Partymusical »& Julia« in Hamburg: Viel besser als erwartet

& Julia ~ Stage Operettentheater Hamburg ~ Ensemble ~ © Johan Persson / Stage Entertainment

Mit drei großen Premieren in 2024 ist in der Musicalhauptstadt Hamburg viel los. Im Frühjahr präsentierte Stage Entertainment die Welturaufführung vom heldenhaften Musical Disneys Hercules im Stage Theater Neue Flora. Anfang Dezember wird im Stage Theater am Hafen die deutschsprachige Erstaufführung von MJ – Das Michael Jackson Musical gefeiert. Davor hatte jetzt & Julia Premiere im Stage Operettentheater.

Anders als bei Disneys Hercules wurde hierfür nur ein Song („One More Try“) neu komponiert. & Julia verwendet bekannte Pop-Hymnen von Größen wie den Backstreet Boys, Britney Spears und Céline Dion. Die Songs wurden für die Musicalfassung neu arrangiert. Musiksupervisor Bill Sherman und der musikalische Leiter Dominic Fallacaro haben frische Orchestrierungen und Gesangsarrangements für & Julia geschaffen. So ist jeder Song auf die jeweilige Szene perfekt zugeschnitten.
& Julia ist somit ein sogenanntes Jukebox-Musical und reiht sich an Erfolge ähnlicher Musicals ein. Zu den bekanntesten Jukeboxmusicals zählen Mamma Mia! und We Will Rock You, dazu auch Hinterm Horizont und American Idiot.

Die Dialoge sind auf Deutsch, die Songs werden überwiegend auf Englisch gesungen. Berührende Balladen und Duette (wie May und Julias „I’m Not a Girl, Not Yet a Woman“) wechseln mit im großen Showformat dargebotenen Hits (wie „It’s My Life“ und „Everybody“) ab (Titelliste auf Wikipedia).

Battle zwischen Anne Hathaway und William Shakespeare

Obwohl die für & Julia verwendeten Songs von über 20 Künstler:innen bekannt sind, haben sie eine Gemeinsamkeit. Sie wurden fast alle vom schwedischen Musikproduzent und Songwriter Max Martin (* 1971) geschrieben. Das mit vielen überraschenden Wendungen aufwartende Buch kommt vom kanadischen Autor David West Read (* 1983). Er wurde bekannt für sein Buch für die Erfolgsserie Schitt’s Creek (RTL+). Seine Grundidee: Julia Capulet aus Shakespears Drama Romeo & Julia stirbt am Ende nicht.

& Julia
Stage Operettentheater Hamburg
William Shakespeare (Andreas Bongard), Anne (Willemijn Verkaik)
© Johan Persson / Stage Entertainment

Warum auch, schließlich ist sie sehr jung (13 Jahre) und kannte Romeo (14 Jahre) gerade erst einmal vier Tage. Dabei ist die Geschichte eine Art Work in Progress. Denn auf der Bühne streiten sich das Ehepaar Anne Hathaway und William Shakespeare fortlaufend, wie die Geschichte von Julia weitergehen soll. Die Handlung springt zwischen dem gerade verfassten neuen Drama und dem Disput der Eheleute hin und her. Anne nimmt sich dazu die Freiheit, sich gleich selbst in das Geschehen reinzuschreiben. Sind die Texte auch öfters derb und flach, sind sie grundsätzlich ziemlich gegenwartsbezogen und auf ein junges Publikum zugeschnitten. Regisseur Luke Sheppard sorgt für eine lebhafte und rasante Umsetzung.

Empowerment nicht nur für Frauen

Im Musical geht es nicht nur um Julia und wie sie einen Weg für sich findet, selbst wenn dann der charakterlich schwach gezeichnete Romeo („Lauch“) auch eine zweite Chance bekommt. Auch die Themen Gender und Inklusion werden breit aufgefächert. So hat die Story eine ungeheure Aktualität und geht über eine einfache Liebesgeschichte weit hinaus. Denn Empowerment ist nicht an eine sexuelle Identität gebunden.

& Julia
Stage Operettentheater Hamburg
Angelique (Jacqueline Braun), May (Bram Tahamata), Julia (Chiara Fuhrmann April (Willemijn Verkaik)
© Johan Persson / Stage Entertainment

Show- & Konzertatmosphäre

Entsprechend der im 17. Jahrhundert in Verona und Paris spielenden Handlung nehmen die Kostüme von Pamola Young Bezüge zur Shakespeare-Zeit. Gleichzeitig verweisen sie auf die Streetware der 1990er und 2000er Jahre. Soutra Gilmours Bühne wandelt sich durch herabgelassene Prospekte und eingeschobene Möbel zwischen Schlafgemächern, Club und Kutschenfahrt. Mit Elementen wie leuchtenden Schriftzügen und sich selbst nicht so ernst nehmend mit einer Jukebox, wird ein Bogen durch die Jahrhunderte gezogen. Dabei kommt ausgefeilte Technik und Bühnenzauber zum Einsatz. Nicht unerheblich ist die LED-Rückwand, die mit fantastischen Hintergrundmotiven aufwartet (Video: Andrzej Goulding).
Fulminante Tanzszenen muten wie von einer Performance bei Britney Spears oder Madonna an (Choreografie: Jennifer Weber) . Bei allen tollen Showelementen kommt das Kernthema, sich selbst zu akzeptieren und zu vertrauen, nicht zu kurz. Eine Botschaft, die weit über die queere Community hinausreicht.

& Julia
Stage Operettentheater Hamburg
Ensemble
© Johan Persson / Stage Entertainment

In der Titelrolle überzeugt Chiara Fuhrmann mit jugendlicher Frische und starker Stimme auf ganzer Linie. Als Shakespeares Frau Anne erst etwas bieder wirkend, dann aber zunehmend einnehmend: Musicalstar Willemijn Verkaik. Stehende Ovationen erhielt sie bereits während der Vorstellung für „That’s the Way It Is“ (Céline Dion). Jacqueline Braun spielt sich als sich für Julia einsetzende Amme in den Vordergrund und findet dann auch als Angelique mit Selbstbewusstsein einen neuen Partner.
Den vor Selbstbewusstsein nur so strotzenden William Shakespeare gibt leidenschaftlich Andreas Bongard. Einen Weg der Selbsterkenntnis geht der wiedererwachte Romeo des Raphael Groß. Was auch auf den gewissenhaften pansexuellen François des Oliver Edward zutrifft. Die überraschendste Figur des Stücks ist der um seine Identität ringende beste Freund von Julia: May. Den nichtbinären gibt Bram Tahamata pointiert. Als vitaler machohafter Vater Lance glänzt Carlos de Vries.
Die Band des Stage Operettenhauses spielt verdeckt unter der Leitung von Philipp Gras enthusiastisch. Durch die Beteiligung von Streichern entstehen zusätzlich ganz neue Höreindrücke der bekannten Hits.

Im Saal gab es bei der besuchten Vorstellung von Beginn an eine gelöste Party-Stimmung. Das Publikum feierte die Songs, die Story und die Darsteller immer wieder mit lautstarken Beifallsbekundungen und Standing Ovation. Beim euphorischen Schlussapplaus dankte auf der Bühne Max Martin dem Cast und dem Publikum gleichermaßen.

Wer im Anschluss an das bunte Party-Musical-Erlebnis & Julia die ursprüngliche Geschichte als Musical erleben will, kann dies ab dem 17 April 25 tun. An diesem Tag findet im Berliner Theater des Westen die Wiederaufnahme von Romeo & Julia – Liebe ist alles statt (der Vorverkauf läuft bereits).

Markus Gründig, Oktober 24


& Julia

Songs: Max Martin (u. a.)
Buch: David West Read
Regie: Luke Sheppard
Choreographie: Jennifer Weber
Bühne: Soutra Gilmour
Kostüme: Pamola Young
Licht: Howard Hudson
Video: Andrzej Goulding

Uraufführung: 10. September 2019 (Manchester, Opera House)
West End-Premiere: 20. November 2019 (London, Shaftsbury Theatre)
Broadway-Premiere: 17. November 2022 (New York, Stephen Sondheim Theatre)

Premiere / Deutsche Erstaufführung: 30. Oktober 2024 (Hamburg, Stage Operettentheater)
Besuchte Vorstellung: 29. Oktober 24 (Medienpremiere)

Besetzung am 29. Oktober 24:

Julia: Chiara Fuhrmann
Anne / April: Willemijn Verkaik
Amme / Angelique: Jacqueline Braun
William Shakespeare: Andreas Bongard
Romeo: Raphael Groß
François: Oliver Edward
May: Bram Tahamata
Lance: Carlos de Vries

Lady Capulet: Joanna Rozal
Lord Capulet: Yannick Dijck

Ensemble / The Players: Nicole Rushing, Teddy Vermeer, Inge wen, Hannah Hague, Isabelle Outtara, Pascal Cremer, Riccardo Haerri, Semme Prins, Dylan O´Mahony, Tony Boo

Band des Stage Operettenhauses:

Musikalischer Leiter / Dirigent: Philipp Gras
Violine / Viola: Alvina Lahyani
Keybord 2, 3. Dirigent: Artiom Brauer
Keybord 2, Probenpianist: Benjamin Fenker
Bass / Synth Bass: Frerk Hülsenbeck
Drums: Helge Teschner
Violine / Viola: Jessica Ling
Gitarre: Claus Hofrichter
Cello: Pirkko Langer
Gitarre: Matthias Strass

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