1981 war István Szabós Verfilmung von Thomas Manns Mephisto der Kinohit des Jahres. Darin spielte Klaus Maria Brandauer die Figur des Theaterschauspielers, -regisseurs und -intendanten Hendrik Höfgen zur Zeit des Nationalsozialismus. Jetzt zeigt das Schauspiel Frankfurt im Rahmen des Spielzeitmottos „Antisemitismus“ als zweite Produktion im Schauspielhaus unter Corona-Bedingungen eine Dramatisierung des Romans. Sie wurde von Regisseurin Claudia Bauer und Dramaturgin Katja Herlemann erarbeitet. Claudia Bauer ist seit der Spielzeit 2013/14 feste Hausregisseurin am Schauspiel Leipzig und stellt sich mit dieser Mephisto-Inszenierung am Schauspiel Frankfurt vor. In ihrer Umsetzung geht es nicht darum, den Roman oder den Film eins zu eins abzubilden oder eine Geschichtsstunde zu liefern. Vielmehr wird anhand des Vollblutschauspielers Hendrik Höfgen nach der eigenen Positionierung gefragt: Wie würde man sich entscheiden, wenn eine antidemokratische Regierung an die Macht käme?
Theater im Theater
Die Bühne von Andreas Auerbach beschränkt sich zunächst auf einen zweigeteilten Theatervorhang, der in Form eines großen Bogens nach hinten versetzt herabhängt. Davor stehen verteilt, zum Teil umgeworfen, ein paar Stühle. Noch während die letzten Zuschauer Platz nehmen, ertönt dezente Barmusik und auf den Vorhang werden Bilder feiernder Menschen projiziert. Dies geht in die Eröffnungsszene über, die Geburtstagsfeier des preußischen Ministerpräsidenten im Berliner Opernhaus im Jahr 1936. Diese wird lediglich chorisch gesprochen, während demonstrativ offene Textbücher in den Händen gehalten werden. Hierzu tragen alle schwarze Kleidung mit Fetisch-Anklängen, die auch als Anspielung zu Höfgens Vorlieben zu BDSM-Praktiken gesehen werden kann. Per Livekamera (Live Video: Benjamin Lüdtke) wird Höfgen gezeigt, der gönnerhaft Mitarbeitern des Hauses Fingerfood vom Buffet (hier eine Portion Pommes) reicht, bevor er seinen ersten großen Auftritt hat.
Um den Beginn der Karriere Höfgens zu erzählen, geht es nach Hamburg und zurück in die Mitte der 1920er Jahre. Im Hamburger Künstlertheater bleibt es beim Spiel vor dem Vorhang. Gleichwohl sind die Figuren sehr gegenwärtig gekleidet. Für die Szenen in Berlin wird später eine Vorhanghälfte gedreht, dahinter befindet sich eine schmale Backstagegalerie auf drei Ebenen. Zum Schluss wird zwischen den Vorhängen ein flach liegender goldener Schädel geschoben: Angesichts latenter Bedrohung der Demokratie liegt auch die hohe, goldene Kunst danieder.
Der Text wird bewusst heutig, „dreckig“ rausgehauen, auf Manns teilweise lyrische und blumige Sprache verzichtet, wie Regisseurin Claudia Bauer in „Vorgehört“ (dem neuen Stückeinführungs-Podcast des Schauspiel Frankfurts) erläutert.
Christoph Pütthoff in Hochform
Klaus Mann hat zu seinem Roman ergänzend erklärt, dass er darin Typen und keine Charaktere beschrieben hat. Unmissverständlich stehen dennoch viele Figuren für reale Personen, allen voran Hendrik Höfgen für Gustav Gründgens (1899 – 1963), der mit der Rolle des Mephisto Theatergeschichte geschrieben hat. Am Schauspiel Frankfurt wird Höfgen vom seit der Spielzeit 2009/2010 zum Ensemble zählenden Christoph Pütthoff verkörpert. Dem Prototyp eines Opportunisten ist alles recht und egal, solange er spielen und Erfolge feiern kann. Pütthoff brilliert mit der Darstellung vieler, zum Teil gegensätzlicher Emotionen im rasanten Wechsel und zeigt Höhepunkte der Schauspielkunst. Erst am Schluss ahnt er, welche Kollateralschäden sein ständiges Aufwärtsstreben verursacht hat.
Wie ein Schatten an Höfgens Seite erscheint der mit den Nationalsozialisten sympathisierende Hans Miklas des eloquenten Fridolin Sandmeyer, ermahnend, enttäuscht und verletzt. Bis er sich am Ende vor Reue und als radikalen Ausdruck für den Übertritt zum Widerstand, alle Kleidung ablegt. Zudem sorgt er als Chorleiter für die richtigen Einsätze des immer wieder auch singenden Ensembles und mimt zum Schluss hin kurz den Hamlet. Auch fast alle weiteren DarstellerInnen spielen Mehrfachrollen, teils in grotesk anmutenden Kostümen und Masken (Kostüm: Vanessa Rust). Hierbei ist besonders Sebastian Kuschmann als betont lässiger, Hummer aus der Tiefkühlbox essender Autor Theophil Marder und adipöser Ministerpräsident zu nennen. Melanie Straub ist eine gehemmte Schauspielerin Angelika und eine Wagner-affine Barbara Bruckner. Nachdem sie ihrem Ehemann (Höfgen) ihre Coolness bewiesen hat, versucht sie erfolglos mit allen Reizen bei ihm die Leidenschaft zu wecken. Paula Hans gefällt als verführerische Nicoletta von Niebuhr und Katharina Linder als souverän wirkende Intendantin.
Anna Kubin gibt stark verkleidet die Primadonna Dora Martin und die Lotte Lindenthal, Andreas Vögler den Geheimrat Bruckner, den unbeugsamen Otto Ulrichs und dessen toten Geist. Höfgens Geliebte und „Herrin“, die farbige Juliette Martens, verkörpert erhaben und mit Peitsche ausstaffiert, Mark Tumba (womit auf Höfgens homosexuelle Vorlieben angespielt wird). Seinen Sixpack verdeckt er meist unter einer Kunstpelzjacke und tritt, ohne Drag-Allüren, in Highheels auf.
Stimmen werden teilweise klanglich stark verfremdet. Hierzu stehen einzelne DarstellerInnen an der linken Seite vor Mikrofonen, während die eigentlichen Figuren auf der Bühne sind.
Wie brüchig die erwähnte Theaterwelt sein kann, zeigte sich nicht nur während der NS-Zeit. Im jüngsten Shutdown galt sie nicht als systemrelevant und ein demokratischer, soziale Sicherheit bietender Ort ist sie längst auch heute nicht überall. Claudia Bauers pausenlose, knapp 150-minütige Mephisto-Inszenierung ist, ohne Längen, eine dezente Warnung an jeden, für demokratische Grundrechte, Toleranz und Offenheit einzustehen. Sie wird von Pütthoff und dem Ensemble energiegeladen dargeboten.
Markus Gründig, Oktober 20
Mephisto
Roman
Von: Klaus Mann
Für die Bühne bearbeitet von: Claudia Bauer und Katja Herlemann
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 3. Oktober 2020 (Schauspielhaus)
Besuchte Vorstellung: 8. Oktober 2020
Regie: Claudia Bauer
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüm: Vanessa Rust
Musik: Peer Baierlein
Dramaturgie: Katja Herlemann
Mit: Paula Hans, Anna Kubin, Sebastian Kuschmann, Katharina Linder, Christoph Pütthoff, Fridolin Sandmeyer, Melanie Straub, Mark Tumba, Andreas Vögler
Live-Video: Benjamin Lüdtke
schauspiel-frankfurt.de