Frankfurt (2025)
v.l.n.r. Paisi (Michael McCown), Nenila (Cláudia Ribas), Mamyrow (Mikhail Biryukov), Die Fürstin (Elena Manistina) und Prinz Juri (Gerard Schneider)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de
Gastdirigent Valentin Uryupin und das Frankfurter Opern– und Museumsorchester sorgen von den ersten Takten der mit melancholischen Tönen beginnenden Ouvertüre für eine Umsetzung, die berührt. Es gefallen vor allem die vielen verschiedenen Klänge bei den sanfteren, intimeren Momenten. Zupackend und ohne Übertreibung dann die klanglichen Ausbrüche, die vor allem im letzten Akt zu Gehör kommen. Große Arien, wie beispielsweise Tatjanas „Briefarie“ (Eugen Onegin) gibt es bei der Zauberin nicht.

Oper Frankfurt (2025)
Nastasja (Nombulelo Yende) und Der Fürst (Iain MacNeil)
© Barbara Aumüller ~ szenenfoto.de
Nombulelo Yende folgt auf Asmik Grigorian
Bei der Premierenserie 2022 /23 gab Asmik Grigorian die Partie der Zauberin. Der Stücktitel ist mit „Die Bezaubernde“ besser umschrieben. Denn Nastasja, die verwitwete Gasthauswirtin, nimmt durch ihre offene Art ein. Sie heißt jeden willkommen und will niemandem Böses. In die Fußstapfen von Asmik Grigorian (die am 3. Juni 25 für einen Liederabend zurück nach Frankfurt kommen wird) tritt nun die junge Sopranistin Nombulelo Yende. Ihre Gesangsqualitäten hat die Nachwuchssängerin schon vielfach bewiesen. Schon im Frankfurter Opernstudio, dessen Stipendiatin sie bis zum Sommer 24 war. Ihre Nastasja ruht in sich und verströmt dennoch Stärke und Autorität, die Töne fließen sanft und kraftvoll.
Bariton Iain MacNeil ist bereits von der Premierenserie mit der Partie des Fürsten vertraut. Der gebürtige Kanadier war vor seiner Ensemblezugehörigkeit ebenfalls Stipendiat des Frankfurter Opernstudios. Den fürstlichen Schürzenjäger verkörpert er erneut mit großer stimmlicher und szenischer Präsenz. Mezzosopranistin Elena Manistina zeigt großartig den Wandel der Fürstin von einer unbedachten Dame der „besseren Gesellschaft“ zur energiegeladenen Mörderin und gefällt mit der Vielfalt ihre Klangfarben.
Neu dabei ist u. a. Gerard Schneider mit schönem tenoralen Glanz und Spitzentönen als Prinz Juri. Kein Wunder, dass Nastasja „dem Falken“, wie er auch genannt wird (nach einer altägyptischen Gottheit), verfällt. Bass Mikhail Biryukov ist als eng mit dem Staat verbundener und ultrakonservativer orthodoxer Priester Mamyrow und als Zauberer zu erleben. Von den zahlreichen Nebenfiguren ragt vor allem Bariton Serhii Moskalchuk als agiler Kitschiga heraus.
Nebenbei sei angemerkt: Russische und ukrainische Sänger:innen agieren bei dieser Produktion friedlich miteinander. Der plakativ divers gekleidete und klangstark auftretende Chor wurde von Álvaro Corral Matute einstudiert. Mit dabei ist auch wieder ein Tanzensemble, das sich sehr agil einbringt (wie als tanzende Narren zum Finale des 1. Akts; Choreografie: Gal Fefferman, Choreografische Einstudierung: Rouven Pabst).
Die besuchte zweite Vorstellung der Wiederaufnahmeserie war sehr gut besucht, es gab intensiven Beifall für diese einnehmende Mischung aus Sittengemälde mit Gegenwartsbezug und Kammerspiel.
Markus Gründig, Februar 25
Die Zauberin
(Чародейка, Tscharodeika)
Oper in vier Akten
Von: Peter I. Tschaikowski
Libretto: Ippolit Schpaschinski
Uraufführung: 20. Oktober 1887 (St. Petersburg, Mariinski Theater)
Premiere / Frankfurter Erstaufführung: 4. Dezember 22
Erste Wiederaufnahme an der Oper Frankfurt: 7. Februar 25 (Opernhaus)
Besuchte Vorstellung: 15. Februar 25 (+ Dezember 22)
Musikalische Leitung: Valentin Uryupin / Takeshi Moriuchi (22.2.)
Inszenierung: Vasily Barkhatov
Szenische Leitung der Wiederaufnahme: Alan Barnes
Bühnenbild: Christian Schmidt
Kostüme: Kirsten Dephoff
Licht: Olaf Winter
Choreografie: Gal Fefferman
Choreografische Einstudierung: Rouven Pabst
Video: Christian Borchers
Chor: Álvaro Corral Matute
Dramaturgie: Zsolt Horpácsy
Besetzung:
Nastasja: Nombulelo Yende
Der Fürst: Iain MacNeil
Die Fürstin: Elena Manistina
Prinz Juri: Gerard Schneider / Kudaibergen Abildin (9., 14. März)
Mamyrow: Mikhail Biryukov
Nenila: Cláudia Ribas°
Iwan Schuran: Morgan-Andrew King°
Foka: Dietrich Volle
Polja: Anna Nekhames (7.2.) / Anna Nekhames
Balakin: Jonathan Abernethy
Potap: Pilgoo Kang
Lukasch: Kudaibergen Abildin / Tianji Lin (9., 14. März)
Paisi: Michael McCown (7.2. szenisch), Ilja Aksionov (7.2. musikalisch)
Kitschiga: Serhii Moskalchuk
Tänzer: Rouven Pabst / Luciano Baptiste / Guillermo de la Chica López / Tommaso Bertasi / Jonathan Schmidt / Carlos Díaz Torres
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
°Mitglied des Opernstudios