Große Bühne für »Die Ehe der Maria Braun« am Schauspiel Frankfurt

Die Ehe der Maria Braun ~ Schauspiel Frankfurt ~ Hermann ( Isaak Dentler), Maria (Manja Kuhl) ~ Foto: Birgit Hupfeld
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Vor 70 Jahren wurde Deutschland Fußball-Weltmeister. Am 4. Juli 1954 geschah „das Wunder von Bern“, die deutsche Nationalmannschaft besiegte im Wankdorf-Stadion Ungarn mit 3:2. Der Radiokommentar „Aus! Aus! Aus! Aus! – Das Spiel ist aus! – Deutschland ist Weltmeister“ von Herbert Zimmermann machte Geschichte. Nach Sönke Wortmanns Film „Das Wunder von Bern“ im Jahr 2003 eröffnete eine gleichnamige große Musicalproduktion damit das neu errichtete Stage Theater an der Elbe (2014). Der 4. Juli 1954 ist auch der Schlusspunkt im Film Die Ehe der Maria Braun von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1978 (Drehbuch von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich). Zeitgleich mit dem historischen Sieg Deutschlands explodiert im Film das Haus der Maria Braun.

Die Ehe der Maria Braun
Schauspiel Frankfurt
Maria (Manja Kuhl)
Foto: Birgit Hupfeld

Das Schauspiel Frankfurt zeigt jetzt eine energiegeladene Bühnenfassung von Die Ehe der Maria Braun auf großer Bühne im Schauspielhaus. Regie führt Lilia Rupprecht, die am Haus bereits Bachmanns Malina, Sartres Die schmutzigen Hände und Jelineks Sonne/ Luft inszenierte.

Deutschland hat nicht aus der Vergangenheit gelernt

Bis es zur Explosion kommt, erzählen Film und die Theaterfassung die Geschichte der Maria Braun vom Tag ihrer Eheschließung an. Die couragierte und strebsame junge Frau legte in der prosperierenden BRD eine nahezu unglaubliche Karriere hin („Mata Hari des Wirtschaftswunders“). Angetrieben dazu wird sie durch die schier unendlich große Liebe zu Ihrem Mann Hermann, mit dem sie noch nicht einmal zwei ganze Ehetage gemeinsam verbracht hat (1943 muss er an die Front, später sitzt er für sie eine langjährige Gefängnisstrafe ab).

Kein Film Fassbinders ist frei von einem politischen Impetus. Und so handelt auch das Melodram Die Ehe der Maria Braun von mehr als nur von einer außergewöhnlichen Liebesgeschichte. Allen voran Fassbinders Kritik an der Wirtschaftswunderpolitik und der menschlichen Kälte beim Fokus auf das Gewinnstreben klingt mehrfach an. Aber auch, dass Deutschland keine ausreichenden Konsequenzen aus vergangenen Fehlern während des Nationalsozialismus (und der Zeit davor) gezogen hat. Die Chance zu einem entscheidenden Neuanfang wurde versäumt.

Die Ehe der Maria Braun
Schauspiel Frankfurt
Opa Berger (Michael Schütz), Mutter (Heidi Ecks), Maria (Manja Kuhl), Hermann (Isaak Dentler), Standesbeamter (Mark Tumba), Betti (Caroline Dietrich), Willi (Christoph Pütthoff)
Foto: Birgit Hupfeld

Der Film ist umrahmt von einem herabfallenden Hitler-Bild zu Beginn und den Negativprofilbilder der Bundeskanzler von Adenauer bis 1978 (nur Schmidt wird im Positiv gezeigt; Willy Brandt fehlt in dieser Galerie, mit diesem sympathisierte Fassbinder). Die Inszenierung von Lilia Rupprecht verwendet, mehr als der Film, Texte von Konrad Adenauer (dem ersten Bundeskanzler der BRD; 1949 – 1963) zum Thema Frieden und Wiederaufrüstung (im Programmheft ist seine Rundfunkansprache vom 11. Oktober 1950 abgedruckt).

Symbiose aus intensiv dargebotenem Spiel, Projektion, Bewegung

Der Abend zeichnet sich durch sein intensiv dargebotenes Spiel in der Regie von Lilia Rupprecht aus. Dabei geben acht Darstelller:innen 24 Rollen, bis auf Manja Kuhl in der Titelrolle, alle in Mehrfachbesetzung. Er ist ein Gesamtwerk auf großer Spielfläche (Bühne und Kostüme: Annelies Vanlaere), ausdrucksstarker Ensembleszenen als Bilder für eine Gesellschaft, die funktioniert aber auch auseinanderbricht (Choreografie: Rônni Maciel Moreira Soares), atmosphärischer Live-Musik (Fabian Ristau), groß projizierten Live-Video (Moritz Grewenig) und akzentuiert gesetzten Licht (Marcel Heyde).

Die große Rolle der Maria Braun gibt Manja Kuhl, anders als Hanna Schygulla im Film, mit kühler Note und stets etwas unnahbar wirkend. Isaak Dentler als ihr Ehemann Hermann (auch Schaffner, Pförtner und Kellner) ist demgegenüber, trotz aller Zurückhaltung, greifbarer. Heidi Ecks geht in der Rolle der aufgeschlossenen und patenten Mutter förmlich auf (dazu gibt sie das fesche Animiermädchen Vevi und die strenge Notarin). Caroline Dietrich, leicht an Constanze Becker erinnernd, gibt mit starker Präsenz die stets unglückliche Betti (dazu Schwester, Journalist, die Sekretärin Frau Ehmke und eine Gesangseinlage).

Den in den Kriegswirren herbei gezerrten Standesbeamten und den Liebhaber Bill verkörpert Mark Tumba mit Souveränität (dazu Dolmetscher, Soldat und Herr Wetzel). Sebastian Reiß nimmt als Industrieller Oswald, der Maria verfallen ist, für sich ein (dazu Bronski und Kellner). Michael Schütz knüpft als Opa Berger an die Figur des Fürst K. aus Life Is But A Dream an (dazu der sich auf den Ruhestand vorbereitende Arzt, Richter, Amerikaner, Anwalt und mit einer Gesangseinlage). Christoph Pütthoff gefällt als Bettis Mann Willi, geschäftstüchtiger Händler und sensibler Buchhalter Senkenberg.
Nach pausenlosen 120 Minuten intensiver Applaus für alle Beteiligte.

Markus Gründig ,April 24


Die Ehe der Maria Braun

Spielfilm
Drehbuch von: Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich
Nach einer Vorlage von: Rainer Werner Fassbinder (1945 – 1982)

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 20. April 24 (Schauspielhaus)

Regie: Lilja Rupprecht
Bühne und Kostüme: Annelies Vanlaere
Choreographie: Rônni Maciel Moreira Soares
Musik: Fabian Ristau
Video: Moritz Grewenig
Dramaturgie: Katrin Spira
Licht: Marcel Heyde

Besetzung:

Maria: Manja Kuhl
Hermann / Schaffner / Pförtner / Kellner: Isaak Dentler
Mutter / Vevi /Notarin: Heidi Ecks
Betti / Schwester / Journalist / Frau Ehmke: Caroline Dietrich
Standesbeamter / Bill / Dolmetscher / Soldat / Hans: Mark Tumba
Bronski / Oswald / Kellner: Sebastian Reiß
Opa Berger / Arzt / Richter / Amerikaner / Anwalt: Michael Schütz
Willi / Händler / Senkenberg: Christoph Pütthoff

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