kulturfreak.de Besprechungsarchiv Oper, Teil 2

© Auri Fotolia

Das Herz

Mainfranken Theater Würzburg
Besuchte Vorstellung: 25. März 06 (Premiere)

In loser Folge setzt das Mainfranken Theater Würzburg Stücke auf den Spielplan, die jenseits des üblichen Opernrepertoires stehen. So folgt Richard Wagners „Die Feen“ im vergangenen Jahr in dieser Spielzeit Hans Pfitzners Oper  „Das Herz“.
Die Oper wurde am 12. November 1931 zeitgleich in Berlin (unter Wilhelm Furtwängler) und München (unter Hans Knappertsbusch) uraufgeführt und nachfolgend auch von vielen anderen Häusern gespielt (u.a. 1932 in Hamburg und 1937 in Frankfurt). Das die Oper heutzutage nur sehr selten aufgeführt wird, liegt möglicherweise an Pfitzners umstrittener Person und vielleicht aber auch an seinem Ruf als Anti-Modernist. „Das Herz“ entstand zwischen 1930 und 1931. Seinen Komponistenkollegen Arnold Schönberg, Alban Berg oder Béla Bartók zum Trotz, hielt Pfitzner an einem spätromantischen Klangbild fest, verzichtete auf neue oder gar atonale Töne. Dennoch zeugt auch dieses Werk von seiner großen kompositorischen Stärke.
Die Oper behandelt das Faust´sche Thema aus einer anderen Sicht. Dr. Anthanasius kann den todkranken Sohn eines Herzogs mit Schwarzer Magie heilen, doch muss er dafür ein menschliches Herz im Austausch zur Verfügung stellen. Aus einer anonymen Auswahl möglicher Herzen wird ein Herz ausgewählt, ausgerechnet das von Dr. Anthanasius Geliebten…

Das Herz
Mainfranken Theater Würzburg
Dr. Daniel Athanasius (Stefan Stoll) und der Geist Asmodi
Foto: Kai-Uwe Schulte-Bunert

Was in der Oper noch als okkultes Spiel betrieben wird, ist längst real machbar, wodurch die ethischen Fragen durch die Machbarkeit von Organtransplantationen in den Mittelpunkt gerückt werden.
Stephan Suschke inszeniert diese Oper zusammen mit Momme Röhrbein zeitlich unbestimmt, mit kargen Bildern und  kaum Requisiten, verbunden mit ein paar Videoeinspielungen und einer guten Ausleuchtung. Sie erzählen die Geschichte schlüssig übertragen, wo ein Apfel als Sinnbild für die Frage an das Gewissen reicht.

Athanasius Praxis ist ein leerer, grau grünlicher Raum, kammerspielartig verkleinert und nur mit zwei einfachen Stühlen ausgestattet. Für optische Reize sorgen die blutroten Gummihandschuhe des Doktors und der rote Anzug des jungen Kavaliers. Der „Raum des Schmerzes“ (das Krankenlager des Herzogsohns) ist eingerahmt in schwarzen Vorhängen bei wenig Licht, die Liegestätte zusätzlich von einem dunklen Gazevorhang von der Außenwelt abgetrennt.
Erquicklich grünlich frisch die Szene in Dr. Anthanasius Haus, wo die Gäste Efeukränze auf dem Haupte tragen und sich Bäume im Hintergrund im Wind bewegen. Die Todeszelle schließlich als dunkler, weiter Raum, nur eine große Lampe hängt von der Decke, ganz so wie bei einem klassischen Verhör.
Schon zur kurzen Ouvertüre werden auf den Eisernen Vorhang Videosequenzen aus Fritz Lang´s Film Metropolis gezeigt: Menschen in der Vereinsamung und als Rad im großen Getriebe. Die Welt im steten Fluss, mit viel Bewegung und rasanten Fahrten auf Straßen und Schienen. Diese Bilder werden auch zwischendurch immer wieder eingespielt. Bei aller Liebe zur Romantik lebte Pfitzner nun einmal im 20. Jahrhundert und erlebte gravierende gesellschaftliche Veränderungen unmittelbar mit. So gibt es sogar mehrfach das Geheule einer Sirene zu hören, beispielsweise beim geisterhaften Aufruf des Dämons Asmodi, der sich (per Videoeinspielung) mit Haupt und Augen auf voller Bühnenbreite von unten nach oben erhebt und bedrohlich auf Athanasius einredet.
Unter der Leitung von Martin Braun spielt das Philharmonische Orchester Würzburg zügig, doch ohne zu hetzen, die starken Stimmungsschwankungen deutlich hervorhebend.

Stefan Stoll, als Gast am Mainfranken Theater Würzburg, gibt den Dr. Athanasius. Anfangs wirkt er noch etwas zurückhaltend und starr, erst ab dem zweiten Bild des ersten Aktes wirkt er auch darstellerisch und bewegt mit seinem kräftigen Baritonalen Timbre. Silke Evers kann als seine Frau Helge ihren glänzenden Sopran unter Beweis stellen. Herausragen tun zudem die Mezzosopranistin Gundula Schneider als zurückhaltende Gehilfin Gwendolin, Andreas Bauer als Herzog und als energischer Ankläger, sowie David Fielder als junger Kavalier.

Stephan Suschke hat dem Mainfranken Theater Würzburg eine Inszenierung geliefert, die auch an einem größeren Haus stark wirken würde. Zusammen mit Pfitzners Klangwelt ergibt sich ein wunderbarer Opernabend.

Markus Gründig, März 06


Death in Venice

Oper Frankfurt
Premiere: 25. Februar 06
Besuchte Vorstellung: 5. März 06

Während im konservativen Amerika die Liebesgeschichte schwuler Cowboys im Film „Brokeback Mountain zu polarisierenden Meinungen führt, gibt es im alten Europa weniger Probleme sich mit homosexuellen Themen auseinander zusetzten. Thomas Manns Novelle „Tod in Venedig“ handelte schon 1913 von der unmöglichen Liebe eines älteren Schriftstellers zu einem jugendlichen Fremden, vom Kampf zwischen Anstand und Eingestehen und Ausleben der eigenen Gefühle.
Der britische Komponist Benjamin Britten, der als wichtigster britischer Komponist des 20. Jahrhunderts gilt, hat sich bei seinem letzten Bühnenwerk der Romanvorlage von Thomas Mann bedient. Es ist nicht bekannt dass Britten je über seine Homosexualität gesprochen hat, gleichwohl war seine Partnerschaft mit dem Sänger Peter Pears eim offenes Geheimnis. Unterdrückte Gefühle und eiserne Selbstdisziplin sind Eigenschaften die Britten und Manns Hauptfigur Aschenbach auszeichnen.

Britten hatte für seine Werke oft erst die SängerInnen ausgewählt und begann erst nach der SängerInnenauswahl zu komponieren. Allen voran für seinen Peter Pears, dem er bereits mit Peter Grimes eine Figur auf die Stimme komponiert hat. „Death In Venice“ ist auch eine Art Abschiedsgeschenk Brittens an seinen Lebensgefährten, das er vollendete, als er bereits schon schwer von seiner Krankheit gezeichnet war. Pears Stimme besaß eine außergewöhnliche tenorale Flexibilität, die er bei dieser Oper ausgiebig unter Beweis stellen konnte (Pears sang diese Partie u.a. bei der Uraufführung und ein Jahr später an der MET).

“Death in Venice“ ist eine Oper für großes Ensemble und Ballett, aber durch die immense Dominanz der Figur Aschenbachs auch wiederum nahezu eine Einpersonenoper, die die letzten Stationen des alten Aschenbachs beleuchtet und den anderen Charakteren nur wenig Bühnenpräsenz bietet. Aller Düsterheit, Depression und Ausweglosigkeit zum Trotz inszeniert der Brite Keith Warner „Death in Venice“ an der Oper Frankfurt als faszinierendes farbenreiches Spiel um die Figur Aschenbachs.
Zentrales Bühnenelement von Boris Kudlička ist dabei ein Holzlattencontainer mit Fenstern an den Seiten, der multifunktional eingesetzt wird, beispielsweise als Stube in München, Boot, Hotelfoyer in Venedig, aber auch für kurze Schattenspiele und die Auftritte der Jugendlichen und der Hotelgäste. Im zweiten Akt ist dieses Objekt zerlegt in einzelne einfache große Bilderrahmen die fleißig hin und her geschoben als imaginäre Kulisse dienen.
Für die Szenen am Strand öffnet sich ein den Bühnenraum umfassender halbrunder Vorhang. Geöffnet wird so der Blick frei in die Unendlichkeit des Meeres, zu einem Land jenseits der realen Welt.
Bestechende Bilder, mit mancherlei Symbolen (wie die Gondeln als Todesboten), dezenter aber mächtig wirkender Einsatz von Video (mit Aschenbachs Phantasien und ihrem Ursprung, seines Gehirns). Allesamt Bilder die in Erinnerung bleiben (nicht zuletzt das Schlussbild mit dem auf dem Kopf gestellten, versinkenden Venedig).

Als indirekter Verführer Tadzio treibt Laurenz Johannis Leky sein Spiel mit Aschenbach, bringt sich vor ihm in Posen, verschenkt mehrdeutige Blicke und berührt ihn doch erst ganz am Ende, wo er selber voller Blut ist.
In der äußerst anstrengenden Rolle des Gustav von Aschenbach ist der Brite Kim Begley zu erleben, der gesanglich mit feiner Phrasierungskunst und warmen Timbre voll überzeugt. Seine innere Zerrissenheit hinsichtlich seinen Trieben und dem Anstand zeigt er sehr dezent. Schauspielerisch und gesanglich tritt Johannes Martin Kränzle stark hervor, der mehrere Rollen innehat (Traveller, Älterer Dandy, Gondoliere, Hotelmanager, Hotelfriseur, Anführer der Straßensänger, Dionysos und Aschenbachs Vater). Karen Kamensek verhilft dem Museumsorchester die feinen Nuancen von Brittens Musik deutlich herauszustellen, Klänge wie etwa das Dampfschiff nach Venedig sind auch für ungeübte Ohren deutlich herauszuhören.

Markus Gründig, März 06


Orest

Komische Oper Berlin
Besuchte Vorstelllung: 26. Februar 06 (Premiere)

Händels Oper „Orest“ steht nicht nur selten auf dem Spielplan eines Opernhauses, auch in renommierten Opernführer finden sich, wenn überhaupt, nur marginale Informationen über dieses Werk. Grund dafür ist, dass es sich bei „Orest“ um keine wirkliche weitere Oper Händels handelt sondern um eine so genannte Pasticcio (= Pastete) Oper. Zu Zeiten Händels war es üblich, bekannte Arien, Duetten und Chorsätzen mit einem neuen Handlungsrahmen zu versehen, sei es aus Zeitmangel, Publikums- oder Solistenwunsch. Heute ist dies im Musicalbereich eine beliebte Praxis. Bei den so genannten „Jukebox-Musicals“ wie „Mamma Mia!“ oder „We will rock you“ wurden, durchaus erfolgreich, längst bekannte Songs mit einem neuen Handlungsrahmen versehen.
Pasticcio-Opern waren oft auch nur für wenige Aufführungen gedacht, kein Wunder also, das darüber wenige Dokumente existieren. Orest ist eine von den insgesamt vier Pasticcio-Opern Händels. Er nutzte dafür überwiegend Arien seiner älteren Opern, fügte aber auch eine eigene Ouvertüre und drei neu komponierte Arien dazu. Immerhin wurde mit dieser Oper am 18. Dezember 1734 die neue Theatersaison im Londoner Opernhaus Covent Garden eröffnet.

Händels musikalisches Œuvre hat an der Komischen Oper Berlin einen festen Platz. Die „Komische“ ist zudem ein Haus dass sich der deutscher Sprache verpflichtet fühlt und deshalb auch alle Opern in deutscher Sprache aufführt. Für „Orest“ kann festgehalten werden, dass die deutsche Sprache hilft, die Vorgänge besser zu verstehen. Nicht nur das was auf der Bühne passiert (und das ist eine ganze Menge), sondern auch das, was die Figuren innerlich durch machen.
Wer bei dieser „Barockoper“ eine Ausstattungsoper mit prachtvollen alten Kostümen und womöglich Darsteller mit Puderperücke erwartet, sollte sich zum einen den Inhalt vorher durchlesen und zum anderen auf den Regisseur achten. Schließlich basiert das Stück auf der griechischen Mythologie um die Figur des Orest, der Sohn des Agamemnon und der Klytaimnestra. Und für Jungstarregisseur Sebastian Baumgarten ist es Programm und unausweichlicher Weg, Werke in die Gegenwart zu transformieren. Wer wüsste auch, wie es damals wirklich war? Und selbst zu Zeiten Händels, als Opern in erster Linie unterhalten sollten, wie da wohl die Aufführungen aussahen?

Februar 2006, Berlin, Komische Oper: Orchester und Sänger haben ihre Positionen getauscht. Nicht das die Sänger nun vom Orchestergraben aus herauf singen würden, nein der Orchestergraben wurde abgedeckt und dient als Spielfläche. Und auf der eigentlichen Bühne ist das Orchester platziert, unter einer Art großen Orchestermuschel im sozialistischen Design mit offenen Seiten und großer Leinwandfläche im Hintergrund.
Baumgarten bringt so die wenigen Sänger und damit diese Oper, ganz nah ans Publikum. Nicht als etwas Abstraktes das aus der Ferne beobachtet wird, sondern zum (Be-) Greifen nah. Denn mitunter kommen die Sänger nicht nur so weit nach vorne an den Bühnenrand, das Berührung ohne Probleme möglich wäre, sie setzten sich auch Beine baumelnd an den Bühnenrand und fallen dem Publikum sogar sprichwörtlich vor die Füße.
Folglich gibt es auch keine großen Kulissenteile, die den Klang vom und die Sicht auf das Orchester behindern würden. Die Bühne von Robert und Ronald Lippok zeigt lediglich allerhand Requisiten wie einfache Stühle und blanke Tische, eine Flughafenuhr nebst Ankunftsmonitoren, Papierschiffchen und eine fahrbare Videowand (auf der zunächst die unzähmbare Göttin Artemis zu sehen ist wie ihre Blutsuppe kocht; später wird aus diesem Gefährt ein mobiles Gefängnis mit zwei kleinen Zellen für Pylades und Orest), eine Tür und aus dem Boden herausfahrend mehrere Podeste, die als Sitz- und Schlafstätte dienen und Miniaturen des sozialistischen Wohnungsbaus und der jetzt erfolgten Westöffnung („Hamburger-Sparmenü“) zeigen. Denn die Oper hat Baumgarten am geografischen Ort des antiken Tauris angelegt: der heutigen Krim (Halbinsel im nördlichen Schwarzmeer, im südlicher Teil der Ukraine gelegen).
Unterstützend gibt es etliche Videosequenzen zu sehen, eingespielte und Livebilder, wo dann die Darsteller zu Kameramännern werden.

Als Brücke zwischen Sänger und Orchester dienen zwei adrette, Wodka trinkende Matrosen der Schwarzmeerflotte, die an einem der Tische vorne sitzen. Olaf Opitz mit Balalaika und Juri Tarasenók mit Akkordeon! Unglaublich wie sich der Klang dieser wahrlich nicht barocken Instrumente harmonisch mit dem bestens geführten Orchester unter der Leitung von Thomas Hengelbrock zu einem neuartigen, einzigartigen Klangerlebnis verbindet. Allein deswegen ist ein Besuch dieser Inszenierung schon hörenswert.

Doch auch die Sänger lohnen und machen diesen „Orest“ zusätzlich auch sehenswert. Dabei müssen sie nicht nur singen, sondern sind auch schauspielerisch stark gefordert. Beides meistern sie bestens, dabei haben sie wenn überhaupt, nur via weit entfernten Monitor Kontakt zum Dirigenten.
Die Frauen dominieren mit einem Verhältnis vier von sechs. Dies liegt daran, dass die Rollen von Orest und Philoktet als Kastratenrollen angelegt sind, als Mezzosopran und Alt.
Pylades (Finnur Bjarnason) bereitet sich als skalpierter Gefangener ohne Schrecken auf seinen Tod vor, während Händel für den Tyrannenherrscher Thoas (James Creswell) viel zu wenig Raum gelassen hat, denn von Creswells sonoren Baß dürfte es gerne mehr sein.
Jugendlich leicht die Hermione der Valentina Farcas im Schulmädchenkostüm, derber in Lederjacke Philoktet (Maria Streijffert) und kämpferisch stark das Geschwisterpaar Orest (Charlotte Hellekant) und Iphigenie (Maria Bengtsson).

Baumgarten´s „Orest“ wirkt karg und zaubert doch gleichzeitig eine Vielzahl an Bildern hervor, die mit einem Besuch allein gar nicht alle erfasst werden können. Am Ende „strahlt nicht nur milde Hoffnung vom Himmel in Gefühlswert“ der davon segelnden, sie bekennen auch lautstark „keine Angst“, denn ihre postkommunistische Identitätskrise haben sie gemeinsam überwunden.
Kurzweilige gut zwei Stunden. Eine Inszenierung die der Barockoper „Orest“ ein neues, prägnates Profil gibt, auch musikalisch.

Markus Gründig, Februar 06


Elektra

Oper Frankfurt
Premiere: 2. Oktober 2004
Wiederaufnahmepremiere: 3. Februar 06
Besuchte Vorstellung: 9. Februar 06

Noch vor der Vorstellung spielen sich die Orchestermitglieder ein, intensiver als üblich, mit Sequenzen aus der gleich anstehende Oper Elektra. Das Publikum hat bereits teilweise Platz genommen, als der Hintermann zu seiner Nachbarin spricht „also wenn das die Musik aus der Oper ist, kann es ja heiter werden…“.
Wer in Erwartung eines romantisch verklärten Operntraums einen geruhsamen Abend erwartete, hätte besser vorher einen Blick in den Opernführer geworfen. Denn Strauß´s „Elektra“, 1909 in Dresden uraufgeführt, gilt als ein Werk der Moderne, ist es auch freilich fast einhundert Jahre alt. Modern deshalb, weil Strauss hier an die Randgebiete der Tonalität vorgestoßen ist und die vielen dissonanten Akkorde für die meisten Ohren heute noch immer ungewohnt klingen.
Dennoch, für die traumatisierte und von ihren Rachegelüsten besessene Elektra schuf Strauss eine einzigartige musikalische Sprache, die stets zwischen tonaler Verfremdung und wohlklingenden Linien wechselt.

Die Elektra-Inszenierung von Falk Richter an der Oper Frankfurt bekam nach der Premiere am 2. Oktober 04 hervorragende Kritiken, da sich hier Bühnenbild, Regie, Sänger und Orchester zu einer werkdienlichen Synthese verschmolzen haben.
Um die grauenvollen Charaktere, schließlich geht es um Morde innerhalb der Familie, auch und gerade in ihrer Menschlichkeit, aber auch in ihrer Zerrissenheit und ihrem Leid zu zeigen, findet die meiste Handlung ganz vorne am Bühnenrand statt. Zusätzlich wurde ein Steg seitlich angebracht, der von der Bühne zu den Zuschauern führt. Von dem von Strauss vorgegebenen Hof Mykenes ist bei der Bühne von Alex Harb nichts zu erkennen. Schwarze Wände und blankes Metall bestimmen die Optik, Agamemnon´s Mantel hängt in einer der Wände und bildet einen kleinen Zufluchtort für Elektra. Der Ziehbrunnen der Dienerinnen ist ein großes Abflusssieb, in der diese das Blut Kübelweise reinschütten.
In der Mitte eine Tür, hinter der ein großer, leerer weißer Saal im königlichen Palast zu sehen ist (später öffnet sich ein Teil der Rückwand immer wieder und gibt den Blick in diesen Raum dann vollends frei). In Verbindung mit den militärisch anmutenden Kostümen von Martin Kraemer entsteht so der Eindruck eines zeitgemäßen Gefangenenlagers.

Richard Strauss stellte die Frauen in den Mittelpunkt seiner Opern und so haben auch hier diese die größten Partien. Allen voran Elektra, gesungen und in ihrem Wahn hervorragend intensiv verkörpert von Caroline Whisnant. Erschrocken über sich selbst, voller Angst und gedemütigt, kauert sie in der Ecke um dann lautstark anzuklagen und den Muttermord einfordern. Whisnant lässt Elektra selbst bei den furiosen großen Ausbrüchen ihrer seelischen Abgründe immer einen Hauch an Menschlichkeit und vermeidet so das Abbilden einer abstrakten Figur. Bis sie tot zusammenfällt singt sie mit enormer Kraft erstklassig diese höchst anspruchsvolle Partie.
Als Gegenstück ist ihre Schwester Chrysothemis angelegt, hier mit warmen Sopran gesungen von Ensemblemitglied Ann-Marie Backlund. Für die erkrankte Elzbieta Ardam war kurfristig Reneé Morloc als Mutter Klytämnestra eingesprungen. Mit großer Tonfülle gab sie das Bild einer in ihren Alpträumen geplagten Herrscherin. Peteris Eglitis sang den Orest wie bereits bei der ersten Aufführungsserie.

Lothar Zagrosek leitet bei dieser Wiederaufnahmeserie das hierfür groß besetzte Frankfurter Museumsorchester. Die einzelnen Instrumentalgruppen lässt er wunderbar differenziert erklingen. Das in seinen vielen Varianten ertönende Agamemnon-Motiv gerät immer wieder zum eindrucksvollen Klangbild.

Elektra an der Oper Frankfurt: packende, pausenlose annähernd zwei Stunden, ein Highlight in jeder Hinsicht.

Markus Gründig, Februar 06


Simon Boccanegra

Staatsoper Hamburg
Besuchte Vorstellung: 5. Februar 06 (Premiere)

„AIDA“, „Nabucco“ und „La Traviata“ sind Giuseppe Verdi´s bekanntesten Opern, gefolgt von „Falstaff“, „Rigoletto“ und „Il Travatore“. „Simon Boccanegra“ gehört also nicht zu seinen bekanntesten Werken, dabei gibt es von diesem Werk sogar zwei Versionen. Die erste Fassung, uraufgeführt am 12. März 1857 in Venedigs Teatro La Fenice, erfüllte damals nicht die Erwartungen des Publikums. Die Handlung zu wirr, keine richtige Liebesgeschichte zum Mitleiden, keine großen Tenorarien und insgesamt viel zu düster, wo Oper doch vor allem unterhalten sollte.
Für die Saison-Eröffnung der Mailänder Scala 1881 erhielt Verdi den Auftrag eine neue Oper zu liefern. Da war er gerade mit der Komposition seines „Othello“ beschäftigt. So griff er auf „Simon Boccanegra“ zurück, um diese Oper gründlich zu überarbeiten. Dafür sprachen jedoch nicht nur praktische Gründ, Verdi lag sehr viel an dieser Oper, die er als eines seiner besten Werke ansah. Wesentliche Änderungen betrafen weniger die musikalische Seite, als das Textbuch, das nun von Arrigo Boito neu erstellt wurde. Daneben gab es auch Änderungen in den Sehgewohnheiten in den Opernhäusern, die sich auch auf musikalischer Seite auswirkten: mittlerweile wurde der Publikumsraum abgedunkelt, das Publikum war also von Anfang an konzentriert dabei. 1857 noch bedurfte es eines lauten Anfangs, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf die Bühne zu lenken (in dieser Hinsicht unterscheiden sich die Anfänge des Preludio/Vorspiels).

Nach 1931, 1940 und 1991 feierte jetzt die vierte Inszenierung dieser Oper an der Staatsoper Hamburg Premiere, die das Publikum zu stürmischen Applaus für die Sänger und das Regieteam hinriss.
Kein Platz in Genua, kein Garten, kein Ratssaal und kein Palast: Christian Schmidts Einheitsbühnenbild zeigt minimalistisch lediglich einen großen Raum mit weißen Wänden und, die Macht verdeutlichend, mit rotem Teppich.
Die Glasdecke weist von Anfang an Brüche auf. Unbestimmt zunächst, doch eindeutig: hier ist etwas passiert. Und von Bild zu Bild reißt die Decke weiter auf, ein großer schwarzer Unglücks-Meteorit bricht ein und sinkt schließlich in den Boden.
Ein ausgefeiltes Spiel mit dem Licht (Wolfgang Göbbel) sorgt für Akzentuierungen und Verlagerung des Geschehens.
An der Rückwand ein riesiges Gemälde, das ein Boot in stürmischer See zeigt, mit dunklen Wolken im Hintergrund. Das Meer als Bild für die Todessehnsucht Boccanagra´s, der nach dem Tod seiner geliebten Maria trotzt hohen Amtes letztlich der Welt entsagt. Doch das Bild verwandelt sich auch zum Spiegel und zur transparenten Projektionsfläche. Es wird so zum lebendigen Bild im Bild, das Handlungen ergänzend und erweiternd aus einer anderen Perspektive zeigt.
Claus Guth´s Regie verzichtet auf politische Anspielungen und konzentriert sich ganz auf die Charaktere und ihr Verhältnis zueinander.

Anders als von Verdi vorgesehen, beginnt die Inszenierung mit dem Schlussbild: das Volk trauert um den Toten Boccanegra. Also keine dunkle Nacht, sondern Dunkelheit im Geschehen, das für Boccanegra nun noch einmal wie in einem Film vor ihm abläuft. Folgerichtig gibt es hier zwei stumme Boccanegra Doubles, so dass Boccanegra sich auch immer wieder selber beobachten kann. Ein Doge wider willen, auch schon rein äußerlich (seinen braunen Trenchcoat legt er zu keiner Zeit ab, er bleibt ruhelos). Franz Grundheber überzeugte mit hoher, zurückhaltender Bühnenpräsenz sowohl darstellerisch wie sängerisch mit warmen baritonalen Klang.
Mit starker Stimme kämpft Angela Marambio als Amelia für Frieden und Liebe. Miroslav Dvorsky gefällt als Gabriel Adorno, noch mehr allerdings John Tomlinson mit seinem berührenden Bass als Jacopo Fiesco.

Die Philharmoniker Hamburg unter der Leitung ihrer Generalmusikdirektorin Simone Young spielen sehr einfühlsam in den vielen stillen, kraftvoll aufbrausend bei den lautstarken Momenten. Sämtliche Stimmungen werden hervorragend unterstützt, wobei insbesondere die Piano-Töne in ihrer Leichtigkeit verzaubern.

Weniger ist mehr, Claus Guth zeigt mit seinem reduzierten „Simon Boccanegra“ eine psychologisch ausgefeilte Interpretation. Dabei leugnet er nicht die in der Oper liegende Düsternis, sondern erhebt sie gemeinsam mit Simone Young zum interessanten Gefährten.

Markus Gründig, Februar 06


Faust

Oper Frankfurt
Besuchte Vorstellung: 29. Dezember 05 (Wiederaufnahmepremiere)

Der tief religiöse Charles Gounod (1818-1893) zählt zu den angesehensten Vertretern der französischen „Opéra lyrique“, wobei er bei der Vertonung des Fauststoffes auch viele Elemente der „Opéra comique“ und der „Grand Opéra“ verwendete. Die dunklen Seiten im Fauststoff hat er dabei stark beschnitten, so dass sein Faust vor allem von der tragischen Liebesgeschichte zwischen Doktor Faust und Marguerite handelt.
Die Uraufführung 1859 war ein großer Erfolg und Faust ist heute Gounod´s meist gespielte Oper.

Die Inszenierung von Christof Loy an der Oper Frankfurt erhielt nach der Premiere im Februar 05 eine große Zustimmung, seitens des Publikums und der Presse. Das klassische Studierzimmer, Schenke und Spinnrad sucht man hier vergeblich. Dafür gibt es einen großen Aufenthaltsraum eines Altersheims, der gedreht auch als Kirch- & Festsaal dient (Bühne: Herbert Murauer). Marguerite ist eine junge Altenpflegerin, die vor dem Fenster ihrer Wohnung im 60er Jahre Plattenbauhaus den Garten pflegt.
Faust´s Jugendwahn setzt Loy eine Altersgesellschaft entgegen und führt mit feinem Gespür für die einzelnen Szenen durch die fast vierstündiger Aufführung (mit zwei Pausen).

Bei der Wiederaufnahmepremiere gab es für die meisten Rollen neue Besetzungen. Als hin und her gerissener Dr. Faust hatte der russische Tenor Andrej Dunaev zudem sein Rollendebüt. Seine gut geführte Stimme klang leicht in der Höhe und überzeugte mit schöner Strahlkraft. Ensemblemitglied Johannes Martin Kränzle sang erstmals den leidenschaftlichen Bruder Marguerite, Valentin. Eine gute Wahl, denn Kränzle verlieh dem Valentin die nötige Ausdruckskraft. Demgegenüber kann der Rumäne Bálint Szabó als stimmprotziger Bösewicht Méphistophélès an fieser, dämonischer Ausstrahlung noch etwas zulegen, wobei seine Stimme durchaus die notwendige Tiefe und Fülle hat.
Mit viel lyrische Wärme gab die junge Sopranistin Ann-Marie Backlund der Marguerite ein überzeugendes Profil voll Sehnsucht, Zerbrechlichkeit und Verzweiflung.
Jenny Carlstedt übernahm aufgrund Erkrankung von Annette Stricker kurzfristig die Rolle des Siebel. Carlstedt hatte Siebel bereits bei der Premiere im Februar gesungen. Zudem wieder mit dabei: Elzbieta Ardam als Männersuchende Marthe und Florian Plock als Wagner).
Große Einsätze hat auch wieder der Chor der Oper Frankfurt. Das Museumsorchester spielt unter der Leitung von Johannes Debus und vermittelt viel von Gounod´s musikalischer Eleganz.

Markus Gründig, Dezember 05


Werther

Inszenierung der Oper Frankfurt

Premiere: 11. Dezember 05
Besuchte Vorstellung: 14. Dezember 05

Goethes legendärer Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ zeigt einen jungen, empfindsamen Menschen mit einem gebrochenen Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft und mit einer unglücklichen, scheinbar aussichtslosen, Liebe zu einer Dame aus höheren Kreisen. Im Freitod sieht er den einzigen Ausweg.

Massenets diente Goethes „Werther“ gut einhundert Jahre später als Vorlage. Dabei beschränkt sich Massenets Oper ganz auf die unglückliche Liebesgeschichte zwischen Werther, Charlotte und Albert.
Werther ist hier weder Rebell noch Freigeist. Nur ein Mann, der sich ganz seinen Gefühlen hingibt. Im Gegensatz zu Goethes Roman der die bürgerliche Gesellschaft durch den verherrlichten Freitodes spaltete (so dass das Buch seinerzeit sogar in einigen Regionen verboten wurde), besitzt die Opernversion dieses Stoffes keine gesellschaftliche Sprengkraft. Zu sehr bedient sie den Publikumswunsch nach unreflektierter Hingabe an die schöne Kunst der Musik und des Gesangs.
“Werther“ öffnet die Herzen, weit und ausgiebig. Massenet fand für die unendliche Sehnsucht Werthers zuckersüße Melodien zum dahin schmelzen. Die starken Gefühle Werthers und die Gefühle der sich zunächst noch unklaren Charlotte, setzte er nuancenreich und mit großer Intensität leidenschaftlich um.

Die Oper Frankfurt inszenierte „Werther“ nicht neu, sondern übernahm die knapp zehn Jahre alte „Werther“-Produktion der Amsterdamer Oper, eine Inszenierung von Willy Decker.
Decker hatte im August 05 mit seiner kargen aber ausdrucksstarken „La Traviata“ Inszenierung bei den Salzburger Festspielen, nicht nur durch die Starbesetzung (Netrebko/Villazón), seinen besonderen ästethischen Stil einem internationalen Publikum gezeigt. Auch seine „Werther“ Inszenierung besticht durch ein klaren, einfaches aber ausdrucksstarkes Bühnenbild (Wolfgang Gussmann, auch Kostüme) und einer behutsamen Personenführung, bei dieser handlungsarmen Oper (die Produktion der Oper Frankfurt wurde von Johannes Erath einstudiert).

Im Vordergrund ein großes leeres Zimmer von Charlotte, mit dunkelblauer strukturierter Tapete die erstarrte bürgerliche Welt repräsentierend, die durch die schräger Perspektive leicht aus den Fugen geraten scheint.
Die Rückwärtige Wand dieses Zimmers wird immer wieder geöffnet und gibt dabei den Blick frei in die Außenwelt, in die Welt Werthers: eine freie und wilde Hügellandschaft. Ein gelb-orange verwaschener Boden und ein tiefblauer Himmel vermitteln zunächst Wärme und Harmonie. Doch ab dem dritten Akt ist diese Außenwelt Werthers abgekühlt, der Boden zu Eis gefroren, Schnee rieselt reichlich.
Gussmann vermittelt optisch dezent die Gefühlsentwicklungen auch in der Kleidung Werthers. In den ersten beiden Akten ist er noch mit einem hell orangen legeren Anzug mit einem Trenchcoat und dunkelroter Weste gekleidet. Mit dem Erkennen seiner hoffnungslosen Liebe verliert er äußerlich an Farbe und trägt dann ein fahles beige mit dunkelbraun.
Charlotte wurde von Gussmann in ein bis zum Hals zugeschnürtes dickes dunkelblaues Kleid gesteckt, Ausdruck für die gesellschaftlichen Normen, die sie zu erfüllen hat und aus denen sie nicht ausbrechen kann und will.
Anders als bei der literarischen Vorlage kommen Charlotte und Werther zumindest in der (langen) Todesszene zueinander.

Der italienische Gastdirigent Carlo Franci zelebrierte gemeinsam mit dem Museumsorchester Frankfurt eine musikalische Sternstunde der Emotionen, die vom Publikum einheitlich begeistert aufgenommen wurde. Hervorragend wie die inneren Gemütszustände hörbar gemacht werden.

Großen Anteil hat dabei die hervorragende Besetzung der beiden Hauptrollen. Allen voran der ausdrucksstarke polnische Tenor Piotr Beczala, der alle dramatischen Ausbrüche wunderbar beherrschte.
Die Amerikanerin Kristine Jepson, mit warmen Mezzotimbre, ist in der Rolle der Charlotte erstmals in Frankfurt zu Gast. Sie überzeugte mit ihrer kraftvollen lyrischen Stimme in allen Lagen.

Aus dem kleinen Kreis der weiteren Sänger ragen neben der herrlich erfrischenden Britta Stallmeister (als Charlottes quirlige Schwester Sophie) die Herren Michael McCown und Simon Bailey als intrigierendes Gespann Johann und Schmid mit clownesken Zügen heraus. Charlottes Ehemann Albert gab erhaben Nathaniel Webster.

Ein perfekter Abend für einen traumhaften kurzweiligen Opernrausch.

Markus Gründig, Dezember 05