Abwechslungsreich, ausgedehnt und mit hohem Tempo, facettenreich, witzig, schwungvoll, poetisch, politisch, fragend, laut, intim, musikalisch, pikant, provokativ, rätselhaft… Regisseur Sebastian Hartmann ist back in Town und rockt das Schauspiel Frankfurt. Er war Hausregisseur am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und Intendant am Centraltheater Leipzig. Als freier Regisseur arbeitete er u. a. am Burgtheater Wien, Theater Basel, Schauspiel Stuttgart und dem Deutschen Theater Berlin. Zum Schauspiel Frankfurt hat er eine langjährige Verbindung. Schon unter der Intendanz von Dr. Elisabeth Schweeger (Beeing Lawinky) und unter Oliver Reese (Dämonen, Der Revisor) inszenierte er dort.
Arthur Schnitzlers Traumnovelle war am Schauspiel Frankfurt zuletzt 2011 von Bastian Kraft inszeniert worden (Besprechung). Die 90-minütige Inszenierung in den Kammerspielen zeichnete sich aus durch eine Doppelbesetzung der Hauptfiguren in einem Spiegelkabinett (gespielt von Franziska Junge, Valery Tscheplanowa, Torben Kessler und Marc Oliver Schulze).
Sebastian Hartmanns knapp 150-minütige Sicht auf diese Novelle ist eine gänzlich andere. Das Beziehungsdrama zwischen dem nicht besonders ehrgeizigen Arzt Fridolin und seiner Frau Albertine interessiert ihn nicht. Vielmehr richtet er seine Inszenierung auf die Frage aus, was ist Traum, was ist Realität und gibt es dazwischen überhaupt eine feste Grenze?
Text durcheinandergewirbelt
Schnitzlers Novelle besteht aus nur sieben Kapiteln. Darin berichtet er von den Träumen eines Ehepaares, die um ihre unterdrückte Sexualität kreisen und von den Ausflügen des Ehemanns. Die Handlung spielt in einem Zeitraum von nur 1 ½ Tagen. Träume, das kann jeder für sich bestätigen, haben ihre eigene Dramaturgie und keine Logik. Ist man an einem Ort, ist man im nächsten Traummoment schon an einem vollkommen anderen Ort. So hat Sebastian Hartmann die vielen kleinen Episoden in Schnitzlers Text zerlegt und neu arrangiert (fern der linearen Chronologie in der Novelle).
Es kommt nahezu alles vor, nur an anderer Stelle, in einem anderen Tempo und aus ständigen Perspektivwechseln. Manches wird unter einem großen Vollmond rasend schnell erzählt (Annie Nowack), Anderes wird nicht enden wollend dargeboten (wie eine Albtraumsequenz kurz vorm Ende).
Die in der Novelle zu Beginn stehende kurze Gutenachtgeschichte vom zum Palast des Kalifen reisenden Prinzen Amgiad findet erst am Ende eine geheimnisvoll anmutende szenische Würdigung. Auch das erste Treffen Fridolins mit der Prostituierten Mizzi aus der Buchfeldgasse kommt erst sehr viel später.
Zusätzlich hat Hartmann als Statements und zur Diskussion zur aktuellen Lage einige Dritttexte eingefügt (wie Edgar Allan Poes „All that we see or seem is but a dream within a dream“). Von daher ist es nicht verkehrt, vor einem Aufführungsbesuch die kurze Novelle zu lesen (beispielsweise über das freie Portal projekt-gutenberg.org).
Die ideale Formation des Augenblicks
Die weit geöffnete Bühne (auch Sebastian Hartmann) zeigt sich offen und mit ihren dunklen Wänden als idealer nächtlicher Raum. Auf dem Boden breiten sich große Wellen aus einem an Sand erinnernden Kunststoff aus, so als hätte sie ein herabfallender Wassertropfen verursacht. Doch diese ideale Formation des Augenblicks kann natürlich nicht dauerhaft bestehen (auch wenn versucht wird, sie mittels eines großen Auslegers wiederherzustellen). Wasser ist als Versinnbildlichung von bewussten und unbewussten Gefühlen ein zentraler Begriff in der Traumdeutung.
Die Kostüme von Adriana Braga Peretzki nehmen Bezug zur Wiener Modernen. Frack und Zylinder für die Herren, tolle Kleider mit eleganten Art Deco Mustern für die Damen. Die Beleuchtung zeichnet sich durch harte Schnitte aus.
Fridolin und Albertine sind alle
Eine weitere Besonderheit dieser Inszenierung ist, dass Sebastian Hartmann auf eine feste Rollenzuordnung verzichtet. Fridolin und Albertine sind alle: Caroline Dietrich, Heidi Ecks, Manja Kuhl, Annie Nowak, Christian Kuchenbuch, Sebastian Kuschmann, Christoph Pütthoff, Matthias Redlhammer und Holger Stockhaus. Sie geben zugleich auch die Nebenfiguren wie den Kostümverleiher Gibiser mit seiner Pierrette und den zwei Femrichtern, den Pathologe Dr. Adler, Marianne, Tochter des Hofrats aus der Schreyvogelgasse oder den musikalischen Kommilitonen Nachtigall. Apropos Musik. Diese spielt hier, live und zugespielt, eine große Rolle. Sei es vom eröffnenden Maskenball, Gesang (wie „Leuchtreklame“ von Milliarden ) oder Solomusiknummern (allen voran von Holger Stockhaus an Posaune und Klavier, aber auch von Heidi Ecks an der Flöte oder Matthias Redlhammer am Klavier). Die von Schnitzler berichteten erotischen Fantasien bleiben auch nicht unerwähnt, dazu gibt es dann auch eine kurze Szene im Adamskostüm (souverän dabei: Sebastian Kuschmann). Und es kann auch gelacht werden, wie über eine slapstickhaft dargebotene Wundverletzung (Holger Stockhaus) oder einen ob der Berichte über seine Frau mehrfach in Ohnmacht fallender Fridolin (Christoph Pütthoff).
Ein vollgepackter, abwechslungsreicher Abend mit einer tollen Ensembleleistung, für den es bei der Premiere großen Zuspruch, aber auch deutlich vernehmbare Buh-Rufe gab.
Markus Gründig, März 23
Die Traumnovelle
Novelle von: Arthur Schnitzler
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 4. März 23 (Schauspielhaus)
Regie und Bühne: Sebastian Hartmann
Kostüme: Adriana Braga Peretzki
Dramaturgie: Katrin Spira
Lichtdesign: Lothar Baumgarte
Mit: Caroline Dietrich, Heidi Ecks, Christian Kuchenbuch, Manja Kuhl, Sebastian Kuschmann, Annie Nowak, Christoph Pütthoff, Matthias Redlhammer, Holger Stockhaus