Noch keine zwanzig Jahre alt, gelang dem russischen Komponisten Dimitri Schostakowitsch mit seiner am Leningrader Konservatorium als Diplomarbeit eingereichten Ersten Sinfonie (op. 10) ein Geniestreich. Schnell wurde er in seiner Heimat berühmt. Bis zu seinem Tod 1975 komponierte er ein umfangreiches Œuvre , bis auf Kirchenmusik, aus nahezu allen Bereichen. Dabei lag ein Schwerpunkt bei szenischer Musik und der Sinfonik. Im Alter von 26 Jahren wurde seine „Tragedija satira“ »Lady Macbeth von Mzensk« (Lady Macbeth des Mzensker Landkreises) uraufgeführt. Sie zählt zu den musiktheatralischen Schlüsselwerken des 20. Jahrhunderts. An der Oberfläche wirkt die Musik vertraut. Doch als Ausdruck für eine aus den Fugen geratene Wirklichkeit ist sie brüchig und verstörend.
Apokalyptischer Raum für die sich nach Liebe sehnende Jekaterina Ismailowa
Arkadi Preis und Dimitri Schostakowitsch nutzten für ihr Libretto der Lady Macbeth von Mzensk die gleichnamige, 1865 erschienene, Erzählung von Nokolai Leskow. In beiden Werken geht es um eine unglücklich verheiratete Frau, die gegen die Eintönigkeit ihres unerfüllten Lebens revoltiert (in dem sie sich einen Liebhaber nimmt) und im Verderben endet. Bei Leskow mordet die Titelfigur aus Habgier und zusätzlich ihren minderjährigen Neffen. Demgegenüber zeichnet die Opernfassung ein differenzierteres Bild der Katerina Ismailowa: Die sich nach Liebe Sehnende ist auch Opfer einer kalten Welt, voller berechnender und tyrannischer Menschen. Für die Neuinszenierung der Oper Frankfurt erarbeitet Regisseur Anselm Weber, seit der Spielzeit 2017/18 Intendant des Schauspiel Frankfurt, eine aufwühlende Umsetzung (seine letzte Regiearbeit für die Oper Frankfurt war Mieczysław Weinbergs Die Passagierin). Die in einer russischen Kleinstadt um 1840 spielenden Handlung verlegte er in eine apokalyptische Zukunft. Die Menschen leben gefangen in einer großen tristen, bunkerähnlichen Anlage, fern vom realen Leben. Die Bühne von Kaspar Glarner, der seit vielen Jahren für die Oper Frankfurt großartige Bühnenbilder schafft (wie u. a. für Volo di notte / Il prigioniero, Ezio, Adriana Lecouveur und Der Mieter) zeigt einen, den Bühnenraum umfassenden, Betonring, der mit seiner leicht konischen Form Jekaterinas Abgrund vorzeichnet. Hier leidet sie und träumt von einer anderen Welt, die bunt und lebendig ist. Dies geschieht mittels einer Virtual Reality Brille, die durchaus mehrdeutig zu verstehenden ausbrechenden Blütenknospen werden großflächig auf die Betonmauer projiziert (Video: Bibi Abel). Ihr Liebesnest schwebt, wie ein Geschenk des Himmels, vom Schnürboden herab. Das Bett steht in einem runden hohen Glas-/Betonkörper, den man sich vage auch als Rakete vorstellen kann, quasi ein Fluchtmobil, um der Enge und Eintönigkeit zu entkommen. Ständige Überwachung ist ein großes Thema. Der tyrannische Kaufmann und Erotomane Boris Ismailow (mit beeindruckendem Bass: Dmitry Belosselskiy; auch alter Zwangsarbeiter) überwacht per Handy, der Polizeichef (vital: Iain MacNeil) hat ein ganzes System an Überwachungskameras installiert. In der Polizeistation wird, weil nichts passiert, antriebslos abgehangen. Während die Polizisten Energydrinks und Chips konsumieren, schauen sie lustlos auf eine aus zahlreichen Bildschirmen bestehende Wand.
Für die vielen Szenenwechsel fährt ein Vorhang herab. Dann gibt es Videoprojektionen, Musik oder nichts, dies wirkt auf Dauer (mit einer Pause und Schlussapplaus sind es dann doch 3,5 Stunden) etwas uneinheitlich.
Herausragende Anja Kampe als Jekaterina Ismailowa und fesselnd zugreifender Sebastian Weigle am Pult
Stimmlich bietet diese Oper ob ihrer großen Besetzung viel auf. Und auch der Chor und der Extrachor der Oper Frankfurt kommt groß zur Geltung, sei es als Arbeiter und Arbeiterinnen, als Hochzeitsgäste, Polizisten oder Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen (Einstudierung: Tilman Michael). Vom Ensemble sind viele hervorragende Sänger beteiligt. U. a. Peter Marsh (Der Schäbige), Alfred Reiter (Pope), Zanda Švēde (Sonjetka), Mikołaj Trąbka (Hausknecht) und Barbara Zechmeister (Zwangsarbeiterin).
Zwei Tenöre sind bei dieser Produktion erstmals an der Oper Frankfurt zu erleben: Dmitry Golovnin (als Liebhaber Sergei) und Evgeny Akimov (als Ehemann Sinowi Ismailow). Beide geben ihrer Rolle ein prägnantes stimmliches Profil. Im Zentrum all der Vielen steht die schillernde Hauptfigur der Katerina Ismailowa, die von der großartigen Anja Kampe bravourös dargeboten wird.
Schostakowitschs Faible für das Sinfonische wird auch im musikalischen Ausdruck der Oper deutlich. Frankfurts GMD Sebastian Weigle treibt das Frankfurter Opern- und Museumsorchester zu Höchstleistungen an. Die Vielschichtigkeit speziell dieser Oper kommt plakativ, virtuos, wie auch subtil und lieblich zur Geltung. Für einen imposanten Klangeindruck sorgen nicht zuletzt die Blechbläser, die hier seitlich auf Bühnenhöhe sitzen.
Intensiver Applaus für einen starken Opernabend.
Markus Gründig, November 19
Lady Macbeth von Mzensk
Oper in vier Akten
Von: Dmitri D. Schostakowitsch 1906-1975
Text von: Dmitri D. Schostakowitsch und Alexander G. Preis nach Nikolai S. Leskow
Uraufführung: 22. Januar 1934 (Leningrad)
Premiere an der Oper Frankfurt: 3. November 19
Besuchte Vorstellung: 7. November 19
Musikalische Leitung: Sebastian Weigle
Inszenierung: Anselm Weber
Bühnenbild und Kostüme: Kaspar Glarner
Licht: Olaf Winter
Video: Bibi Abel
Chor: Tilman Michael
Dramaturgie: Konrad Kuhn
Besetzung:
Katerina Ismailowa: Anja Kampe
Sergei: Dmitry Golovnin
Boris Ismailow / Alter Zwangsarbeiter: Dmitry Belosselskiy
Sinowi Ismailow: Evgeny Akimov
Der Schäbige: Peter Marsh
Sonjetka: Zanda Švēde
Pope: Alfred Reiter
Polizeichef: Iain MacNeil
Verwalter / Sergeant: Anthony Robin Schneider
Axinja: Julia Dawson
Hausknecht: Mikołaj Trąbka
Polizist / Wachposten: Dietrich Volle
Lehrer / 1. Vorarbeiter: Theo Lebow
Betrunkener Gast / 2. Vorarbeiter: Michael McCown
3. Vorarbeiter: Hans-Jürgen Lazar
Zwangsarbeiterin: Barbara Zechmeister
Kutscher: Alexey Egorov
Mühlenarbeiter: Yongchul Lim
Chor der Oper Frankfurt
Frankfurter Opern- und Museumsorchester
oper-frankfurt.de