Schon der Beginn setzt ein Ausrufezeichen und ist genial gemacht. Bei noch herabgelassenem Gazevorhang bleibt die Bühne zu Beginn dunkel. Es ertönen zarte Versatzstücke aus Saturday Night Fever. Dazu folgen Videoprojektionen von Protesten gegen Krieg, wie gegen den Vietnamkrieg, der zwei Jahre vor dem Filmrelease von Saturday Night Fever beendet wurde. In schneller Bildfolge kommen Bilder weiterer Proteste gegen weltweite Kriege hinzu. Aus einem Bild, werden zwei, dann vier, acht usw. bis die riesige Leinwand ein überdimensionales Kachelbild ist. Das zieht sich schnell zu einer (Welt-) Kugel zusammen, die sich zu einer Discokugel transformiert (Video: Grigory Shklyar). Dann hebt sich der Gazevorhang und die Eröffnungsnummer „Staying Alive“ eröffnet einen großen Musicalabend, der glanzvoll die Disco-Ära feiert und gleichzeitig auf Probleme im Leben außerhalb der Tanzfläche aufmerksam macht.
Darmstädter Fassung mit kritischem Blick auf die Zeit
Das Musical Saturday Night Fever von Robert Stigwood & Bvill Oakes wird hier in der neuen Version von Ryan McBryde gezeigt, die 2013 am English Theatre Frankfurt erstmals gespielt wurde. Wobei am Staatstheater Darmstadt eine eigene Fassung erarbeitet wurde. Schließlich ändert sich das gesellschaftliche Denken ständig. So bleibt es bei dieser Inszenierung nicht nur bei den mahnenden Kriegsprotestbildern im Prolog. Die Texte wurden von Regisseur Till Kleine-Möller neu bearbeitet und die Reihenfolge der Songs geändert, zum Teil neue eingefügt (im Programmheft ist die Songliste abgedruckt, auch findet sich die passende Playlist auf Spotify).
Zu einem besseren und tieferen Verständnis werden manche Songs auf Deutsch gesungen (die Disco-Hits einheitlich auf Englisch). Die Inszenierung schafft den schwierigen Spagat, die Disco-Ära aufleben zu lassen und dennoch auf gesellschaftskritische Missstände hinzuweisen. Die finanzielle Not in der Familie Manero ist nur ein Teil davon. Annette, die unnachgiebig hinter Tony her ist, wird von dessen Kumpels sexuell bedrängt und Tonys frommer Bruder gibt sich offen homosexuell und Travestie-affin („Closer to god on heels“ prangt auf einem großen Kreuz, unter dem er mit vier „Ladys“ dezent tanzt). Analog zu aktuellen Trends, wie bei Heidi Klums GNTM, spielte Diversität bei der Besetzung einzelner Figuren eine große Rolle.
Farben und Glitzer satt
Klassisch ist das Bühnenbild von Maria Reyes Perez gehalten. Auf der Drehbühne kommt die kleine Wohnung der Maneros, das Malergeschäft von Mr. Fusco, eine Boutique und ein Burgerladen zum Vorschein (mitsamt einem Plakat, dass sich für ein Engagement beim Umweltschutz ausspricht). Hauptelement ist natürlich die legendäre Disco 2001 Odyssey mit ihrem beleuchteten Tanzboden im Stil der 1970er. Die Brooklyn Bridge wird durch ein Transparent und durch Anhebung der Unterbühne angedeutet, ein Tanzproberaum durch eine vom Schnürboden herabgelassene Wand aus Spiegeln.
Extravagant sind die Kostüme von José Luna, die knallige Farben und Glitzer nicht scheuen.
Die vielfältigen Tanzszenen bieten Unterhaltung pur und machen Lust, selber das Tanzbein zu schwingen (Choreografie: Timo Radünz).
Musicalprofi ohne Starallüren
Zugpferd der Darmstädter Produktion ist der Musicaldarsteller, Schauspieler, Sänger und Moderator Alexander Klaws. Er gewann 2003 als erster DSDS, 2014 die siebte Staffel von Let’s Dance. Die Rolle des Tony Manero verkörperte er bereits 2016 bei der Open Air Produktion von Saturday Night Fever der Freilichtspiele Tecklenburg. Sei es als Schauspieler, Sänger oder Tänzer (der auch Rückwärtssalto absolviert), er hinterlässt in allem eine glänzenden Eindruck und stellt sich selbst dabei nicht in den Mittelpunkt. Janina Moser ist ihm als Stephanie Mangano eine würdige Partnerin. Mariji Maliepaard kann als Annette besonders bei dem auf Deutsch gesungenen „If I Can’t Have You ~ Wenn du mich nicht willst“ für sich einnehmen. Hervorragend auch der in sich zerrissene Vater wider Willen, Bobby C des Claudio Gottschalk-Schmitt, zerbrechlich und doch unheimlich stark („Tragedy ~ Trauerspiel“).
Dass diese Produktion lediglich mit 16 Darstellern:innen auskommt, ist kaum zu glauben. Möglich ist dies, weil einige mehrere Rollen spielen. So gibt Beatrice Reece stimmgewaltig eine Clubsängerin, eine Puffbesitzerin und die Mutter Flo Manero. Livin Cecini ist als arbeitsloser Vater Frank Manero, Discoinhaber Monty und Geschäftsmann Mr. Fusco zu erleben. Die hier aufgewertete Rolle des sich vom Priesteramt verabschiedenden Frank Manero Jr. verkörpert Pedro Reichert (auch Barracuda). Das „2001 Odyssey“-Orchestra spielt unter der Leitung von Michael Nündel mit viel Pep und Drive. Riesiger Zuspruch vom Publikum und umgehende saalweite Standing Ovations.
Markus Gründig, März 22
Saturday Night Fever
Deutschsprachige Erstaufführung & Deutsche Erstaufführung: 12. September 1999 (Köln, Musical Dome)
Broadway-Premiere: 21. Oktober 1999 (New York, Minskoff Theatre)
Premiere der von Ryan McBryde überarbeitete Fassung: 2. November 2013 (Frankfurt/M, English Theatre)
Premiere am Staatstheater Darmstadt: 5. März 22 (Großes Haus)
Musikalische Leitung: Michael Nündel
Regie: Till Kleine-Möller
Bühne: María Reyes Pérez
Kostüm: José Luna
Choreografie: Timo Radünz
Video: Grigory Shklyar
Assistenz Choreografie und Dance Captain: Nicole Eckenigk
Dramaturgie: Isabelle Becker
Besetzung:
Tony Manero: Alexander Klaws
Flo Manero / Clubsängerin / Puffbesitzerin: Beatrice Reece
Stephanie Mangano: Janina Moser
Annette: Marije Maliepaard
Frank Manero Sr. / Monty / Mr. Fusco: Livio Cecini
Bobby C.: Claudio Gottschalk-Schmitt
Joey: Jan Großfeld
Double J. / Mönch: Sascha Luder
Frank Manero Jr. / Barracuda: Pedro Reichert
Linda Manero / Shirley C. / Tanzschülerin / Barracuda: Maja Sikora
Chester / Dritter Kunde / Jay / Mönch / Barracuda: Richard Patrocinio
Doreen / Mönch: Stefanie Köhm
Maria / Verkäuferin / Mönch / Müllsammlerin / Tanzschülerin / Barracuda: Lucía Isabel Haas Muñoz
Cesar / Zweiter Kunde / Puerto-Ricaner / Barracuda: Mariano Manzella
Bedienung / Connie / Tanzschülerin / Barracuda: Nicole Eckenigk
Tanzlehrer / Liebhaber / Mönch / Barracuda: Lorenzo Eccher
Swing Doreen / Connie / Maria / Linda: Anna Heldmaier
„2001 Odyssey“-Orchestra
staatstheater-darmstadt.de