Sam Max´s »Double Serpent« couragiert am Staatstheater Wiesbaden

Double Serpent ~ Staatstheater Wiesbaden ~ Fake Dad (Felix Strüven), Felix (Lasse Boje Haye Weber), Eric (Jonas Grundner-Culemann), Connor (Timur Frey) ~ Foto: Thomas Aurin

Mit sieben Premieren an drei Tagen eröffneten die neuen Intendantinnen Dorothea Hartmann und Beate Heine am letzten Septemberwochenende die Spielzeit 2024/25 am Staatstheater Wiesbaden. In verschiedenen Spielstätten präsentierten sie eine große Bandbreite unterschiedlicher Stücke und Regiestile. Dabei bewiesen sie mit dem Verzicht auf ein Mainstreamangebot großen Mut. Das zeigte sich beispielsweise mit Stücken wie Habitat Wiesbaden und Spiel der Illusionen (Besprechungen). Und auch das Auftragswerk Double Serpent des US-amerikanischen Autors Sam Max ist etwas ganz Besonderes, nicht nur, weil es nur mit Männern besetzt ist.

Surreale Umsetzung

Den hohen Stellenwert, den diese Produktion für das Haus hat, zeigt sich schon am aufwendig gestalteten Bühnenbild. Der Einheitsraum könnte einem Gruselfilm entsprungen sein. Er zeigt in grünlicher Ausleuchtung (Licht: Rainer Casper) das Innere im Haus von Felix und Connor. Eine geschwungene Treppe führt zu einem Bassin. Im Hintergrund befindet sich eine große Fensteranlage im Art déco-Stil. In deren Mitte befindet sich eine geometrische Form, die auch als Schlangenkopf illuminiert wird, gleichzeitig aber auch als umgekehrtes Phallussymbol gedeutet werden kann. Der Hintergrund dient auch als Projektionsfläche. Für fallenden Schnee, aber auch für Bilder einer Motel-Anlage (dem „safe house“) und von Hochhäusern, womit schnell eine Atmosphäre wie in Gotham City entsteht (Video: Luis August Krawen).

An der rechten Seite befindet sich ein kleiner Lastenaufzug (mitsamt einer retro Stockwerksanzeige). Auf der linken ein Zierbrunnen und ein Zigarettenautomat, wodurch das Bad auch als ein öffentliches, mithin als eine Gay-Sauna gedeutet werden kann. Türen gehen auf geheimnisvolle Weise auf und zu. Krankenliegen und Wagen mit OP-Besteck werden kurzerhand hinein- und herausgeschoben (Bühne: Alexander Naumann).

Im starken Kontrast zum Grün der Szenerie stehen die in einem kräftigen Rot-Ton gehaltenen Hemdjacken, Hosen und Schuhe, die fast alle Hauptpersonen tragen. Eine Gruppe anonymer Männer, die sich zu den SM-Spielereien gesellt, verzichtet gleich ganz auf jegliche Kleidung (Kostüme: Teresa Vergho).

Double Serpent
Staatstheater Wiesbaden
Felix (Lasse Boje Haye Weber), Connor (Timur Frey)
Foto: Thomas Aurin

Surrealer Thriller

Der U-30-jährige Autor Sam Max behandelt in dem Stück aktuelle Themen wie Machtmissbrauch und illegalen Organhandel (bei dem die Armen und Schutzlosen auf der Strecke bleiben). Gleichzeitig erzählt er von einem Reifungsprozess eines jungen Mannes. Durch sadomasochistische Praktiken (wie u. a. Ritzen und Gang Bangs, dazu stellenweise unter Drogen) erlebt er die während seiner Kindheit erlittenen Traumata stets aufs Neue. Er geht aber nicht daran zugrunde. Im Gegenteil. Am Ende scheint er an Stärke und Vertrauen gewonnen zu haben. Das ist schon etwas surreal.

Konkret geht es um den jungen Innenarchitekten Connor und seinen wohlhabenden und wesentlich älteren Freund Felix (Filmproduzent und ehemaliger Schauspieler). Letzterer sieht sich einer Klage und Strafanzeige seines Ex ausgesetzt, der ihn u. a. der sexuellen Nötigung bezichtigt. In fließenden Übergängen springt die Handlung immer wieder zurück in das Jahr 1999, in die Kindheit von Connor und seinem skrupellosen „Stiefvater“ (Fake Dad). Dieser verdient als illegaler Chirurg sein Geld mit amoralischen und sittenwidrigen Organ-Transplantationen. Und wie es der Zufall will, verdankt auch Felix ihm sein Leben. Zum Zeitvertreib während der Transplantationen spielt der junge Connor im Keller auf einer Spielekonsole. Das Spiel heißt „Double Serpent“ (serpens, lateinisch = Schlange). Zudem hat er einen imaginären Freund, Eric. Diesen trifft er auch im Erwachsenenalter, um eine Nummer zu schieben. Bei diesen, wie auch allen anderen sexuellen Spielen, stellt sich Conner immer tot. Doch mit jedem Sterben scheint es wie mit der Häutung bei einer Schlange zu sein, er durchlebt die traumatischen Erinnerungen stets aufs Neue und scheinbar wächst und reift er daran langsam. Eine besondere Art der Therapie und nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen.

Double Serpent
Staatstheater Wiesbaden
Connor (Timur Frey), Eric (Jonas Grundner-Culemann)
Foto: Thomas Aurin

Surreale Sprache

Die surreale Atmosphäre wird von einer surreal wirkenden Sprache untermauert. Zu Beginn wird nur in knappen Sätzen gesprochen, dabei ist nur schwer auszumachen, wer überhaupt spricht. Geräusche nehmen einen wichtigen Teil ein. Anfangs sind es die Geräusche der Clogs, wenn bedächtig die Treppe herunter geschritten wird. Später werden diese zugespielt und wirken wie Schläge, die jemanden immer wieder zugefügt werden (Musik: Benedikt Brachtel).

Für die Regie wurde Ersan Mondtag verpflichtet. Er war in der Spielzeit 2013/14, neben Alexander Eisenach und Johanna Wehner, Mitglied im damals neu gegründeten REGIEstudio des Schauspiel Frankfurt. Dort stellte er sich im November 13 mit 2. Sinfonie – Rausch vor. Inzwischen hat er sich bundesweit einen Namen gemacht. Er arbeitet für große Häuser und seine Arbeiten wurden mehrfach zu den Berliner Festspielen eingeladen. Dieses Jahr gestaltete er gemeinsam mit Yael Bartana den Deutschen Pavillon bei der Biennale di Venezia.

Double Serpent setzt Mondtag artifiziell und mitunter plakativ um. Dabei lässt er alle Gewaltbilder letztlich nur im Kopf entstehen. Auf der Bühne wird alles nur angedeutet (auch bei den Sexszenen). Die sexuellen Praktiken werden poetisch umschrieben (wie „Kopf in den Schoß legen“ oder „Bruder-Spiele“).

Der passive Träumer Connor wird von Timur Frey mit Anmut und starker Präsenz gegeben. Gleichzeitig umgibt ihn eine geheimnisvolle Aura. Lasse Boje Haye Weber ist ein vertrauenerweckender Silverdaddy. Felix Strüven gibt mit Souveränität den umtriebigen Fake Dad. Jonas Grundner-Culemann kann als Hausmeister Eric auch beim Pimpern sachlich diskutieren.

Am Ende der besuchten 2. Vorstellung war die Publikumsreaktion freundlich. Einige Zuschauer:innen fanden wohl keinen Zugang zum Stück bzw. zur Inszenierung und hatten schon während der Vorstellung den Saal verlassen.

Die ambitionierte Programmwahl bezüglich der weiteren Theaterstücke verspricht eine interessante Spielzeit am Staatstheater Wiesbaden.

Markus Gründig, Oktober 24


Double Serpent

Von: Sam Max (* 1995)

Deutsch von: Wilke Weermann

Premiere / Uraufführung am Staatstheater Wiesbaden: 29. September 24 (Kleines Haus)
Besuchte Vorstellung: 4. Oktober 24

Inszenierung: Ersan Mondtag
Bühne: Alexander Naumann
Kostüme: Teresa Vergho
Musik: Benedikt Brachtel
Video: Luis August Krawen
Licht: Rainer Casper
Dramaturgie: Till Briegleb

Besetzung:

Connor: Timur Frey
Felix: Lasse Boje Haye Weber
Fake Dad: Felix Strüven
Eric 1 / Eric 2: Jonas Grundner-Culemann

Statisterie: Claus Flemming, Arnd Maier, Nima Pastaa, Feras Zarke/Andreas Thomas, Alexander Delnef

staatstheater-wiesbaden.de