»Notte Morricone« bei den Internationalen Maifestspielen Wiesbaden

Notte Morricone ~ Centro Coreografico Nazionale / Aterballetto ~ Ensemble ~ Foto: Christophe Bernard
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Es gibt wohl nur sehr wenige Menschen, die nicht zumindest eine Melodie des italienischen Komponisten und Dirigenten Ennio Morricone kennen. Er ist in erster Linie für seine Filmmusiken bekannt. Für mehrere hundert Filme hat er die Musik komponiert. Darunter für die legendären Western Zwei glorreiche Halunken und Spiel mir das Lied vom Tod, für Es war einmal in Amerika und The Mission. 2022 verstarb er in seiner Geburtsstadt Rom 91-jährig an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs nach einem Sturz.

Der spanische Choreograf Marcos Morau, seit 2023 «Artist in Residence» beim Staatsballett Berlin, ist seit seiner Kindheit ein großer Verehrer von Ennio Morricone. Ihm widmete er die mit der zeitgenössischen Tanzkompanie Centro Coreografico Nazionale / Aterballetto aus der norditalienischen Provinzhauptstadt Reggio nell’Emilia entwickelte Hommage Notte Morricone. Sie wurde im vergangenen Sommer beim Macerata Opera Festival uraufgeführt wurde. Als Gastspiel war sie jetzt im Rahmen der Internationalen Maifestspiele Wiesbaden im Großen Haus des Staatstheaters zu sehen.

Im Mittelpunkt: Der Maestro

In seiner Beschäftigung mit Morricones musikalischem Œuvre konzentriert sich Marcos Morau ganz auf die Person selbst. Der Abend ist kein „Morricone in Concert“, der mit großen Tableaus die größten Hits des Meisters präsentiert. Diesbezügliche Erwartungen werden enttäuscht. Es ertönen natürlich viele seiner eingängigen und gefühlvollen Melodien (arrangiert von Maurizio Billi). Sie sind aber in ein größeres Ganzes eingebunden: In den Maestro selbst. Erzählt werden Episoden aus seinem Leben. Die Begegnung mit der Posauna, seine Leidenschaft für das Schachspielen und für das Dirigieren, die lang auf sich warten lassende Ehrung durch die US-amerikanischen Academy of Motion Picture Arts and Sciences („Oscar“)…

Notte Morricone
Centro Coreografico Nazionale / Aterballetto
Ensemble
Foto: Christophe Bernard

Das CCN / Aterballetto ist mit 14 Tänzer:innen zu erleben. Sie alle sind Ennio Morricone, tragen einheitlich blauen Hosen (welche auch wendbar sind), weiße Hemden und eine für Morricone typische Hornbrille (Kostüme: Silvia Delagneau). Intime, kleine Tanzperformances wechseln mit größeren Gruppennummern ab. Hier beeindruckt die Compagnie mit hoher Synchronität. Morricones Faible für Perfektionismus zeigt sie mit ausgefallen Körperbewegungen, die ausbrechen und sich wieder gemeinschaftlich rhythmisch wie eine Welle bewegen.

Notte Morricone
Centro Coreografico Nazionale / Aterballetto
Ensemble
Foto: Christophe Bernard

Handlungsort ist ein angedeutetes Arbeitszimmer Morricones zu nächtlichen Stunden. Die Wände können geöffnet und geschlossen und zu einer (Studio-) Wand geformt werden. Nach Bedarf kommen u. a. ein Pult mit Plattenspieler, Schachspiel und Schreibmaschine, Stühle mit großen Rollen (keine klassischen Rollstühle) und Notenpulte zum Vorschein.
Die Bühne ist, passend zum Titel, die ganze Zeit (90 Minuten ohne Pause) über dunkel gehalten. Nur wenige Leuchten spenden Licht, bei einzelnen, pointierten Szenen kommen zusätzlich Scheinwerfer zum Einsatz. Zusätzlich gibt es sieben Puppen, die dann auch wie Morricone ausschauen (Bühne und Licht: Marc Salicrú).

„Musik drückt aus, was Bilder nicht erzählen können.“

Die tänzerischen Darbietungen werden mehrfach unterbrochen. Zum einen von diversen Störgeräuschen (wie von der Sendersuche bei analogen Radios). Denn Morricone verwendete in seinen Filmen immer wieder ungewöhnliche Töne. Einen wichtigen Teil nehmen aber viele Zitate von ihm ein, die die Handlung immer wieder zum Stehen bringen (zugespielt von Morricone und gesprochen von den Tänzer:innen; Texte: Carmina S. Belda). Sie sind harmonisch eingebunden und werden auf Italienisch gesprochen. Die deutsche Übersetzung ist als Übertitel lesbar (da die Italiener sehr schnell sprechen, ist auch schnelles Lesen angesagt). Schnell wird die Einstellung Morricones zur Musik deutlich. Er war fest davon überzeugt, dass Musik all das ausdrückt, was Bilder nicht erzählen können. Auch seine Haltung zur Oscar-Verleihung wird erwähnt. Trotz großer internationaler Erfolge seiner Filmmusiken wurde er zunächst nur fünfmal für einen Oscar nominiert. 2007 erhielt er dann einen Ehrenoscar für sein Lebenswerk (einen Oscar für die beste Filmmusik folgte erst 2015/2016 für The Hateful Eight).

Am Ende intensiver Beifall für diesen tänzerischen Einblick in Ennio Morricones Leben, Werk und Gedankenwelt.

Markus Gründig, Mai 25


Notte Morricone

Eine Produktion der Fondazione Nazionale della Danza / Aterballetto im Auftrag und in Koproduktion des Macerata Opera Festival
Eine Koproduktion des Teatro di Roma, Fondazione I Teatri di Reggio Emilia, Centro Servizi Culturali Santa Chiara Trento, Centro Teatrale Bresciano, Ravenna Festival | Orchestra Giovanile Luigi Cherubini

Uraufführung: 1. August 2024 (Macerata Opera Festival)
Gastspiel am Staatstheater Wiesbaden im Rahmen der Internationalen Maifestspiele: 14. Mai 25 (Großes Haus)

Inszenierung & Choreografie: Marcos Morau
Musik: Ennio Morricone
Musikalische Leitung: Maurizio Billi
Sounddesign & zusätzliche Originalmusik: Alex Röser Vatiché/Ben Meerwein
Texte: Carmina S. Belda
Bühne und Licht: Marc Salicrú
Kostüme: Silvia Delagneau
Choreografische Assistenz: Shay Partush/Marina Rodríguez
Cast: Aterballetto

staatstheater-wiesbaden.de / fndaterballetto.it