Kriege haben weitreichende Folgen. Das ist nicht nur gegenwärtig stark zu spüren. Gleichwohl war es leider schon immer so. Die Spuren der Gewalt durchziehen alle Zeiten. Einen besonderen Stellenwert in der griechischen Mythologie hat der Trojanische Krieg. Er bildet gewissermaßen auch die Vorgeschichte für Mozarts Oper Idomeneo. Vater und Brüder der trojanischen Prinzessin Ilia wurden im Krieg getötet. Nach Kreta verschleppt, verliebt sie sich dort ausgerechnet in Idamante, den Sohn dessen, der für den Krieg verantwortlich ist (König Idomeneo). Ein in Todesangst abgegebener Schwur und der Zufall verlangen dann noch gar den Tod Idamantes. Am Ende gibt es aber dann doch eine Lösung für fast alle.
Idomeneo ist das Ungeheuer
Regisseur Alexander Nerlich hat die Oper Idomeneo nun für das Staatstheater Mainz neu in Szene gesetzt. Hier war er von 2019 bis 2023 als Hausregisseur tätig. Zuletzt inszenierte er in Mainz die Opern Salome im Juni 23 und Der Freischütz im Nov 21. Schreckliche Kriegserfahrungen haben nachhaltige Eindrücke bei König Idomeneo hinterlassen. In der Sicht von Alexander Nerlich ist er eine traumatisierte Figur, die die Schatten der Vergangenheit nicht los wird. In der Inszenierung zeigt sich das ganz plastisch, denn Ideomeneo hat einen Schatten, der ihn begleitet, umschleicht und fast immer an seiner Seite ist (David Jakob Schläger, auch Oberpriester Neptuns). Schuldgefühle belasten ihn stark und nehmen fast manische Züge ein. Demzufolge ist Idomeneo selbst das Ungeheuer, das dem Meer entsteigt.
Schatten der Vergangenheit (Statisterie) begleiten hier auch andere Figuren. Dies, um zu zeigen, wie die Figuren mit erlebten Traumata umgehen.
Turnhalle von Fukushima als Inspirationsquelle
Die karg gehaltene Bühne von Thea Hoffmann-Axthelm ist von der Turnhalle im japanischen Fukushima inspiriert. 2011 kam es im dortigen Atomkraftwerk nach einem schweren Erdbeben mit anschließendem Tsunami zu einem der schwersten Atomunfälle. Die an Bühnenzügen hängenden Wände grenzen den Raum in einem Halbrund ein und verwandeln ihn wahlweise schlicht in einen Königspalast, eine Strandlandschaft (mitsamt Rettungswachturm), einen Tempel oder in das Büro von Idomeneo. Die Bühnentechnik sorgt mit einem Absenken und Aufsteigen des Bühnenbodens für eine Art von Wellen. Stimmung wird vor allem mit einer ausgefeilten Hintergrundausleuchtung erzielt (Licht: Frederik Wollek). Glutrote Feuersbrünste und Nebelschwaden, wie auch schöne Himmelsbilder, illuminieren das Geschehen. Die Kostüme von Zana Bosnjak haben militärische Bezüge, die leichten Gewänder der Damen davon abgesehen.
Außerordentliche sängerische Umsetzung
Die szenische Umsetzung ist solide, die sängerische außerordentlich. Der Tenor Vasyl Solodkyy gibt in der Titelrolle einen sehr jung wirkenden König. Er überzeugt mit einem schönen Timbre, ist dabei überzeugend ein in seinen Grundfesten erschütterter Patriarch. Karina Repova steigert sich von Akt zu Akt in der Hosenrolle des Prinzen Idamante und zeigt vor allem im dritten Akt emotionale Tiefe.
Einen starken Eindruck mit wunderbaren lyrischen Bögen und strahlender Höhe hinterlässt die Sopranistin Julietta Aleksanyan als Prinzessin Ilia. Gutes über Nadja Stefanoff zu erwähnen, gleicht schon fast Eulen nach Athen zu tragen. Sie besticht mit nuancierter Stimmführung und szenischer Präsenz als unglückliche, ebenfalls in Idamante verliebte, Elettra. Tenor Myungin Lee gibt mit strahlenden Tönen einen erhabenen Vertrauten des Königs (Abrace). Stark nicht zuletzt auch der von Sebastian Hernandez-Lavrny einstudierte Chor des Staatstheaters Mainz.
Bei der besuchten zweiten Vorstellung leitete Michael Millard das Philharmonische Staatsorchester Mainz in Vertretung für den GMD Hermann Bäumer. Dies sehr ausgewogen und sängerfreundlich. Am Hammerklavier spielt mit Feinsinn Fiona Macleod.
Nach drei Stunden, inklusive einer Pause, gab es intensiven Applaus.
Markus Gründig, Oktober 24
Idomeneo
Dramma per musica in 3 Akten
Von: Wolfgang Amadeus Mozart
Libretto: Giambattista Varesco
Uraufführung: 29. Januar 1781 (München, Residenztheater)
Premiere am Staatstheater Mainz: 28. September 24 (Großes Haus)
Besuchte Vorstellung: 1. Oktober 24
Musikalische Leitung: Hermann Bäumer / Michael Millard
Inszenierung: Alexander Nerlich
Bühne: Thea Hoffmann-Axthelm
Kostüme: Zana Bosnjak
Choreografie: Alessia Ruffolo
Licht: Frederik Wollek)
Chorleitung: Sebastian Hernandez-Lavrny
Dramaturgie: Elena Garcia Fernandez
Besetzung:
Idomeneo: Vasyl Solodkyy / Krystian Adam
Idamante: Karina Repova / Alexandra Uchlin
Ilia: Julietta Aleksanyan / Dorin Rahardja
Elettra: Nadja Stefanoff
Arbace: Myungin Lee / Collin André Schöning
Oberpriester Neptuns: David Jakob Schläger
Die Stimme: Tim-Lukas Reuter
Chor des Staatstheater Mainz
Statisterie des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz
staatstheater-mainz.com
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