Nach seinen Erfolgsdramen Geschichten aus dem Wiener Wald, Glaube Liebe Hoffnung und Kasimir und Karoline sorgte Ödön von Horváths (1901-1938) Roman Jugend ohne Gott für seinen internationalen Durchbruch. Er entstand im Jahr 1937 und erzählt die Geschichte eines jungen humanistisch eingestellten Lehrers und einer Gruppe Jugendlicher, die dem nationalsozialistischen Ungeist verfallen sind. Im Kern ist es ein Plädoyer, für die Wahrheit einzutreten und persönliche Verantwortung zu übernehmen.
Paul Graham Brown schuf eine Musicalversion von Jugend ohne Gott, die jetzt am Staatstheater Wiesbaden in der Außenspielstätte Wartburg uraufgeführt wurde (in der deutschen Übersetzung von Moritz Staemmler). Der Engländer Brown ist ein Multitalent. Er schreibt, komponiert und inszeniert nicht nur, er produziert auch und spielte selbst. Sein Deutschlanddebüt gab Brown 2001 mit dem Musical Bonnie und Clyde. Am Staatstheater Wiesbaden wurde 2014 bereits sein Musical Superhero, nach dem gleichnamigen Roman von Anthony McCarten, uraufgeführt.
Eine Liebe, die nicht sein darf
Browns Musicalversion von Jugend ohne Gott orientiert sich stark am Roman, wurde aber um einige Facetten erweitert. So kehrt der Tormann als mahnendes Ideal mehrfach zurück, die jungen Mädchen aus dem Schloss kommen größer heraus als im Roman. Sie sind weder „verschwitzt, verschmutzt und ungepflegt“, sondern ganz im Gegenteil äußerst adrett. Auch die Figur des ehemaligen Kollegen und der Bardame wurde aufgewertet, sie sind gewissermaßen das Gewissen des Lehrers. Am überraschendsten ist, dass der N hier Neigungen zu Z hat, die über kameradschaftliche Gefühle weit hinausgehen.
Das Musical verzichtet auf einen belehrenden Ton. Vielmehr geht es um den Spaß von Jugendlichen in einer Welt, die ihnen nur wenig Freiräume bietet. Fetzige Musicalnummern kann es bei dieser Geschichte nicht geben. Schwungvolle und energiegeladene Songs schon. Überwiegend gibt es gefühlvolle Balladen. Sie werden solistisch oder im Duett gegeben. Der Eröffnungssong des Ensembles „Was das Radio sagt ist wahr“ klingt später mehrfach mehrfach an. Vom Stolz der Jugend erzählt das Lied „Durchs Vaterland“, das bei der Busfahrt gemeinsam gesungen wird.
Für die szenische Umsetzung wurde die bundesweit gefragte Regisseurin Iris Limbarth verpflichtet. Sie arbeitet seit vielen Jahren mit dem Jungen Staatsmusical, der Nachwuchsschmiede des Staatstheaters Wiesbaden.
Neutraler Rahmen
Für die unterschiedlichen Handlungsorte wie Wohnung des Lehrers, Schule, paramilitärisches Zeltlager und Gerichtssaal, zeigt die Bühne von Britta Lammers einen schlichten Einheitsraum. Festes Element ist auf der linken Seite ein rundes Podest, die Fläche rechts wird abwechselnd mit zwei Holzrampen oder einer kleinen Bartheke bestückt. Eine wie ein Bilderrahmen gestaltete Leinwand gibt die Titel der Szenen an, ähnlich zu den Kapitelüberschriften im Roman. Zudem werden Filmsequenzen, vorwiegend mit Landschaftsbildern darauf projiziert ( Video: Daniel Schulte). Auch Nebenschauplätze, wie arme, Puppen bemalende Kinder, fehlen nicht.
Eine große Vielfalt zeigen die detailverliebten, leicht historisch anmutenden Kostüme von Heike Korn. Die Kleidung der Schüler und Schülerinnen mit Hemden und kurze Hosen orientiert sich an denen der Hinterjugend, der Jugend- und Nachwuchsorganisation der NSDAP. Allerdings wurden Blautöne gewählt, keine Brauntöne. Julius Caesar, der Altphilologe vom Mädchenlyzeum, hat am Krawattenknoten ähnlich zum Buch ein Miniaturtotenkopf auf einem Knochenkreuz. Des Tormanns Fußballschuhe sind Originalen der damaligen Zeit nachempfunden. Chic ist die Abendgesellschaft im Hause von T´s.
Die Geschichte wird aus der Zeit ihrer Entstehung heraus gezeigt, aber allgemeingültig erzählt.
Engagiert aufspielendes JUST
Tim Speckhardt gibt einen engagiert auftretenden Lehrer der sich singend an seine eigene Jugend erinnert („Der Traum war immer für uns da“). Spielstark überzeugt Leonard Linzer als nachdenklicher Außenseiter Z (der partout kein Tuch tragen will) und sich fragt „Wer gibt mir halt“. Authentisch wirkt die ihrem Namen Ehre machende Eva der Anna Okunowski. Zusammen geben sie beide ein sehr schönes Duett („Lieg ich neben dir“). Wie dies Z auch mit N tut („Mein junges Blut“), wenn auch jeder dabei an eine andere geliebte Person denkt. Tamino Herzog gibt den N, dazu einen Radio Reporter im Trenchcoat und einen Polizisten. Herrlich unheimlich wirkt der beflissene Schreiber T des Yannick Toth.
Dwayne Gilbert Besier hat als Caesar gemeinsam mit der Bardame Helga (Katharina Hoffmann) viel zu sagen. Gemeinsam geben sie ein „Tangoduett“ („Jeder ist wie ein Fisch“). Den unnachgiebigen, regimetreuen Patriot Herr Neumann gibt Jonas Blahowetz. Mit seinem Lachen und seinem Wohlstandsbauch gefällt der Pfarrer des Daniel Windrich, Janina Steinbach vor allem als Fräulein Krause, Noah Ludwig als Heinrich und R.
Einen coolen Tormann verkörpert Luka Münkner. Beneidenswert unbekümmert geben sich die vier Mädchen (Jule Blauert, Esra Bücker, Louisa Kemmer und Fabiana Renker), die ganz gespannt auf die Jungs im Camp sind („Mein Begehren“).
Viele spielen zudem mehrere kleine Rollen. Die Hauptrollen sind überwiegend doppelt besetzt, sodass an manchen Abenden andere Darsteller:Innnen spielen.
Begleitet werden sie von einer Liveband, die unter der Leitung von Frank Bangert einen zupackenden Sound ertönen lässt.
Am Ende der Uraufführung gab es sehr viel Applaus und Standing Ovations.
Markus Gründig, März 22
Jugend ohne Gott
Musical nach dem gleichnamigen Buch von Ödön von Harváth
Buch, Musik und Liedtexte: Paul Graham Brown
Deutsch von: Moritz Staemmler
Premiere/Uraufführung am Staatstheater Wiesbaden: 4. März 22 (Wartburg)
Inszenierung & Choreografie: Iris Limbarth
Musikalische Leitung: Frank Bangert
Bühnenbild: Britta Lammers
Kostüme: Heike Korn
Video: Daniel Schulte
Dramaturgie: Daniel C. Schindler
Besetzung:
Lehrer: Tim Speckhardt, Alexander Müßig
T: Yannick Toth
Z: Leonard Linzer, Tamino Herzog
Neumann / Radio Reporter / Polizist: Tamino Herzog, Konstantin Lohnes
Schuldirektor / Caesar / Ladenbesitzer: Dwayne Gilbert Besier, Alexander Müßig
Herr Neumann / Feldwebel / Bauer / Kellner: Jonas Blahowetz
Tormann / M (Junge 1) / Pförtner: Luka Münkner
Heinrich / R (Junge 2): Noah Ludwig
Herr W / Pfarrer / Anklage / Staatsanwalt: Daniel Windrich
Fräulein Krause / Fräulein Vormelker / Z’s Mutter: Janina Steinbach
Helga / Frau Neumann / Blinde Frau: Katharina Hoffmann
Eva / Jugendliche / Heimbewohnerin: Anna Okunowski, Helena Finatzer
Annie / Jugendliche / Heimbewohnerin: Esra Bücker, Marei Bär
Maria / Jugendliche / Heimbewohnerin: Fabiana Renker, Rosa Alice Abruscato
Emma (Solomädchen) / Jugendliche / Kind 1 / Verteidigung / Frau W / T’s Mutter: Jule Blauert
Lotte (Mädchen 1) / anderes Mädchen / Kind 2 / Richter (auch Vorsitzender) / Schaffner: Louisa Kemmer
Band:
Klavier / Dirigent: Frank Bangert
Keyboard: Ulrich Bareiss
Gitarre: Hansi Malolepssy
Schlagzeug: Holger Dietz
Reeds: Stephan Völker
staatstheater-wiesbaden.de