»Mord im Orientexpress« bei den Burgfestspielen Bad Vilbel

Mord im Orientexpress ~ Burgfestspiele Bad Vilbel ~ Hercule Poirot (Andreas Krämer) © Eugen Sommer
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Der Orientexpress ist wegen seiner komfortablen Atmosphäre und dem guten Essen, das es dort gegeben hat, Legende. Vor allem aber wegen seiner Route, die ihn von Paris nach Konstantinopel, dem heutigen Istanbul, führte. Er verband den Orient mit dem Okzident. Zudem versinnbildlichte er im ausgehenden 19. Jahrhundert den technischen Fortschritt und zeigte, dass der sagenumwobene exotisch empfundene Nahe Osten erlebbar ist. Seine Route wurde in den Folgejahren erweitert und geändert. Bereits 1896 erschien ein erstes Theaterstück über ihn, zahlreiche Autoren verarbeiteten ihn in schon zur Zeit der Belle Epoque. Ein wichtiger Beitrag zu seinem Ruhm ist der Kriminalroman Mord im Orientexpress der britischen Autorin Agatha Christi von 1934. Sie verband ihn mit einer Geschichte um die reale Entführung des Lindbergh-Babys 1932.

Der Roman wurde mehrfach verfilmt, am bekanntesten ist nach wie vor die Verfilmung aus dem Jahr 1974 unter der Regie von Sidney Lumet. Im Auftrag der Agatha Christie Limited erarbeitete der US-amerikanische Dramatiker und Regisseur Ken Ludwig (u. a. Lend Me A Tenor und Crazy For You) erstmals eine offizielle Bühnenfassung, die nunmehr dabei ist, auch die deutschen Bühnen zu erobern.

Die Burgfestspiele Bad Vilbel eröffneten mit diesem, zwischen Krimi und Komödie chargierenden, Stück ihre 36. Spielzeit. Zuvor begrüßte der aus dem Amt scheidende Oberbürgermeister Dr. Thomas Stöhr das Publikum, ihm schlossen sich die neue Präsidentin des Hessischen Landtags, Astrid Wallmann und Festspielintendant Claus-Günther Kunzmann an. Alle freuten sich, dass nunmehr wieder vor ohne Einschränkungen gespielt werden kann.

Für die Bühnenfassung wurden einzelne Figuren der Reisegesellschaft zusammengefügt und gestrichen. So fehlen der Kammerdiener des Opfers, der ungarische Graf Rudolph Andrenyi, der italienische Automobilvertreter Antonio Foscarelli und der Amerikaner Cyrus Bethman Hardman. Die ungarische Gräfin Eléna Andrenyi ist zugleich der die Leiche untersuchende Arzt Dr. Stavros Constantine (geheimnisvoll: Virginia V. Hartmann). Die Missionarin Greta Ohlsson (kein Leid ansehen könnend: Alice von Lindenau) gibt auch die Zofe der Prinzessin Dragomiroff (erhaben: Rosemarie Wohlbauer) und der französische Schaffner Pierre Michel (besorgt: Volker Weidlich) ist zugleich der Oberkellner.

Mord im Orientexpress
Burgfestspiele Bad Vilbel
Ensemble
© Eugen Sommer

Eindrücke einer echten Zugfahrt

Für das Spiel in der Bad Vilbeler Wasserburg wurde das Stück von einer reinen Damenleitung umgesetzt. Regisseurin Adelheid Müther inszenierte hier zuletzt im vergangenen Jahr die Komödie Der nackte Wahnsinn. Für Mord im Orientexpress nutzt sie die klar gezeichneten Charaktere und zeigt bei allen ernsthaften Ermittlungen um den Mord an Samuel Ratchett auch viele komische Momente. So ist der Abend gut gemachte Unterhaltung und ein kurzweiliges Vergnügen.

Kathrin Keglers Bühne deutet zunächst ein Café in Instanbul und sodann einen Bahnhof an. Für die Reise im Luxuszug öffnet sich die Bühne weiter. Auf der linken Seite befinden sich drei Schlafabteile, auf der rechten der Salonbereich mit Tiefenwirkung. Aus dem Hintergrund aufsteigender Dampf und „rüttelnde“ Spielbewegungen verstärken den Eindruck einer echten Zugfahrt. An die Entstehungszeit angepasst sind die Kostüme von Marie-Therese Cramer. Insbesondere die Kleider der Damen wirken elegant.

Mord im Orientexpress
Burgfestspiele Bad Vilbel
Ensemble
© Eugen Sommer

Als cleverer Detektiv Hercule Poirot ermittelt engagiert Andreas Krämer. Peter Albers gibt den sich um „seine“ Eisenbahngesellschaft sorgenden Monsieur Bouc. Undurchsichtig bleibt der Oberst Arbuthnot des Uwe Dreysel (auch das sich nicht sonderlich um Sympathie kümmernde Opfer Samuel Ratchet). Freundlichkeit vermittelt Fee Zweipfennig als die Gouvernante Mary Debenham, die zu Arbuthnot eine besondere Beziehung hat. Die meisten Treffer kann Maria Brendel als US-Amerikanische Schauspielerin Helen Hubbard mit ihrem praktischen Denken hinsichtlich Männer und ihrer Direktheit landen.
Den meisten Zuschauern dürfte des Rätsels Lösung, wer denn nun der Mörder ist, schon im Vorfeld bekannt sein. Von daher fasziniert bei dieser Bühnenfassung auch das Wiedererkennen von bekannten Figuren.

Markus Gründig, Juni 22


Mord im Orientexpress

(Murder on the Orient Express)

Roman von: Agatha Christie
Für die Bühne bearbeitet von: Ken Ludwig
Deutsch von: Michael Raab

Uraufführung: 17. März 2017 (Princeton, The McCarter Theatre)
Deutschsprachige Erstaufführung: 21. November 2019 (Wien, Theater in der Josefstadt)
Deutsche Erstaufführung: 24. Juli 2021 (Berlin, Komödie am Kurfürstendamm im Schiller Theater)

Premiere bei den Burgfestspielen Bad Vilbel: 3. Juni 22

Regie: Adelheid Müther
Bühne: Kathrin Kegler
Kostüme: Marie-Therese Cramer
Dramaturgie: Angelika Zwack

Besetzung:

Hercule Poirot: Andreas Krämer
Monsieur Bouc: Peter Albers
Mary Debenham: Fee Zweipfennig
Hector McQueen: Steffen Weixler
Michel (Schaffner): Volker Weidlich
Prinzessin Dragomiroff: Rosemarie Wohlbauer
Greta Ohlsson: Alice von Lindenau
Gräfin Eléna Andrenyi: Virginia V. Hartmann
Helen Hubbard: Maria Brendel
Oberst Arbuthnot; Samuel Ratchett: Uwe Dreysel

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