Vom Ballast befreiter »Parsifal« an der Oper Frankfurt

Parsifal ~ Oper Frankfurt ~ v.l.n.r. Parsifal (Ian Koziara) und Kundry (Jennifer Holloway) ~ © Monika Rittershaus

Bühnenweihfestspiel und Weltabschiedsdrama, Richard Wagners letzte Oper Parsifal ist in vielerlei Hinsicht eine ganz besondere Oper. Allein schon von der Länge. Sie stellt einen enormen Kraftakt für jedes Opernhaus dar, auf und hinter der Bühne und selbst für das Publikum. Und sie ist eine Oper voller Rätsel, selbst noch 143 Jahre nach ihrer Uraufführung.

Frei nach dem mittelalterlichen Versroman Parzifal von Wolfram von Eschenbach (um 1170 – um 1220) komprimierte Wagner die Handlung. Er fügte weitere Texte (u. a. von Schopenhauer) und buddistische Elemente ein. Zwar nutzte er christliche Motive (wie Abendmahl, Fußwaschung, Karfreitag und Taufe), sein Parsifal ist aber eher ein verschnörkeltes atheistisches Kunstwerk.

Mit Ironie auf den Kern fokussiert

Für die Oper Frankfurt hat nun die vielfach international ausgezeichnete Brigitte Fassbaender (* 1939) das Werk neu erarbeitet. Als bayerische und österreichische Kammersängerin, Regisseurin und ehemalige Intendantin kann sie auf einen riesigen Erfahrungsschatz zurückgreifen (daneben ist sie zudem als Schriftstellerin und Malerin aktiv). Bei ihrer Parsifal-Umsetzung nahm sie sich die Freiheit, den Ballast der Interpretationsgeschichte dieser Oper abzulegen und sich mit Ironie auf den Kern zu fokussieren. Warum? Weil sie es kann und hier darf.

Parsifal
Oper Frankfurt
v.l.n.r. Parsifal (Ian Koziara) und Gurnemanz (Andreas Bauer Kanabas) sowie Knappen (Andrew Kim und Andrew Bidlack)
© Monika Rittershaus

Die beladene Geschichte des „reinen Tor“ hat sie sortiert, geordnet, aufgehellt und auf den Punkt gebracht. Die so viel durchmachenden Figuren zeigt sie als normale Menschen und damit nahbar. Das wird vor allem bei der Titelfigur deutlich. Der neue Frankfurter Parsifal ist ein junger Mann, der in die Welt hereingeworfen, von Situation zu Situation wächst und an sich reift. Seine Veränderungen sind allein schon an seiner wechselnden Kleidung ablesbar, die zunehmend immer stattlicher wird. Eine zentrale Figur ist die einzige Frauenrolle: Kundry. Sie ist für Fassbaender die interessanteste Rolle im Werk Wagners. Ein geheimnisvolles Doppelwesen, Botin und Dienerin.

Versteinerte Gesellschaft

Die auf dem Gebiete und in der Burg der Gralshüter stattfindende Handlung ist groß in Szene gesetzt worden. Dabei mutet das erste Bild mit seinen glatten Seitenwänden und einer Felsenrückwand, vor der ein großes Bild mit einer mystisch anmutenden Seen-Landschaft steht, abstrakt an. Die Fluchtperspektive vermittelt den Eindruck, man würde auf einen Abgrund zugehen.

Das zweite Bild des ersten Akts zeigt den mächtigen Tempelsaal der Gralsburg mit hohen Wänden und Türen. Der Gral ist hier ein extrem vergrößertes und überhöhtes Gefäß, aus dem kein Mensch trinken kann. Er steht mittig im Hintergrund, und ist von Gesteinsmassen umrahmt. Hier kann man durchaus auch an eine Vulva denken (schließlich ist es ja die Frau, die Leben gebiert).

Parsifal
Oper Frankfurt
Kundry (Jennifer Holloway) und Klingsor (Iain MacNeil)
© Monika Rittershaus

Im zweiten Akt, ohne Gral, steht dafür ein Podest vor dessen Stelle. Es deutet ein von großen Scheinwerfer in Szene gesetztes Bett an. Passend dazu hängt unter einer Girlande im Hintergrund ein Bild der Venusgrotte. Am Aktende stürzt es krachend und mit viel Staub darnieder.

Die Zerstörung von Klingsors Machtbereich zeigt sich auch im ersten Bild vom dritten Akt. Der Außenbereich vom Anfang ist jetzt auf der rechten Seite wie aufgebrochen und zeigt offen die Rückwand des Tempelsaales. Dazwischen liegt eine kleine Wiesenfläche mit österlichen Gold-Krokussen und ein paar Kreuzen.

Zurück im großen Saal (2. Bild) ist dieser inzwischen vollständig versteinert. So als hätte die dunkle Macht endgültig überhand genommen. Und nicht nur der Saal, auch die Brüderschaft der Gralsritterschaft wirkt von Kopf bis Fuß wie versteinert (Bühnenbild und Kostüme: Johannes Leinacker). Eine bildstarke Manifestation der ewig Gestrigen.

Wenn der Gral schließlich wieder enthüllt wird, färbt dessen Gold auf die gesamte Szenerie ab. Parsifal ist bei sich und seiner neuen Aufgabe angekommen. Kundry und Amfortas finden kurzerhand zueinander und die Gralsgemeinschaft befreit sich von der Versteinerung: Die Jacken werden abgelegt und die Gesichter abgeschminkt. Personal bringt Kanapees und Sekt, der Aufbruch in das Leben wird gefeiert. Ein fröhliches Happy End und das bei einer Oper von Richard Wagner. Danke Brigitte Fassbaender. Währenddessen schließt sich der Vorhang ganz langsam (in absoluter Werktreue, wie im Libretto angegeben; Bühnenbild, Kostüme: Johannes Leiacker).

Während der Vor- und Zwischenspiele werden auf dem herabgelassenen Bühnenvorhang Ausschnitte aus Claude Monets 33 Gemälde umfassenden Bilderserie Die Kathedrale von Rouen gezeigt. Sie stammen aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, also ungefähr aus der Zeit der Parsifal-Uraufführung. Die verschiedenen Ansichten laden zu kurzen Betrachtungen ein, wie sich das stets gleiche Motiv in Nuancen und verschiedenen Lichtsituationen verändert.

Parsifal
Oper Frankfurt
Parsifal (Ian Koziara; links) und Amfortas (Nicholas Brownlee; mittig) sowie Ensemble
© Monika Rittershaus

Gleiches gilt gewissermaßen auch für die Leitmotive von Richard Wagner, zu denen hiermit eine Parallele gezogen wird (wie Dramaturg Konrad Kuhn in seiner Einführung vor der Vorstellung hinwies). Denn auch die Leitmotive variieren. Sie ertönen in unterschiedlichen Tonarten, Modulationen und Zusammenhängen. Ein weiterer Hinweis Kuhns: Manche Wörter die Wagner verwendete, sind heute fremdartig und mitunter nicht zu deuten, da kann ein Blick auf die englischen Übertitel eine praktische Hilfe sein.

Ian Koziara vemittelt Parifals Wandlung überzeugend

In der Titelrolle vermittelt der US-amerikanische Tenor Ian Koziara die Wandlung vom unbedarft wirkenden Tor zum neuen Gralskönig überaus überzeugend. Seine warm tönende Stimme wächst dabei entsprechend mit. Mit profunder Bassstimme wartet hingegen durchweg Andreas Bauer Kanabas als Gurnemanz auf, wofür er bei der besuchten zweiten Vorstellung auch den stärksten Schlussapplaus erhielt.

Kundry ist für Fassbaender die wichtigste und faszinierenste Person der Wagner-Opern. Sie zeigt sie als Opfer, aber auch als eine, die gegen die Umstände rebelliert. Sopranistin Jennifer Holloway gibt sie mit vielen Facetten und bewältigt die anspruchsvolle Partie mit nicht nachlassender Kraft.

Nicholas Brownlee braust vokal als geschundener Amfortas mit kraftvöllen auf. Der alte Gralkönig Titurel ist hier ein im Rollstuhl fast schon Dahinsiechender (Alfred Reiter). Sehr vital hingegen ist der Klingsor des ebenso vokal aufbrausenden Tenors Iain MacNeil.

Alle weiteren Partien sind bestens mit Ensemblemitgliedern und vom Opernstudio besetzt. Der Chor der Oper Frankfurt, oftmals getrennt als Frauen- und Männerchor, begeistert mit seiner Klangstärke und schauspielerischer Stärke (Einstudierung: Gerhard Polifka).
Den Erfahrungsreichtum des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters im Wagner-Repertoire weiß GMD Thomas Guggeis bestens zu nutzen und bringt es erneut zu Höchstformat (insgesamt übrigens mit schnellem Gesamt-Tempi).

Auf YouTube ist zudem erneut ein musikalisches Einführtungsvideo zu Parsifal abrufbar („Deep dive“: youtu.be.

Markus Gründig, Mai 25


Parsifal

Bühnenweihfestspiel in drei Akten
Von: Richard Wagner
Uraufführung: 26. Juli 1882 (Bayreuth, Festspielhaus Bayreuth)

Premiere: 18. Mai 25 (Opernhaus)
Besuchte Vorstellung: 24. Mai 25

Musikalische Leitung: Thomas Guggeis
Inszenierung: Brigitte Fassbaender
Bühnenbild, Kostüme: Johannes Leiacker
Licht: Jan Hartmann
Chor: Gerhard Polifka
Dramaturgie: Konrad Kuhn

Besetzung:

Amfortas: Nicholas Brownlee
Titurel: Alfred Reiter
Gurnemanz: Andreas Bauer Kanabas
Parsifal: Ian Koziara
Klingsor: Iain MacNeil
Kundry: Jennifer Holloway
Erster Gralsritter: Kudaibergen Abildin
Zweiter Gralsritter: Božidar Smiljani
Erster Knappe: Idil Kutay°
Zweiter Knappe: Nina Tarandek
Dritter Knappe: Andrew Bidlack
Vierter Knappe: Andrew Kim°
Klingsors Zaubermädchen: Clara Kim / Idil Kutay° / Nina Tarandek / Julia Stuart° / Nombulelo Yende / Judita Nagyová
Stimme aus der Höhe: Katharina Magiera

Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester

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