Starker Auftakt zur Jubiläumsspielzeit am English Theatre Frankfurt mit »One Flew Over the Cuckoo´s Nest«

One Flew Over the Cuckoo´s Nest ~ English Theatre Frankfurt ~ Ensemble ~ © Martin Kaufhold

Seit 40 Jahren versteht sich das English Theatre Frankfurt darauf, eine Szene zu machen: auf und neben der Bühne. Die rasante Entwicklung von ersten Anfängen in Sachsenhausen, mit Stationen in Bockenheim und in der Kaiserstraße, ist eng mit der Person Judith Rosenbauer verbunden. Als Schauspielerin, kaufmännische und künstlerische Leiterin (bis 2002) machte sie es über Frankfurt hinaus bekannt. Seit 2002 leitet Daniel John Nicolai das nunmehr als gemeinnützige GmbH firmierende und im Gallileohochhaus ansässige Theater als Intendant (seitdem ist es auch das größte englischsprachige Theater auf dem europäischen Festland). Unter seiner Ägide versteht es sich als zeitgemäßes Autorentheater, mit weiteren Partner, erweiterter Stückauswahl und einem vielfältigen theaterpädagogischem Programm. Durch internationale Co-Produktionen, wie mit dem English Theatre Vienna, oder dem Ensemble Theatre Santa Barbara und Gastspielen am Jermyn Street Theatre London und dem Deutschen Theater München, strahlt das ETF zu seinem 40. Jubiläum noch weiter über Frankfurt hinaus.


One Flew Over the Cuckoo´s Nest
English Theatre Frankfurt
Billy Bibbit (Miles Parker), Rachel Paulette McMurphy (Ewa Dina), Charlie Cheswick (Alice Schofield), Delilaih Harding (Georgia Burnell)
© Martin Kaufhold

Die mit „Flirting with Madness“ betitelte Jubiläumsspielzeit eröffnete das ETF mit einem „wahnwitziges Sahnehäubchen“ (Eigenbeschreibung des ETF). Der US-amerikanische Autor Ken Kesey schaffte 1962 gleich mit seinem ersten Roman „One Flew Over the Cuckoo´s Nest“, der Titel ist einem populären Kinderreim entnommen, einen Welterfolg. Es wurde ein Kultbuch der Protestgeneration. Ken Keseys eigene Erfahrungen mit der Drogenkultur und seine Tätigkeit im Krankenhauswesen haben ihn bei seinem Roman stark beeinflusst. Dabei steht die Psychiatrieklinik in Oregon als Metapher für eine restriktive Leistungsgesellschaft, die Individualität und Nonkonformismus genauso ablehnt, wie ausgelebte Sexualität. Bereits 1963, ein Jahr nach der Buchveröffentlichung, schuf Dale Wassermann (Autor vom Musical Mann von La Mancha) eine Bühnenfassung. Miloš Formans Verfilmung von 1975 mit Jack Nickolson gewann fünf Oskars. Hinterher verklagte Kesey die Produzenten, da sie seine Hauptfigur, Häuptling Bromdon, zur Nebenrolle degradiert hatten. Denn im Buch wird die Geschichte aus seiner Perspektive geschildert.


One Flew Over the Cuckoo´s Nest
English Theatre Frankfurt
Rachel Paulette McMurphy (Ewa Dina), Chief Bromden (Troy Alexander), Dr. John Spivey (Toby Manley)
© Martin Kaufhold

So gibt es auch in dieser Inszenierung Unterschiede zur Filmversion, nicht nur was die zwangsläufig verminderte Personenzahl anbelangt. Die Rolle Bromdons (kraftvoll und mit starker Dreadlocksfrisur und als temporärer Baseballkorb: Troy Alexander) wurde aufgewertet. In zahlreichen Traumsequenzen schildert er sein Vater-Trauma, während sich die anderen Protagonisten geisterhaft um ihn bewegen (Movement Director: Jess Williams). Der Arzt Dr. John Spivey (aufgeschlossen, auch als überforderter Pfleger Warren und trinkfreudiger Nachtpfleger Turkle: Toby Manley) kommt stärker ins Spiel und scheint eher ein Freund als ein Feind McMurphys zu sein. Entscheidender Unterschied in der Inszenierung von Derek Anderson (hat am English Theatre Frankfurt bereits Hand to God und The Lion in Winter inszeniert und wird anschließend auch beim Sondheim Musical Sweeney Todd die Regie übernehmen) ist ein Gendermix.


One Flew Over the Cuckoo´s Nest
English Theatre Frankfurt
Rachel Paulette McMurphy (Ewa Dina), Billy Bibbit (Miles Parker), Delilaih Harding (Georgia Burnell), Candy Starr (Joyce Veheary), Charlie Cheswick (Alice Schofield), Chief Bromden (Troy Alexander)
© Martin Kaufhold

Die Rolle des rebellischen Kleinkriminellen McMurphy verkörpert eine Frau, wie es auch zwei Patientinnen gibt (Georgia Burnell als von Eifersucht besessene und mit Sexkomplexen beladene Harding und Alice Schofield als daumenlutschende Cheswick) die Rolle der strengen Oberschwester Ratched ein Mann. Einen hohen Wiedererkennungsfaktor zum Film bietet der junge Miles Parker als stotternder und komplexbeladener suizidärer Billy Bibbit. Joyce Veheary ist als gewissenhafte Schwester Flinn und als von außen zu Besuch kommende Candy Starr zu erleben. Um den allgemeingültigen Charakter hervorzuheben ist das Ensemble nicht nur mit weißen Darstellern besetzt. Gibt es auch einen Oberpfleger Ratched und keine Oberschwester Ratched, so ist Nigel Fairs in dieser Rolle nicht minder unerbittlich. Der anfänglichen Selbstsicherheit mit sich deutlich überlegen gebendem Habitus, sitzt am Ende auch ihm schmerzhaft die pure Lebensangst im Nacken. Trumpf der Inszenierung ist die junge Schauspielerin Ewa Dina als Rachel Paulette McMurphy, als sich sehr bewegungsreich und vor Lebensenergie Überschäumende, dann als zunehmend ruhiger werdende und von den Umständen klein und mundtot gemachte Rebellin.


One Flew Over the Cuckoo´s Nest
English Theatre Frankfurt
Rachel Paulette McMurphy (Ewa Dina), Chief Bromden (Troy Alexander)
© Martin Kaufhold

Die Inszenierung von Derek Anderson ist sehr an der Gegenwart ausgerichtet, nicht nur, dass die Wahl Trumps eingeflossen ist (der von Harding unterstützt wird). Auch die Musikeinspielungen reichen bis zu aktuellen Nr.1 Hits (wie Billy Eilishs „Bad Guy“ während der losgelösten Party auf der Station).

Die Liste von Bob Bailey Bühnenbildern am English Theatre Frankfurt ist lang. Für One Flew Over the Cuckoo´s Nest schuf er einen septisch wirkenden Stationsbereich, mit einem Schwesternzimmer auf einer Empore, Milchglasrückwänden, hinter denen die Patienten des geschlossenen Bereichs vegetieren und die gleichzeitig auch für imposante Videoprojektionen abstrakter Bilder genutzt werden. Dicke Lüftungsrohre und Warnsignalleuchten an der Decke erweitern die Bühne gar bis in den Zuschauerraum.
Zwei Flatscreens im Aufenthaltsraum der Krankenstation mit dem eingeblendeten Kürzel „OSIP“ (was für Oregon State Institute for Psychatric stehen kann) zeigen nicht nur die Uhrzeit an, sie geben auch nützliche Tipps und Hinweise (wie „We are here to help make you better, aber auch ein allgemeines Spielverbot, Nulltoleranz gegenüber Alkoholkonsum, Drogen und Waffen).


One Flew Over the Cuckoo´s Nest
English Theatre Frankfurt
Nurse Ratched (Nigel Fairs), Delilaih Harding (Georgia Burnell), Rachel Paulette McMurphy (Ewa Dina)
© Martin Kaufhold

Am Ende sehr viel Applaus, auch wenn der Schrecken über die heftigen Szenen im 2. Akt (wie die Elektroschocks für Bromdon und McMurchpy und Billys Freitod, der jedoch nicht direkt gezeigt wird), noch den meisten den Atem stehen lässt. Doch immerhin kann Bromden am Ende vor den gesellschaftlichen Zwängen in die Freiheit fliehen.

Martkus Gründig, August 19


One Flew Over the Cuckoos Nest (Einer flog über das Kuckucksnest)
Roman (comedy-drama)
Von: Ken Kesey
Bühnefassung: Dale Wasserman

Premiere am English Theatre Frankfurt: 30. August 19
Spielzeit bis 19. Oktober 19

Regie: Derek Anderson
Bewegungsleitung: Jess Williams
Bühne und Kostüme: Bob Bailey
Lichtdesign: Jessica Hung Han Yun
Tondesign: James Nicholson
Videodesign: Louise Rhoades-Brown

Besetzung:

Rachel Paulette McMurphy: Ewa Dina
Chief Bromden: Troy Alexander
Delilaih Harding: Georgia Burnell
Billy Bibbit: Miles Parker
Charlie Cheswick: Alice Schofield
Nurse Ratched: Nigel Fairs
Aide Warren / Dr. John Spivey / Aide Turkle: Toby Manley
Nurse Flinn / Candy Starr: Joyce Veheary

english-theatre.de