Im Dezember 2021 fand das erste Performanceprojekt des Jungen Schauspiel Frankfurt in der Reihe Fragile Verbindungen statt. Bei dieser vierteiligen Reihe suchen Jugendliche mit höchst diversen Bildungshintergründen und Migrationsgeschichten eigene Zugänge zur Geschichte des Nationalsozialismus in Frankfurt. See You., Teil 2 der Reihe, hatte im Februar 2022 Premiere. Nun folgte mit Erinnern Verändern der dritte Teil, diesmal im Historischen Museum Frankfurt.
Mit dem Stadtlabor auf Spurensuche im Heute
Dort sind neben der Dauerausstellung drei Ausstellungen zu sehen. Sie stehen unter dem Oberthema „Frankfurt und der NS“. Eine der drei Ausstellungen ist die in der dritten Etage befindliche partizipativ entstandene Ausstellung „Mit dem Stadtlabor auf Spurensuche im Heute – Frankfurt und der NS“. 38 Frankfurter*innen begaben sich hierfür auf Spurensuche nach Orten und Situationen, die an den Nationalsozialismus erinnern und noch heute unsere Gesellschaft prägen. Ihre persönlichen Erlebnissen und Berichte reflektiert das Junge Schauspiel Frankfurt in der Performance Erinnern verändern.
Themen von heute korrespondieren unmittelbar mit Themen von damals
Erzählt wird keine singuläre Geschichte. Die heterogenen Texte stammen aus dem Ausstellungsmaterial und aus Gesprächen mit den Menschen des Stadtlabors. Martina Droste (Konzept und Regie) und Jorma Foth (Mitarbeit) haben sieben Jugendlichen (Ayse Alatas, Joel Brahm, Jonas Garnatz, Jared Afework Gebru, Livia Jarnagin, Svenja Kaiser und Louis Umbach) viele Freiräume gegeben, ihre ganz persönlichen Eindrücke einzubringen und Brücken zur Gegenwart zu schlagen. Dabei nehmen sie das Publikum mit zu verschiedenen Stationen der Ausstellung, begleitet von musikalischen Einspielungen, Gesang und tänzerischen Bewegungen (Komposition/Sound Design: Max Mahlert, Chorische Einstudierung: Christina Lutz). Sie tragen stylische weiße Kleidung, die ihren unvoreingenommenen, vorurteilsfreien Zugriff unterstreicht (Bühne und Kostüme: Anna Sünkel). Schnell wird wird deutlich, dass Themen von heute unmittelbar mit Themen von damals korrespondieren. Machtbesessene Politiker, Kriege, Diffamierungen Andersartiger…, die Liste der Parallelen ist erschreckend lang und ernüchternd.
Die aus dem Westerwald stammende Wahlfrankfurterin Gundi Mohr beschäftigte sich intensiv mit den von Juden geforderten Zwangsabgaben („Die fiskalische Ausbeutung der Juden im Dritten Reich – ein Beitrag zur Rolle der Finanzverwaltung 1933-1945“ erschienen 1996). Sie ist einer der Stationen der Performance. Wie auch die Auseinandersetzung, wie innerhalb der Familie mit Erinnerungen umgegangen wird, insbesondere, wenn nur negative Erlebnisse in Erinnerungen bleiben und Menschen prägen. Erzählt wird auch von einem Grundschulmädchen, dass kein Datum in seine Schulhefte schreibt, weil die Mutter aufgehört hat, ihre Erinnerungen zu verarbeiten und gewissermaßen die Zeit angehalten hat.
Darf man Menschen lieben, die rassistische oder homophobe Ansichten haben?
Auch wird die Frage in den Raum gestellt, ob man Menschen lieben darf, die rassistische oder homophobe Ansichten haben. Oder was ist mit dem Urgroßvater? Er kämpfte einst für Deutschlad in Lemberg, dem heutigen Lwiw (in der Ukraine), einer Stadt mit bewegter Geschichte und Gegenwart.
Noch immer gibt es in Frankfurt Bunker, auch wenn sie zunehmend abgerissen werden. An einem Transparent geben drei Grundrissskizzen detailliert Auskunft zu deren Aufbau. Von dort ist es nicht weit in die ukrainische Stadt Mariupol der Gegenwart. Im Keller des dortigen Theaters suchten hunderte Menschen Schutz, dennoch wurde es von der russischen Armee bombardiert und viele Menschen, auch Kinder, starben.
Rom*nja und Sinti*zze haben noch immer mit starken Vorurteilen zu kämpfen. Mit dem freiberuflichen Referent für Bildung und zivilgesellschaftliches Engagement Silas Kropf und mit Patrizia Siwa vom Berufsbildungsprojekt des Fördervereins Roma e.V. werden zwei von Ihnen kurz vorgestellt. Dies geht über auf die Frage „Wo wart ihr in Hanau“ (dem rechtsextremen Terrorakt vom Februar 2020), zur Geschichte der nicht leben Dürfenden und zur allgegenwärtigen Homophobie.
Am Ende viel Applaus für den trotz ernster Thematik lebhaft umgesetzten und vielschichtigen Appell die Sinne für gesellschaftliche Themen stets wach zu halten.
Markus Gründig, April 22
Erinnern Verändern
Fragile Verbindungen #3
Von: Martina Droste und Jorma Foth
Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt
Uraufführung: 2. April 2022 (Historisches Museum Frankfurt)
Konzept und Regie: Martina Droste
Mitarbeit: Jorma Foth
Bühne und Kostüme: Anna Sünkel
Regieassistenz: Lilly-Marie Kellinghusen, Louis Umbach
Komposition/Sound Design: Max Mahlert
Chorische Einstudierung: Christina Lutz
Fachliche Beratung: Angela Jannelli, Gottfried Kößler
Mit: Ayse Alatas, Joel Brahm, Jonas Garnatz, Jared Afework Gebru, Livia Jarnagin, Svenja Kaiser, Louis Umbach
Das Projekt entstand in Kooperation mit dem »Stadtlabor« des Historischen Museums Frankfurt.
Ermöglicht durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) und das Bundesministerium der Finanzen (BMF).