

Die Welt liegt im Argen. Das ist heute so und ist es bereits seit langem. Der 1770 in Lauffen am Neckar geborene Friedrich Hölderlin spürte das besonders intensiv. Die Welt wie er sie sah, machte ihm ordentlich zu schaffen. Er träumte von einer besseren, idealistischen, ja göttlichen Welt. In seinem, auch als „Bekenntnisbuch“ bezeichneten, Briefroman Hyperion erzählt er davon ausführlich. Thema ist „Das Schwelgen im Ideal, das Scheitern des Ideals, die Trauer um das Gescheiterte“ (Rudolf Haym).
Hyperion handelt von der Befreiung Griechenlands von den Türken (mit Hilfe der Russen) und von der seelischen Entwicklung der Titelfigur. Seiner Trauer über die Armut und Starre der Gegenwart und dem Traum nach einem goldenen Zustand, der Einheit von Gott, Natur und Mensch. Und von seiner großen Liebe zur schönen Diotima (die Figur nimmt Bezug zu Hölderlins Frankfurter Seelenfreundin Susette Gontard).
Hyperion gilt als lyrisches Meisterwerk der deutschen Prosa. Gleichzeitig ist der Briefroman mit seinen verschiedenen Handlungssträngen und deren Verschränkung keine leichte Kost. Nicht zum Lesen und schon gar nicht für eine szenische Darstellung.
Zur Sonne! Zur Freiheit!
Das Frankfurter Theater Willy Praml hat sich schon im Jahr 2010 (Besprechung) mit Hyperion beschäftigt. Unter dem Titel Hölderlin. Hyperion. Zur Sonne! Zur Freiheit! gibt es jetzt eine neue Bearbeitung. Für diese zeichnet Michael Weber verantwortlich (Regie, Textfassung und Bühne). Die Auswahl der Textstellen und die Erarbeitung der szenischen Umsetzungen dürfte einiges an Arbeit erfordert haben. Es hat sich gelohnt. Mit der pointierten Hervorhebung der Poesie Hölderlins und ausgefallenen, intensiven Bildern vermittelt Weber Hölderlins Gedankenkosmos sehr anschaulich.

Theater Willy Praml
Birgit Heuser, Muawia Harb, Anna Staab, Jakob Gail
Foto: Seweryn Zelazny
„Poesie ist mehr als Klang – sie ist Bewegung, Widerstand und Sehnsucht. Wir feiern heute die Kraft der Sprache – auf der Bühne und in der Welt.“ So lautete das Posting des Theaters am Tag der Premiere auf den sozialen Medien. Dies trifft vollumfänglich zu.
Die goldene Mitte
Wie Michael Weber in seiner kurzen Stückeinführung mitteilte, müsse man sich auch nicht Sorge um eine Überforderung machen. Das übliche Alter um Hyperion zu lesen sei die noch idealistische Jugend, er selbst habe es mit 20 gelesen. Das bei der Premiere, und vermutlich auch bei den Folgevorstellungen, anwesende Publikum ist von dieser Altersgruppe weitestgehend entfernt. Von daher gehe es auch darum, in der Spannbreite zwischen idealistischer Träumerei und harter Realität für sich die goldene Mitte zu finden.
Die eigentliche Handlung, also die Freundschaften (Hyperion ↔ Alabanda und Hyperion ↔ Diotima) und der Befreiungskireg Griechenlands, kommen vor, sind bei der Aufführung aber nicht das Entscheidende. Hölderlins poetischer Text wird in vielen kleinen Szenen spielerisch vermittelt. Dabei wird die gesamte Weite der Naxos Halle genutzt. Viele Musikeinspielungen, überwiegend von Gustav Mahler, geben eine zusätzliche emotionale Tiefe.
Mitten in der Halle steht der „Ur-Wagen“ des Titan Hyperion, dem Gebieter über die Sonne. Hier ist es ein schrottreifer Bus. Dazu nutzt Weber u. a. noch eine Handvoll Eimer, um eine Meeresküste zu simulieren und eine zentral vor dem Publikum liegende Säule (mit Wurzelwerk) für das gefallene Griechenland (aus der später eine große Deutschlandfahne hervorgeholt wird).
Alle sind Hyperion
Der Abend beginnt mit dem Ende und rollt Szene für Szene das Geschehene auf. Dabei sind zunächst alle vier Darsteller:innen (Jakob Gail, Muawia Harb, Birgit Heuser und Anna Staab) Hyperion. Sie tragen nicht nur die gleichen Röcke, Pullover und Stiefel, sie haben auch alle lange Haare, geschminkte Augenpartien und tragen Vollbart (Kostüme: Paula Kern). Nur langsam schälen sich die anderen Charaktere durch. Anna Staab ist in weiten Teilen die rational agierende Diotima.
Im Unterschied zu 2010 ist die aktuelle Aufführung mit zwei Stunden Spieldauer deutlich kürzer. Eine Pause gibt es nicht, auch bleibt das Publikum stets auf seinen Plätzen. Am Ende wird klar, Hyperions gescheiterte Utopie ist noch lange kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Die Gegenwart fordert jeden von uns. Heutzutage mehr denn je.
Viel Applaus für alle Beteiligte.
Markus Gründig, März 25
Hölderlin. Hyperion. Zur Sonne! Zur Freiheit!
Nach dem Briefroman Hyperion oder Der Eremit in Griechenland von Friedrich Hölderlin (erschien 1797-99)
Premiere: 21. März 25 (Produktionshaus Naxos)
Regie, Textfassung, Bühne: Michael Weber
Kostüme: Paula Kern
Lichtdesign: Simon Möllendorf
Regieassistenz: Franka Dittrich
Mit: Jakob Gail, Muawia Harb, Birgit Heuser, Anna Staab
theaterwillypraml.de