Oper Frankfurt: Geistertragödie trifft auf Neo-Musical ~ »The Medium« und »Satyricon« im Bockenheimer Depot

The Medium ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Monica (Louise Alder), Madame Flora (Meredith Arwady) und Toby (Marek Löcker) ~ © Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Nicht zuletzt der freundlichen Unterstützung des Frankfurter Patronatsvereins – Sektion Oper ist es zu verdanken, dass die Oper Frankfurt zum Abschluss der Spielzeit 2018/19 noch zwei sehr gegensätzliche Randwerke des Opernrepertoires im Bockenheimer Depot vorstellen kann: Die in ihrer revidierten Fassung 1947 in New York uraufgeführte Operntragödie in zwei Akten The Medium (Das Medium) von Gian Carlo Menotti und Bruno Madernas Einakter Satyricon, der 1973 im niederländischen Scheveningen uraufgeführt wurde. Beide Werke werden erstmals in Frankfurt gespielt.
Die zwei sehr unterschiedlichen Stücke verbindet, dass sie beide aus dem 20. Jahrhundert stammen und beide jeweils rund eine Stunde Spieldauer haben. Auf die Bühne gebracht wurden sie von zwei getrennten Teams, wie auch die musikalische Leitung zwei Dirigenten obliegt.

Der italoamerikanische Komponist, Librettist und Regisseur Gian Carlo Menotti (1911-2007) ist hierzulande relativ unbekannt. Seine Oper The Medium brachte ihm große Erfolge ein, Weltruhm erlangte er 1950 mit der Oper The Consul. Sein Lebenspartner war der US-amerikanische Komponisten Samuel Barber. Für Menotti war es wichtig, dass die Spieltechniken der Oper an diejenigen des modernen Sprechtheaters angeglichen werden. Auf musikalischer Seite blieb er in seiner Musik konservativ, weshalb er nicht ohne Grund als „sentimentaler Nachfolger Puccinis“ bezeichnet wird.


The Medium
Oper Frankfurt
Madame Flora (Meredith Arwady; unten links neben der Treppe stehend) und Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Hans Walter Richter ist seit 2008 als Regieassistent an der Oper Frankfurt engagiert, inszenierte hier Strawinskys Die Geschichte vom Soldaten (2012) und Langemanns Anna Toll (2016). The Medium ist seine dritte Arbeit für die Oper Frankfurt, eine sehr gelungene, denn er erzählt nicht nur eine Geistergeschichte, sondern betont besonders die seelischen Konflikte der Beteiligten.
Die Bühne von Kaspar Glarner zeigt ganz naturalistisch die Wohnstube von Madame Flora, genannt Baba, in der die Séancen stattfinden. Ein düsterer Raum, der an alte Frankensteinfilme oder die Addams Familie erinnert. Hier geschehen unheimliche Dinge, die Tischplatte dreht sich, eine Lampe schwebt herab, Schatten der Vergangenheit tauchen plötzlich hinter Fenstern auf und selbst lang verstorbene Verwandte zeigen sich in einer Gruft lebendig. Dazu wird auch die Obermaschinerie bespielt. Cornelia Schmidts Kostüme nehmen Bezug zur Zeit der Uraufführung.

Ungewöhnlich für eine Oper ist hier die gute Textverständlichkeit, was nicht nur am Englischen liegt, sondern auch am parlandohaften Gesang, wie generell viel gesprochen wird. Richter führt die erst mit einem Schmunzeln zu beobachtenden Szenen geschickt zum dramatischen Finale, dem plakativ in Szene gesetzten Freitod des Zöglings Toby. Dessen stumme Rolle verkörpert mit großem körperlichen Einsatz eindringlich Marek Löcker. Im Mittelpunkt steht die Trickbetrügerin Madame Flora, die mit imponierender Stimme und schonungslosem körperlichen Einsatz die US-amerikanische Altistin Meredith Arwady gibt. Imponierend, wie ihre „Baba“ sich in einen rücksichtslosen Wahn steigert. Sopranistin Louise Alder ist die emphatische, jugendliche und kokettierende Tochter Monica, die Liebe und Wärme versprüht. Als illustre Gäste der Séance erscheinen die adrette Mrs. Gobineau (chic und strahlend: Barbara Zechmeister) und ihr besonnener Ehemann (ehrenhaft: Dietrich Volle), sowie die bekümmerte Mrs. Nolan (authentisch: Kelsey Lauritano). Fünf ins Ohr gehende Akkorde stehen am Anfang und Ende des Werkes, sie kehren auch zwischendurch immer motivisch wieder. Nikolai Petersen am Pult des verkleinerten Frankfurter Opern- und Museumsorchester macht deutlich, dass Menottis Musik komplexer und weit mehr ist, als bloßer Neo-Verismo.


Satyricon
Oper Frankfurt
Trimalchchio (Peter Marsh, links in goldenem Kostüm) und Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Nach einer etwas längeren Pause als üblich, ist für Bruno Madernas Satyricon die Bühne von der beengt wirkenden Behausung Madame Floras befreit und weit geöffnet. Statt Dunkelheit herrscht nun viel Weiß vor. Große Plastiken stehen herum, ein Förderband bringt endlos Gegenstände, die für zügellose Lust wie Vergänglichkeit und den Tod stehen (Bühnenbild: Kaspar Glarner). Dazu passen auch die auf knallige Farben setzenden Kostüme von Cornelia Schmidt. Drei illustre Sklaven (Carlo: Manuel Gaubatz; Niceros: Kamil Mrozowski; Philargyros: Michael Gross) am Hof des Emporkömmlings Trimalchio sorgen schon vor Beginn für Unterhaltung. Sie sind, knapp bekleidet und teilweise auf High Heels, mit bewegungsreichen und artistischen Einlagen fast die ganze Aufführung über präsent.
Bruno Madernas Pasticcio basiert auf dem Roman des Petronius Arbiter, der mit obszönen Worten (in lateinisch) ein satirisch überzogenes Bild des dekadenten Roms zur Zeit Neros zeigt. Madernas Fassung ist fünfsprachig und ist eine Collage aus 16 Szenen und fünf elektronischen Einspielungen. Laut Blog der Oper Frankfurt „ein überbordendes Welttheater, das mit einem nimmersatten Grinsen aus der Reihe tanzt“.
Das bunte und überzogene szenische Geschehen wird musikalisch von einer Vielzahl an bekannten musikalischen Formen untermauert. Neben Eigenzitaten griff Maderna offen u. a. auf Gluck, Wagner, Offenbach, Verdi, Puccini, Sousa, Tschaikowsky, Weill und Louis Armstrong) zurück. Entstanden ist „ein Satyrspiel auf die Tragödie der im Serialismus erstickten Avantgarde“ (Ulrich Schreiber). Kapellmeister Simone Di Felice fächert die vielen Stile kunstfertig auf.


Satyricon
Oper Frankfurt
Ensemble
© Barbara Aumüller (szenenfoto.de)

Das besondere an Satyricon ist, dass die für sich geschlossenen Szenen in ihrer Reihenfolge nicht festgelegt sind. Jede Inszenierung kann sie anders anordnen und so dem Stück eine eigene Note geben. In der Regie von Nelly Danker ist es ein großer Spaß, an dem alle mit Begeisterung mitwirken.
Peter Marsh als Bonvivant Trimalchio, Susanne Gritschneder als dessen Frau Fortunata, Theo Lebow als Habinnas, Ambur Braid als koloraturfreudige Scintilla, Karen Vuong als Criside und Mikołaj Trąbka als Eumolpus.

Viel Applaus und beim Rezensenten etwas Wehmut, denn Louise Alder und Karen Vuong verlassen am Ende dieser Spielzeit, wie auch Sydney Mancasola und Julia Dawson, das Ensemble der Oper Frankfurt (zugunsten einer freiberuflichen Tätigkeit).

Markus Gründig, Juni 19


The Medium / Satyricon

Premiere des Doppelabends an der Oper Frankfurt: 15. Juni 19 (Bockenheimer Depot)
Besuchte Vorstellung: 20. Juni 19

The Medium
Tragödie in zwei Akten
Von: Gian Carlo Menotti (1911-2007)

Musikalische Leitung: Nikolai Petersen
Regie: Hans Walter Richter
Bühnenbild: Kaspar Glarner
Kostüme: Cornelia Schmidt
Licht: Jan Hartmann
Dramaturgie: Mareike Wink

Besetzung:

Madame Flora: Meredith Arwady
Monica: Louise Alder
Mrs. Gobineau: Barbara Zechmeister
Mr. Gobineau: Dietrich Volle
Mrs. Nolan: Kelsey Lauritano *
Toby: Marek Löcker

Satyricon
Oper in einem Akt
Von: Bruno Maderna (1970-1973)

Musikalische Leitung: Simone Di Felice
Regie: Nelly Danker
Bühnenbild: Kaspar Glarner
Kostüme: Cornelia Schmidt
Licht: Jan Hartmann
Dramaturgie: Stephanie Schulze

Besetzung:

Trimalchio: Peter Marsh
Fortunata: Susanne Gritschneder
Habinnas: Theo Lebow
Scintilla: Ambur Braid
Criside: Karen Vuong
Eumolpus: Mikołaj Trąbka
Niceros: Kamil Mrozowski
Philargyros: Michael Gross
Carlo: Manuel Gaubatz

Frankfurter Opern- und Museumsorchester
* Mitglied des Opernstudios

oper-frankfurt.de