„Back to Live“ am English Theatre Frankfurt mit Paula Hawkins »The Girl on the Train«

The Girl on the Train ~ English Theatre Frankfurt ~ Megan Hipwell (Rebecca Birch) ~ © Martin Kaufhold
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Nach drei Lockdowns, strengen Einreisebeschränkungen, die besonders die internationale Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg erschwerte, heißt es nun am English Theatre Frankfurt „Back to live“. Die neue Spielzeit steht unter dem Motto „Devious, Deadly & Slightly Offensive“ („hinterhältig, tödlich und leicht beleidigend“). Hawkins’ spannender Psychothriller The Girl on the Train passt dazu als Auftakt hervorragend. Geht es doch um einen Mord, gezielte Manipulation von Menschen und deren Schicksalsschlägen. Das Buch wurde bereits in knapp 30 Sprachen übersetzt und von DreamWorksPictures verfilmt. Die Bühnenversion von Rachel Wagstaff und Duncan Abel ist jetzt erstmals in Deutschland zu sehen.

The Girl on the Train
English Theatre Frankfurt
Ensemble
© Martin Kaufhold

Sympathische Alkoholikerin

Kriminalgeschichten gibt es viele. Was Hawkins The Girl on the Train besonders macht, ist eine wechselnde Erzählperspektive (von den drei Frauen Rachel, Megan und Anna) in Tagebuchform, immer wieder gibt es neue Details, überraschende Wendungen und zeitliche Rücksprünge. Die Hauptprotagonistin, das „Girl on the Train“, ist keine gewiefte Miss Marple, sondern eine alkoholsüchtige, depressive und stark verunsicherte junge Frau, die aber trotz ihrer Probleme sympathisch geschildert wird. Vom Zug beobachtet sie ein scheinbar wunschlos glückliches, perfektes Paar, sieht dann Ungewöhnliches und geht dem gründlich auf die Spur, nicht ohne Folgen für ihr eigenes Leben.

The Girl on the Train
English Theatre Frankfurt
Scott Hipwell (Ryan Cloud), Megan Hipwell (Rebecca Birch)
© Martin Kaufhold

In die Enge getrieben

Dank der spannenden Geschichte braucht es keine große szenische Gestaltung. Diese ist im Bühnenbild von Ausstatter Ruari Murchison eher nüchtern gehalten. Im Wesentlichen sorgen fünf, an Traversen anmutende, bewegbare Rahmen für die Darstellung unterschiedlichen Räume. Die Rahmen verkleinern sich nach hinten, wodurch eine perspektivische Sicht entstehen kann und das Gefühl von in die Enge getrieben zu sein verstärkt wird. Gleichzeitig spielen die Rahmen auf die an den Häusern der Paare verlaufende Eisenbahntrasse an. Das ausgefeilte Lichtdesign von Neil Brinkworth setzt punktgenaue Akzente.

The Girl on the Train
English Theatre Frankfurt
Megan Hipwell (Rebecca Birch), Tom Watson (James Sheldon)
© Martin Kaufhold

Gaslighting

Die Theaterfassung weicht in der Handlungsfolge vom Buch ab und ist natürlich komprimierter. Regie führt Psyche Stott, die vor zwei Jahren am English Theatre Frankfurt bereits den Ökothriller The Children am English Theatre in Szene setzte. Begleitet von unheilvollen Soundeinspielungen (Sounddesign: Herbert Homer-Wabeck) zeigt Stott die Geschichte des „Girls“ als packendes, intensives Drama (das auch sprachlich gut zu verstehen ist).

In der Titelfigur nimmt Laura Matthews stark für sich ein. Sie zeigt die aufgrund ihrer Unfruchtbarkeit trinksüchtig (? trunksüchtig) gewordene und von ihrem Mann jahrelang manipulierte Rachel sowohl strauchelnd als auch kämpferisch. Manipulieren bedeutet hier, dass das eigene Verhalten, die eigene Realität infrage gestellt wird, bis hin zum Verlust des Selbstbewusstseins. Im Englischen gibt es dafür den Begriff „Gaslighting“. Auch die beiden anderen Frauen sind davon betroffen, wenn auch in leichterer Form.

Zunächst aus dem Halbdunkeln beobachtend, später dann aktiv beteiligt, ist Rebecca Birch eine geheimnisvolle Megan. Caroline Moroney gibt die um ihr Baby besorgte und gutgläubige Anna (und auch eine Polizistin). In ihren Alltagsklamotten wirkt Anna, als wäre sie schon jahrelang mit Tom verheiratet und nicht wie eine junge Frau, die gerade ihrem Lover seine Ehefrau ausspannt hat.
Als Tom, Womanizer, zwanghafter Lügner und Wolf im Schafspelz ist James Sheldon sehr präsent. Ryan Cloud gibt den unter Verdacht stehenden Freund von Megan (Scott) mit starkem Ausdruck. Jonathan McGarrity ist ein engagierter, forsch auftretender Polizist D.I. Gaskill und Varun Raj der besonnene Therapeut Kamal Abdic.

Am Ende starker Applaus für einen viel versprechenden Spielzeitauftakt.

Markus Gründig, September 21

Zusatzinfo:
Als Bonus für die Zuschauer hat das English Theater Frankfurt das Spielzeit-Abonnement um ein zusätzliches Stück erweitert, ohne zusätzliche Kosten! So können in dieser Spielzeit fünf Stücke besucht werden (für zusammen lediglich € 135,00 (Kategorie A) bzw. € 125,00 (Kategorie B) und somit bis zu 40% gegenüber den Einzelticketpreisen eingespart werden.


The Girl on the Train

Ein Psychothriller nach dem gleichnamigen Bestseller von Paula Hawkins mit der Bühnenversion von Rachel Wagstaff und Duncan Abel

Premiere/Deutsche Erstaufführung am English Theatre Frankfurt: 3. September 21
Besuchte Vorstellung: 7. September 21
Auf dem Spielplan bis zum 6. November 2021

Regie: Psyche Stott
Ausstattung: Ruari Murchison
Lichtdesign: Neil Brinkworth
Sounddesign: Herbert Homer-Wabeck
Movement Director: Andrea Gasparetto
Fight Director: Paul Benting

Besetzung:

Megan Hipwell: Rebecca Birch
Scott Hipwell: Ryan Cloud
Anna Watson: Caroline Moroney
Rachel Watson: Laura Matthews
D.I. Gaskill: Jonathan McGarrity
Kamal Abdic: Varun Raj
Tom Watson: James Sheldon

english-theatre.de