Die Kunstform Oper gibt es seit dem Ende des 16. Jahrhunderts. In gewisser Weise gleicht sie einem Eisberg. Von ihm ist im Meer nur die aus dem Wasser herausragende Spitze zu sehen, sein tatsächliches Volumen ist um ein Vielfaches größer. Im gängigen Opernrepertoire sind keine 100 Opern enthalten, dabei gibt es wesentlich mehr. Von vielen Komponisten sind heute einzelne Opern bekannt, obwohl sie viele weitere komponiert haben. Manche Komponisten sind hingegen gänzlich unbekannt oder in Vergessenheit geraten.
Zu Ihnen gehört der 1795 in Altamura bei Bali geborene Saverio Mercadante. Er hat zig Bühnenwerke geschrieben und war nach Bellini und Donizetti bis in die späten 1840-er Jahre populär. Nicht zuletzt der riesige Erfolg seines Landsmanns Giuseppe Verdi ließ sein Ansehen dann aber verschatten und schließlich in Vergessenheit geraten. Seine 1830 entstandene zweiaktige Oper Francesca da Rimini wurde tatsächlich erst im Jahr 2016 beim Festival Valle d’Itria im süditalienischen Martina Franca szenisch uraufgeführt.
In der Spielzeit 2022/23 bietet die Oper Frankfurt unter der erfolgreichen Intendanz von Bernd Loebe elf Premierenabende mit insgesamt dreizehn Opern. Es ist eine große Menge und Vielfalt, die kaum ein anderes Opernhaus der Welt bietet. Ermöglicht wird dies auch durch Kooperationen. Wie mit den Tiroler Festspielen Erl, deren Intendant seit der Spielzeit 2019/20 ebenfalls Bernd Loebe ist. Dort feierte Francesca da Rimini im Dezember 22 seine österreichische Erstaufführung. Das Magazin concerti machte sie seiner Februar-Ausgabe zur „Inszenierung des Monats“. Die Inszenierung entstand in Kooperation mit der Oper Frankfurt, an der am 26. Februar 23 die deutsche Erstaufführung erfolgte.
Francesca da Rimini handelt von Francesca, die aus politischen Gründen an Lanciotto verheiratet wird, obwohl sie in dessen Bruder Paolo verliebt ist. Auf Dauer geht das nicht gut, am Ende sterben Francesca und Paolo. Dazwischen passiert nicht wirklich viel. Die Oper ist ein 180-minütiges (zuzüglich Pause) Dauerlamentieren über Liebessehnsüchte. Sie bietet eine großartige Gelegenheit, mit den Unglücklichen ausgiebig mitzufiebern und mitzuleiden. Dazu wartet die Musik Saverio Mercadante mit vielen ergreifenden und sehr fein gezeichneten Motiven auf. Der spanische Gastdirigent Ramón Tebar führt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester mit großer Hingabe durch diese leidenschaftliche Musik und macht deutlich, dass Mercadante seelische Porträts aufzeigt.
Die australische Sopranistin Jessica Pratt gibt mit dieser Produktion Ihr Debüt an der Oper Frankfurt. Am 30. Mai wird sie hier zudem einen Liederabend im Opernhaus gestalten. Und man darf hoffen, dass sie bereits für weitere Produktionen verpflichtet wurde. Ihre Erfolge durch Partien wie die der Amina (Bellinis La sonnambula) oder der Lucia (Donizetti Lucia di Lammermoor) wundert nicht. Auch in der Titelrolle von Francesca da Rimini nimmt sie mit ihren innig und intim gestalteten Tönen stark für sich ein. Die groß angelegte Figur des rasend eifersüchtigen Lanciotto gestaltet Tenor Theo Lebow äußerst vielseitig (sanft, intensiv und eindringlich). Als nachweislich betrogener Ehemann glänzt er insbesondere im zweiten Akt. Die Partie des Paolo ist als Hosenrolle angelegt. Mezzosopranistin Kelsey Lauritano verleiht ihm eine passende Leichtigkeit, ohne seine ernste Seite zu verbergen.
Die weiteren Partien sind deutlich weniger sängerisch eingebunden. Als Francescas fürsorglicher Vater Guido ist der seit dieser Spielzeit zum Ensemble zählende Bariton Erik van Heyningen zu erleben. Auch die Figuren Isaura (vornehm: Karolina Bengtsson) und Guelfo (listig: Brian Michael Moore) sind sängerisch eher Stichwortgeber. Szenisch sind sie allerdings stark beteiligt.
Trotz ihrer Handlungsarmut hat Regisseur Hans Walter Richter, der an der Oper Frankfurt bereits The Medium, Anna Toll und Die Geschichte vom Soldaten inszenierte, eine große Oper aus Francesca da Rimini gemacht. Dabei ist das Bühnenbild von Johannes Leiacker zunächst schlicht gehalten. Es zeigt einen abstrakten großen Raum mit zwei Wänden. Im ersten Akt sind diese Weiß gehalten, im zweiten dann, das Ende andeutend, in Schwarz. In diesem Raum befindet sich lediglich ein Bett und ein kleines Felsplateau (an dem zu Beginn die aus dem Krieg heimkehrenden Soldaten ihre Schwerter anlehnen). Dieser Raum öffnet sich, einem Vorhang gleich, immer wieder. Dahinter lauert das Volk oder auch drei Tänzer:innen (Annalisa Piccolo, Bernardo Ribeiro, Gabriel Wanka, Choreographie: Gabriel Wanka), die als Double der drei Hauptpartien im ersten Akt deren Gefühlen szenischen Ausdruck verleihen. Im zweiten Akt treten sie zu ihren Originalen und werden von diesen schließlich drangsaliert und getötet, so als wollten sie ihre eigene dunkle Seite nicht akzeptieren.
Nebelschwaden, herabrieselnder Schnee und ein erhaben wirkendes großes Portal sorgen zusätzlich für eine spannende Stimmung. Die Kostüme von Raphaela Rose muten historisch an, hier ragen besonders die mit maritimem Blau versehenen Kleider der Choristinnen heraus. Der Chor an sich präsentiert sich als Soldaten und Volk mit prachtvoller vokaler Stärke (Einstudierung: Tilman Michael).
Langanhaltender und intensiver Applaus.
Markus Gründig, März 23
Francesca da Rimini
Dramma per musica in zwei Akten
Von: Saverio Mercadante (1795 – 1870)
Text: Felice Romani
Uraufführung: 30. Juli 2016 (Martina Franca, Palazzo Ducale)
Premiere/Deutsche Erstaufführung an der Oper Frankfurt: 26. Februar 23
Übernahme einer Produktion der Tiroler Festspiele Erl
Besuchte Vorstellung: 5. März 23
Musikalische Leitung: Ramón Tebar
Inszenierung: Hans Walter Richter
Bühnenbild: Johannes Leiacker
Kostüme: Raphaela Rose
Licht: Jan Hartmann
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Mareike Wink
Besetzung:
Francesca: Jessica Pratt / Anna Nekhames (2., 8.4.)
Paolo: Kelsey Lauritano
Lanciotto: Theo Lebow
Guido: Erik van Heyningen
Isaura: Karolina Bengtsson°
Guelfo: Brian Michael Moore / Hyunjung Kim° (2., 8.4.)
°Mitglied des Opernstudios
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
oper-frankfurt.de