Von einer Ausgrabung kann man bezüglich Gabriel Faurés Oper Pénélope nicht sprechen, jedoch wird sie nur sehr selten gespielt. Fauré (1854-1924) war ein Komponist von erstaunlicher Originalität. Er schuf herausragende Kammermusikwerke, ein Requiem und zahlreiche Bühnenmusiken (wie die Schauspielmusik zu Maurice Maeterlincks Pelléas et Mélisande). Musikalisch steht er zwischen Berlioz und Debussy. Mit seiner Diskretion und Verhaltenheit seiner Musik ist er hierzulande vielen unbekannt. Den regelmäßigen Besuchern der Liederabendreihe an der Oper Frankfurt ist er natürlich durch sein umfangreiches Liedschaffen, seinen „Mélodies“, vertraut, von denen er über 100 komponierte und die bei einem frankophilen Liedprogramm nie fehlen. Am bekanntesten sind seine Liedzyklen La Bonne Chanson und Chanson d’Ève.
Einzige Oper Pénélope als fließender musikalischer Strom
Im Anliegen, das Publikum mit lohnenswerten Randstücken des gängigen Opernrepertoires vertraut zu machen, wird Faurés einzige Oper Pénélope nun erstmals an der Oper Frankfurt gespielt. Das lyrische Gedicht in drei Akten ist mustergültig durchkomponiert, wie aus einem einzigen Atem. Zwischen den Szenen gibt es keinerlei Bruchstellen. Die Melodik ist schlicht, der Orchesterklang, trotz großer Besetzung, transparent. Insbesondere unter der musikalischen Leitung der jüngst als „Dirigentin des Jahres“ (Opernwelt) und „Beste Dirigentin“ (Oper! Awards.) ausgezeichneten jungen Joana Mallwitz (GMD am Staatstheater Nürnberg). Das Frankfurter Opern- und Museumsorchester folgt ihr mit großer Hingabe, wodurch ein wunderbar fließender musikalischer Strom zu hören ist, gelegentliche impulsive Gefühlsausbrüche inklusive. Trotz Faurés Begeisterung für die, im Vergleich zu ihm als brachial zu bezeichnenden Klangwelten Richard Wagners, schuf er ein eigenständiges Werk, das Wagners Leitmotivtechnik lyrisch fortspinnt.
Pénélope im Strudel ihrer Emotionen
Thema der Oper ist Homers Odyssee, genauer gesagt: deren Ende in verkürzter Form. Nach zwanzigjähriger Odyssee kommt der siegreiche Feldherr Ulysse (Odysseus) zurück in seinen Palast in Ithaka, wo seine treue Frau Pénélope die ganzen Jahre über auf ihn gewartet hat.
Für die Regisseurin Corinna Tetzel, die mit eigenen Arbeiten bereits im Bockenheimer Depot wirkte, ist es die erste eigene Inszenierung im Opernhaus. Sie hinterfragt das klassische Frauenbild gründlich und zeigt die um Pénélope werbenden Männer als triebgesteuerte Lüstlinge. Es dauert lange, bis die spartanische Königstochter im dahergelaufenen Bettler ihre große Liebe erkennt. Viele Jahre sind vergangen, lange hat sie mit einem Trick die um sie buhlenden Männer abwehren können. Sie weiß, dass sie lieber sterben würde, als einen von ihnen zu heiraten. Jetzt könnte sie glücklich in Odysseus‘ Arme fallen, doch der ist ihr gleichsam fremd. Zu lange war sie alleine, als dass sie jetzt einfach einen Schalter umlegen und da weitermachen könnte, wo ihre Liebe einst unterbrochen wurde. Sie ist und bleibt gefangen im Strudel ihrer Emotionen. Tetzels Ende ist offen, dabei eher verneinend als bejahend.
Große verwahrloste Dachterrasse in modernem Ambiente
Von mythischer Zeit wurde die Handlung in die nähere Gegenwart verlegt. Rifail Ajdarpasics Bühne zeigt eine große, verwahrloste Dachterrasse mit zwei Aufgängen, einer verrosteten Sattelitenschüssel. Einfache Spagettistühle aus den 1970er Jahren stehen herum, in einer Ecke liegt etwas Müll. Nur im Hintergrund spenden einige hohe Zypressen etwas grün. Pénélope scheint kein besonders großes Interesse zu haben, ihr Haus als einen schönen, gepflegten und heimeligen Ort zu gestalten. Die Terrasse wird von einem Lichtband umrahmt, im Hintergrund wird auf eine Leinwand aufgezeichnete Kameraaufzeichnung projiziert, als hätte Odysseus die ganze Zeit ein Auge auf seine Frau, wie sie traurig und einsam dort auf ihn wartet. Ab dem zweiten Akt zeigt die Leinwand nur ein Kriselbild, so eins, wie früher die Fernseher, wenn kein Sendesignal empfangen wurde. Scheinbar ein Sinnbild dafür, dass die beiden Hauptprotagonisten keine Verbindung mehr zueinander aufbauen können. Der 2. Akt spielt statt an einer Anhöhe am Meer vor dem Palast, mit zahlreich senkrecht stehenden Weinflaschen, die mit je einer Stielrose gefüllt sind, die teilweise gegen symbolträchtige Pfeile (für das Bogenschießen im 3. Akt benötigt) ausgetauscht werden. Im dritten Akt teilt sich die Dachterrasse effektvoll, als hätte ein Erbeben seine Urgewalt spielen lassen. Die Freier stehen nun wie betröppelt auf der linken Seite, während Pénélope alleine auf der rechten Seite verbleibt. Einen schwarzen Anzug tragend hat sich Pénélope der Männerwelt nicht nur angepasst. Sie verzaubert schon mit ihrem Lächeln und will die Männer nicht noch zusätzlich durch ein frauliches Auftreten reizen. Unter ihrem Anzug trägt sie das Totenkleid, das sie jede Nacht wieder auftrennt, um sich die Männer vom Leibe zu halten. Farbakzente setzen die gelben Kleider der Dienerinnen (Bianca Andrew, Monika Buczkowska, Julia Moorman, Nina Tarandek und Angela Vallone), die sich dem Begrabsche der Männer nicht erwehren können (Kostüme: Raphaela Rose).
Herausragende PaulaMurrihy, starker Eric Laporte
Für die Titelrolle ist die irische Mezzosopranistin Paula Murrihy, ehemals Ensemblemitglied der Oper Frankfurt, zurückgekehrt. Besonnen und geschickt im Umgang mit den sie heftig umwerbenden Männern, ist ihre Pénélope auch eine sehr tief empfindende Frau, die von ihren Gefühlen und der Vernunft hin und hergerissen ist. Herausragend ist Murrihys Talent, leisen Tönen große Bedeutung beizumessen. Sie besticht mit ihrer zurückhaltenden innigen Art.
Tenor Eric Laporte, derzeit auch in Hoffmanns Erzählungen am Staatstheater Mainz zu erleben, gibt einen sich vom zaghaften Bettler zum kämpferischen Heroen aufschwingenden Ulysse mit schönen Klangfarben.
Mit ihrer besonnenen Ausstrahlung und klangschönen Stimme überzeugt die polnische Mezzosopranistin Joanna Motulewicz als treue Amme Euryclée. Aus der Schar der Freier (Ralf Simon und Dietrich Volle und Danylo Matviienko) stechen besonders Tenor Peter Marsh (Antinous) und Bariton Sebastian Geyer (Eurymaque) hervor. Kraftvoll verkörpert Bassbariton Božidar Smiljanić den Hirten Eumée. Bei seinen kurzen Auftritten bringt sich der von Markus Ehmann einstudierte Chor der Oper Frankfurt wieder prägnant ein.
Am Ende viel Applaus für diese Opernrarität im emanzipatorischen Gewand.
Markus Gründig, Dezember 19
Pénélope
Poème lyrique in drei Akten
Von: Gabriel Fauré
Uraufführung: 4. März 1913 (Monte Carlo, Opéra)
Premiere an der Oper Frankfurt: 1. Dezember 19 (Frankfurter Erstaufführung)
Besuchte Vorstellung: 11. Dezember 19
Musikalische Leitung: Joana Mallwitz
Inszenierung: Corinna Tetzel
Bühnenbild: Rifail Ajdarpasic
Kostüme: Raphaela Rose
Licht: Jan Hartmann
Video: Bibi Abel
Chor: Markus Ehmann
Dramaturgie: Stephanie Schulze
Besetzung:
Pénélope: Paula Murrihy
Ulysse: Eric Laporte
Euryclée: Joanna Motulewicz
Eumée: Božidar Smiljanić
Antinous: Peter Marsh
Eurymaque: Sebastian Geyer
Léodès: Ralf Simon
Ctésippe: Dietrich Volle
Pisandre: Danylo Matviienko °
Cléone: Nina Tarandek
Mélantho: Angela Vallone
Alkandre: Bianca Andrew
Phylo: Julia Moorman °
Lydie: Monika Buczkowska
Ein Hirte: Solistin des Kinderchores der Oper Frankfurt
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
° Mitglied des Opernstudios
oper-frankfurt.de