»Der Sandmann« mit starken Visualisierungen am Schauspiel Frankfurt

Der Sandmann ~ Schauspiel Frankfurt ~ Vater (Sebastian Kuschmann), Mutter (Heidi Ecks), davor: Nathanael (Mitja Over) ~ Foto: Birgit Hupfeld

E. T. A. Hoffmann gilt als der größte Autor der Schauerromantik („Gespenster-Hoffmann“). Noch weit vor Sigmund Freud zeigte er ein ausgeprägtes Interesse an der Metaphysik seiner Zeit (Vorläufer der Psychologie), insbesondere an krankhaften Veränderungen. Er war nicht nur Dichter, sondern auch Komponist, Zeichner, Maler und Musikkritiker. Eines seiner bekanntesten Werke ist die Novelle Der Sandmann, die er 1816 im Alter von 40 Jahren schrieb (als Teil des Zyklus Nachtstücke). Darin wird vom jungen Mann Nathanael erzählt, dessen traumatische Kindheitserinnerungen schließlich zu seinem frei gewählten Tod führen.

Die besondere Form dieser Novelle mit ihrem multiperspektivischen Erzählstil drängt sich für eine Bühnendramatisierung nicht unbedingt auf, die Themen Ängste, Fantastik, Liebe, Wirklichkeitswahrnehmung und Wahn freilich schon. Für das Schauspiel Frankfurt hat die Regisseurin Lilja Rupprecht aus E. T. A. Hoffmanns Vorlage eine kompakte Bühnenfassung erstellt (Spieldauer: 90 Minuten ohne Pause). Dabei verwendet sie den Originaltext. Durch eindrucksvolle Visualisierungen und der Einbindung von Musik und Sounds ist sie auch für Schulklassen bestens geeignet.

Die Premiere im Schauspielhaus wurde am Ende mit freundlichem Applaus bedacht. Dieser hätte durchaus intensiver ausfallen können, denn die Inszenierung ist nah am Original und dringt mit starken Bildern von der reinen Erzählebene zur Geschichte und den Figuren vor. Die Darsteller:innen zeigen eine große Präsenz und sind mit viel Spielfreude zu erleben.

Für Rupprecht ist es bereits die fünfte Inszenierung am Haus, nach Bachmanns Malina, Sartres Die schmutzigen Hände, Jelineks Sonne/Luft und zuletzt Fassbinders Die Ehe der Maria Braun. Zugleich ist es ihre visuell intensivste Arbeit.

Der Sandmann
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Birgit Hupfeld

Christina Schmitts Bühne orientiert sich am Aufbau der Novelle. Zunächst zeigt sie klassisch im vorderen Bühnenbereich das Zuhause von Natanael und seiner Familie (mit einem geheimnisvollen Raum mit reichlich Nebel hinter einer Schranktür). Dann fährt das Erdgeschoss in den Bühnenboden, kurzzeitig wird die Schlafstube vom ersten Obergeschoss zur zentralen Spielstätte.

Der Sandmann
Schauspiel Frankfurt
Olimpia (Manja Kuhl), Spalanzani (Sebastian Kuschmann)
Foto: Birgit Hupfeld

Dann wird die gesamte große Bühnenfläche genutzt. Sie besteht aus einer zersplitterten Landschaft unterschiedlicher Bodenplatten. Ein Bild für Nathanaels aus den Fugen geratenen Seelenzustand. Hinzu kommen ein überdimensionierter Vorhang mit psychedelischen Motiven („Pilz“-Wucherungen) und ein zweistöckiges Glashaus. Im Erdgeschoss residiert Spalanzanis „Tochter“ Olimpia), das 1. Obergeschoss dient als Turm. Im Hintergrund erstrahlt ein überdimensionales Auge. Schließlich spielen Augen eine zentrale Rolle in Nathanaels Alpträumen.

Im dritten Teil gibt es außergewöhnliche Videoprojektionen. Hierbei wird Live-Bildmaterial von einer Echtzeit-KI-Anwendung bearbeitet und es entstehen gewollt unvollkommene Bilder mit Verzerrungen (jeden Abend übrigens neue; Video: Moritz Grewenig).

Annelies Vanlaeres Kostüme nehmen Bezug zur Entstehungszeit der Novelle. Hierbei ragt vor allem das aufwendig gefertigte schwarze Faltenkleid von Coppelius heraus. Musik spielt in dieser Inszenierung eine große Rolle. Schon vor Beginn sitzt Musikus Philipp Rohmer (auch Claras Bruder Lothar) an einem Keybord. Er begleitet den Abend mit Sounds und Tönen.

Die Figur des Nathanaels verkörpert der junge Mitja Over mit Passion. Vor einem Jahr stellte er sich in Nino Haratischwilis Phädra, in Flammen in Frankfurt vor. Seit Beginn dieser Spielzeit zählt er zum Ensemble.

Nathanaels sich sorgende Mutter gibt die jung anmutende Heidi Ecks mit Lässigkeit, seinen streng wirkenden Vater im Schaukelstuhl Sebastian Kuschmann. Er ist auch als erhabener Physikprofessor Spalanzani zu erleben. Mit besonderen Blicken gibt Manja Kuhl dessen vermeintliche Tochter Olimpia. Mit jugendlicher Unbekümmertheit glänzt die Clara der Tanja Merlin Graf, Matthias Redlhammer ist eindringlich in Mehrfachbesetzung als Amme, als undurchsichtiger und geheimnisvoller Advokat Coppelius und als Wetterglashändler Coppola zu erleben.

Nach den Schlussworten der Erzählerin (Heidi Ecks) gibt es noch ein Schlaflied der besonderen Art vom Terzett der drei weiblichen Figuren („cut the gash“ von Phillip Rohmer), ein sehnsuchtsvolles sich in die Traumwelt sehnen (Text im Programmheft).

Markus Gründig, Mai 25


Der Sandmann

Nach E.T.A. Hoffmann (1776 – 1822), in einer Bühnenbearbeitung von Lilja Rupprecht.

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 23. Mai 25 (Schauspielhaus)

Regie: Lilja Rupprecht
Bühne: Christina Schmitt
Kostüme: Annelies Vanlaere
Video: Moritz Grewenig
Musik: Philipp Rohmer
Choreografie: Raimonda Gudaviiūtė
Dramaturgie: Katrin Spira
Licht: Frank Kraus

Besetzung:

Nathanael: Mitja Over
Mutter: Heidi Ecks
Vater / Spalanzani: Sebastian Kuschmann
Clara: Tanja Merlin Graf
Olimpia: Manja Kuhl
Coppelius / Coppola: Matthias Redlhammer
Live-Musik / Lothar, Musikus: Philipp Rohmer

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