Musicalthriller »Sweeney Todd« als Highlight der Jubiläumsspielzeit am English Theatre Frankfurt

Sweeney Todd ~ English Theatre Frankfurt ~ Sweeney Todd (Stephen John Davis) und Ensemble ~ © Martin Kaufhold

Unter dem Motto „Flirting with madness” präsentiert das English Theatre Frankfurt (ETF) seine Jubiläumsspielzeit zum 40.–jährigen Bestehen. Auf One Flew Over the Cuckoo’s Nest folgte jetzt ein Musical, dass nicht zuletzt durch seine Verfilmung mit Jonny Depp in der Titelrolle bekannt wurde: Sweeney Todd. Es wurde 1989, also vor 40 Jahren, womit es gleichalt ist wie der ETF, uraufgeführt. Trotz zahlreicher Preise war die Laufzeit am Broadway überschaubar und auch in Deutschland wird es nur selten gespielt. Umso mehr sollte man sich jetzt die Gelegenheit, dieses herausragende Musical zu sehen, nicht entgehen lassen! Zumal das ETF eine hochkarätige Produktion zeigt (die im Anschluss am Deutschen Theater in München gastieren wird).

Schon der Untertitel „The Demon Barber of Fleet Street“ („Der teuflische Barbier aus der Fleet Street“) deutet an, um was es geht. Sondheim und Hugh Wheeler haben aus der Vorlage (Groschenroman-Serie, aus der verschiedene Repertoirestücke entstanden) kein Schauermärchen gemacht, auch wenn beim vielen Kehlenaufschlitzen reichlich viel Blut spritzt. Das Musical macht deutlich, wie ein Mann für erlittenes Unrecht blutige Rache nimmt und es übt dabei auch Gesellschaftskritik (die privilegierte Oberschicht kann sich ungestraft versündigen). Die Geschichte spielt zur Zeit Charles Dickens im proletarischen London (ca. 1840). Hierher kehrt, nach 15-jähriger Gefangenschaft, Benjamin Barker (alias Sweeney Tod) zurück, um Frau und Tochter wiederzusehen und sich bei dem zu rächen, der ihn zu Unrecht in die Verbannung schickte.

Mrs. Lovetts Backhaus dominiert die Bühne

Im ETF zeigt das naturalistische Einheitsbühnenbild von Rachel Stone die Backstube der Pastetenbäckerin Mrs. Lovett, mit gefliesten, dreckigen Wänden, einer Anrichte und einem Ofen (schließlich werden hier die schlechtesten Pasteten der Stadt gebacken). Die Empore macht, mit aufgerissenem Dach und herausgerissenen Dielen, deutlich, dass die Geschäfte für Lovett nicht gut laufen und kein Geld für dringende Reparaturen vorhanden ist. Handlungsorte wie der Jahrmarkt, das Haus von Richter Turpin oder das Irrenhaus werden in die relativ kleine Spielfläche eingebunden, was mitunter etwas Fantasie erfordert (Außenszenen sind meist am aus kleinen Kanaldeckel aufsteigenden Dampf zu erkennen, so wie man die Straßen von London auch aus den Edgar-Wallace-Filmen her kennt).

Zusätzlich gibt es eine sogenannte „Splash Zone“. Dies ist ein Bereich auf der linken Bühnenseite für jeweils bis zu 16 Zuschauer. Diese Plätze können für jede Vorstellung regulär gebucht werden. Eine Interaktion zwischen Darstellern und diesen Zuschauern gibt es, von ein paar direkten Blicken abgesehen, nicht. Also keine Sorge, niemand muss fürchten, plötzlich aktiv werden zu müssen (gegen spritzende Flüssigkeiten oder Mehlwolken schützen ausgegebene Umhänge).

Nach der Pause ist Mrs. Lovetts Haus aufgepimpert. Kleine Grünpflanzen künden von prosperierenden Geschäften. Der Verschlag hinter dem im ersten Akt der Gaukler Pirelli entsorgt wurde, besteht nun aus einer Flügeltür. Durch sie werden, wie von einer magischen Hand geführt, galant die Mordopfer in die Backstube verfrachtet, um dort im Fleischwolf durchgedreht zu werden. Schließlich sind Mrs. Lovetts neue Fleischpasteten heiß begehrt. Todd hat nicht nur einen neuen Friseurstuhl, er und Mrs. Lovett können inzwischen auch höherwertige Kleidung tragen (das an die viktorianische Zeit angelehnte Kostümbild stammt von: Olivia Ward). Und jeder Mord wird von einem schrillen Pfeifen aus einem über dem Publikum hängenden Schornstein lautstark kommentiert.


Sweeney Todd
English Theatre Frankfurt
Sweeney Todd (Stephen John Davis), Mrs. Lovett (Sarah Ingram)
© Martin Kaufhold

Kein Musicalmainstream und eingängige Melodien

Erfreulich ist, dass die vier unter der Leitung von Mal Hall spielenden Musiker (Mal Hall und Christoph Wohlleben am Piano und Thomas Elsner und Sebastian Michaeli an Percussions) im Hintergrund vom Obergeschoss zu sehen sind. Sie sorgen für einen ganz eigenen Klang der musikalisch breit gefächerten Partitur (die von einem großen Orchester gespielt, noch mehr Klangfarben vermittelt). Die Musik Sondheims entspricht nicht dem üblichen Musicalmainstream. Dennoch wartet auch sie mit vielen eingängigen Motiven auf (die jeweils bestimmten Figuren zugeordnet sind). Das Musical ist fast komplett durchkomponiert, die Textpassagen sind nur kurze Aufhänger für den nächsten Song. Und diese sind rhythmisch und tonal anspruchsvoll, besonders bei den Duetten. Andreas Homoki, Intendant der Oper Zürich sieht in der Musik von Sweeney Todd eine „intellektuelle Virtuosität“. Es dauert, bis man sich sattgehört hat, immer wieder gibt es neue Motive und Phrasen zu entdecken.


Sweeney Todd
English Theatre Frankfurt
Tobias (Lucy Warway), Sweeney Todd (Stephen John Davis), Women (Alex Burns), Judge Turpin (David Pendlebury), Aldofo Pirelli (Matt Bateman), Anthony (Matthew Facchino)
© Martin Kaufhold

Glänzendes Ensemble ist mit viel Energie dabei

Von Anfang bis Ende sorgt das Ensemble für schaurig schöne Momente. Regisseur Derek Anderson lässt das groteske Geschehen von Anfang bis Ende temporeich angehen. Viele Auf- und Abtritte erfolgen durch den Zuschauerraum. Die Ensembleszenen sind stimmig und vielseitig angelegt (Choreographie: Lee Crowley).
In London wurden hochkarätige SängerInnen und PerformerInnen gefunden. Allen voran Stephen John Davis in der Titelrolle. Mit markanter durchschlagskräftiger Baritonstimme gibt Davis einen attraktiven wie fesselnden Barbier. Dies nicht nur bei seinen expressiven, sondern auch bei den ruhigeren Tönen (wie bei „My Friends“).
Als Mrs. Lovett ist an dieser Stelle von zwei Damen zu berichten. Sarah Ingram gab die Partie beim ersten Premierentermin. Stimmlich schon etwas angeschlagen, versagte ihr dann die Stimme und der zweite Akt konnte am Premierenabend nicht gespielt werden. Bei der 2. Vorstellung, drei Tage später, übernahm Samantha Ivey die Rolle der Mrs. Lovett (wodurch diese für den 2. Akt dann als Premiere gilt, ein singulärer Vorfall im ETF). Vermutlich war Sarah Ingram durch die angeschlagene Stimme schon nicht so unbefangen. Samantha Ivey spielte als funkelnde böse Mrs. Lovett groß auf, leugnete aber auch ihre romantische Seite nicht („Wait“).

Sehr intensiv verkörpert Matthew Facchino den leidenden Anthony und berührt dadurch emotional (wie bei „Johanna“). Vielschichtig ist der erbarmungsloser Richter Judge Turpin des David Pendlebury, der sich aber auch in seinem Begehren seiner Ziehtochter gegenüber selbstzüchtigt („Johanna“), dann wieder ganz den Verliebten gibt (im Duett mit dem pfeifenden Sweeney Todd: „Pretty Women“).
Nathan Elwick gibt nobel gekleidet den rücksichtslosen und brutal zuschlagenden Gerichtsdiener Bamford. Als großer Selbstdarsteller und Quacksalber Aldofo Pirelli nimmt Matt Bateman stark für sich ein. Die aufdringliche Beggar Woman verkörperten Samantha Ivy (02.11.) und Alex Burns (05.11.). Eine Nähe zur Oper wird insbesondere im Gesang der Johanna (lieblich: Aliza Vakil mit „Green Finch and Linnert Bird“) deutlich hörbar. Die Rolle von Pirellis Gehilfen Tobias, der sich später in Mrs. Lovett verliebt, gibt hier eine Frau (energiegeladen: Lucy Warway). Zum Ensemble zählen zudem Will Arundell, Dominic Brewer und Alex Burns.

Am Ende sehr viel Applaus für Sweeney Tood, dem dämonischen Barbier aus der Fleet Street, und für das gesamte Enemble und die Musiker.

Markus Gründig, November 19


Sweeney Todd, the Demon Barber of Fleet Street

Musical Thriller
Von: Stephen Sondheim (Musik und Songtexte) und Hugh Wheeler (Script)

Premiere am English Theatre Frankfurt: 2. November 19 (1. Akt) und 5. November 19 (2. Akt)

Regie: Derek Anderson
Bühnenbild: Rachel Stone
Kostümbild: Olivia Ward
Musical Supervirsor: Matt Ramplin
Musical Director: Mal Hall
Sounddesign: Stephan Weber/ Hendrik Dingler
Choreographie: Lee Crowley
Lichtdesign: Johannes Paul Volk/ Derek Anderson

Besetzung:
(in alphabetischer Reihenfolge)

Aldofo Pirelli, Jonas Fogg: Matt Bateman
Sweeney Todd: Stephen John Davis
Beadle Bamford: Nathan Elwick
Anthony: Matthew Facchino
Mrs. Lovett: Sarah Ingram (Samantha Ivey)
Beggar Woman: Samantha Ivy (Alex Burns)
Judge Turpin: David Pendlebury
Johanna: Aliza Vakil
Tobias: Lucy Warway
Female Ensemble Cover: Alex Burns
Male Ensemble Cover: Will Arundell / Dominic Brewer

Spielzeit: 02. November 2019 – 9. Februar 2020
Vorstellungen: Dienstag bis Samstag um 19.30 Uhr, Sonntag um 18.00 Uhr
english-theatre.de

Spielzeit im Deutschen Theater München: 4. bis 15. März 2020
deutsches-theater.de