Trotz aller Corona-Einschränkungen kann das Frankfurter Theater Willy Praml derzeit zwei Jubiläen feiern: 30 Jahre Theater Willy Praml und 80 Jahre Willy Praml. Der am 31. August 1941 in Landshut geborene Praml kam schon früh über sein Elternhaus mit der Theaterwelt in Kontakt, wenn zunächst auch nur erst indirekt. Zu Beginn seiner beruflichen Tätigkeit beschäftigte er sich dann intensiv mit emanzipatorischer und politischer Bildungsarbeit. Dabei arbeitete er mit Menschen, denen das Theater fremd war. Es folgten Projekt-Arbeiten, wie die Entwicklung neuer Theaterformen in hessischen Dörfern.
Theater als Raum-, Körper- und Sprach-Theater
1990 begann seine für ihn so typische Theaterspielweise. Diese ist modernen wie tradierten Formen verpflichtet und bemüht, neue Sicht auf die Klassiker der Vergangenheit und Gegenwart zu finden. Theater wird explizit als Raum-, Körper- und Sprach-Theater verstanden. Gespielt wurde anfangs an wechselnden Orten in Frankfurt, auch an theaterfremden Orten (den jeweiligen Stoffen entsprechend; wie in der Paulskirche, im altem Gallustheater oder in der Tiefgarage der ehemaligen Adlerwerke). Die Naxoshalle mit ihrem „industriekathedralen“ Charakter, wird seit 2000 genutzt. 2010 wurde sie aus Mitteln des städtischen Etats verkehrssichernd saniert und dient inzwischen als vielseitiger Veranstaltungsort für verschiedene kulturelle Formate.
Pramls glasklares Credo seiner Kunst
Noch vor dem ersten Lockdown erlitt Willy Praml Ende 2019 einen Schlaganfall. Im August 2020 flossen bei Antigone musikalische Erinnerungen aus der Zeit des Krankenbetts ein. Bevor im September nun das bereits letztes Jahr fertig geprobte Wer hat Angst vor Virginia Woolf? endlich Premiere feiert, präsentiert er mit langjährigen Weggefährten jetzt eine ganz besondere Version von Tschaikowskis Schwanensee als eine Art Geburtstagsgeschenk an sein treues Publikum.
Unter der Regie seines langjährigen Lebenspartners Michael Weber (auch Bühne) entstand eine Schwanensee-Fassung, die Pramls „glasklares Credo seiner Kunst“ (Programmankündigung) betont. Der Schwan wird hier als Bote des Übergangs verstanden, zwischen DIESER WELT und der ANDEREN WELT.
TO PLAY OR NOT TO BE
Zu Beginn der Aufführung steht eine Erinnerung an die letztjährige Protestaktion des Theaters, die an Bundeskanzlerin Angela Merkel gerichtete Plakatkampagne unter dem Motto TO PLAY OR NOT TO BE mit der Forderung nach einem „König-Ludwig-Ticket“ (Zitate von Shakespeare folgen später öfters).
Praml tritt vorwiegend als Erzähler in weißem Morgenmantel in Erscheinung (Kostüme: Paula Kern). Neben Einführungstexten von Thomas Kohlhase rezitiert er Auszüge aus dem Libretto (inklusive musikalischer Anmerkungen). Das Besondere hier ist seine sorgfältige Akzentuierungskunst. Der Tod tritt in Form eines hilfreichen Knechts auf (Sam Michelson, mit Gehilfe Jakob Gail). Muawia Harb gibt den bösen Dämon Rothbart. Birgit Heuser hat eine kurzen aber sehr starken und effektvollen Auftritt als aufbrausender schwarzer Schwan.
Profitänzer interpretieren das erzählte Wort tänzerisch
Die erste Hälfte der insgesamt 90-minütigen Aufführung wird zunächst nur unmittelbar vor dem Publikumsbereich gespielt, in der zweiten Hälfte dann auch in der großen Halle. In einem Videofilm (Rebekka Waitz) ist der Prinz (Andreas Bach) zu sehen, wie er zunächst vor einer Litfaßsäule mit den Protestplakaten steht, wie er von der Natur der Oberschweinsstiege ins Frankfurter Stadtzentrum per Straßenbahn fährt, wo sich Odette (Victoria Söntgen) hinzugesellt. Auf dem Spiegelsee“ in der Halle interpretieren die beiden Profitänzer das erzählte Wort tänzerisch. Ein Schwanen-Quartett junger Tänzerinnen gibt den „Tanz der kleinen Schwäne“ (Einstudierung: Teresa Söntgen).
Pianist Leonhard Dering führt musikalisch durch die Aufführung
Schwanensee ohne Musik ist undenkbar. Hier wird sie live gespielt. Pianist Leonhard Dering akzentuiert am Klavier Tschaikowskis Meisterwerk subtil und virtuos, stets in enger Korrespondenz zum gesprochenen Wort. Dazwischen „grüßt“ mehrfach ein anderer bekannter Schwan des Musiktheaters per Einspielung (aus Richard Wagners Lohengrin „Nie sollst du mich befragen…“ ).
In einer weiteren Filmsequenz träumt friedlich Willy Praml in weißer Bettwäsche während seine Stimme einen Text des französischen Schriftstellers Michel Houellebecq zitiert (aus dessen „Ein bisschen schlechter“). Das Zitat endet mit „Die Vorstellung eines permanenten Wandels macht das Leben unmöglich“. Praml setzt damit bewusst ein Statement gegen das Bestreben nach immer mehr und immer weiter.
Den Augenblick festhalten und die Welt in ihrer Pracht und Widersprüchlichkeit auf sich wirken zu lassen kann, als Fazit dieser besinnlichen Schwanensee-Interpretation festgehalten werden.
Markus Gründig, August 21
Tschaikowski. SCHWANENSEE
30 Jahre Theater Willy Praml/ 80 Jahre Willy Praml
Premiere: 20. August 21 (Naxoshalle)
Besuchte Vorstellung: 22. August 21 (12:00 Uhr Vorstellung)
Regie, Bühne: Michael Weber
Kostüme: Paula Kern
Film, Fotos: Rebekka Waitz
Klavier: Leonhard Dering
Lichtdesign, Ton: Johannes Schmidt
Regieassistenz: Muawia Harb
Tanzschule: die-tanzetage.de
Mit: Andreas Bach, Naima Blancke, Leonhard Dering, Jakob Gail, Muawia Harb, Birgit Heuser, Luisa Huber, Paula Kern, Sam Michelson, Anna Pelz, Willy Praml, Jada Schuster, Victoria Söntgen und Jill den Hollander.
theater-willypraml.de