„Liebe die nicht tötet, ist keine wahre Liebe“
Asteria in Nero
Römische Kaiser bieten ob ihrer schillernden Persönlichkeiten und den mit ihnen verbundenen Machtspielen, Intrigen und Morden viele Themen, die sich für die Bühne eignen. So wurden beispielsweise Caligula (Regierungszeit: 37 – 41 n. Chr.) von Detlev Glanert und Titus (Regierungszeit: 79 – 91 n. Chr.) von Wolfgang Amadeus Mozart musikalisch gewürdigt. Arrigo Boito (1842-1918), der sich vor allem als Librettist und Übersetzer, sowie als Komponist der Oper Mefistopheles einen Namen gemacht hat, beschäftigte sich nahezu sechs Jahrzehnte mit Nero (Regierungszeit: 54 – 68 n. Chr.). Erst nach Boitos Tod wurde die tragische Oper u. a. von Arturo Toscanini vollendet und im Jahr 1924 an der Mailänder Scala uraufgeführt.
Die Bregenzer Festspiele eröffneten jetzt ihre Spielzeit mit dieser Opernrarität. An insgesamt drei Terminen ist sie im bis zu 1656 Zuschauer fassenden Großen Saal des Festspielhaus Bregenz zu sehen (neben dem Spiel auf dem See Rigoletto). Es gilt die 3-G-Regel, das Tragen einer Maske ist nicht verpflichtend und es gibt keine Einschränkungen hinsichtlich der Sitzplatzkapazität.
Anderes Bild vom „Wahnsinnskaiser“ Nero
Kaiser Nero (Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus) ist bei vielen als der Brandstifter Roms im Juli 64 im Gedächtnis verankert. Wobei heute davon ausgegangen wird, dass er diesen nicht persönlich gelegt hat, wie generell viel von seinem schlechten Image eher der Geschichtsschreibung als Fakten zu verdanken ist. Die Anfangsjahre seiner Regierungszeit waren durchaus gute Jahre. Dennoch: Die Verfolgung von Christen, die Vergiftung seines Halbbruders, die Verbannung seiner Ehefrau und die Tötung seiner Mutter (Agrippina die Jüngere) sind weitere unrühmliche Kapitel seiner schillernden Biografie. Die vieraktige Oper von Boitos Oper ist keine biografische Arbeit. Boitos Libretto beinhaltet fiktive Szenen. Es verzichtet darauf, ihn als durchgeknallten Despoten zu beschreiben. Vielmehr betont es, dass Nero sich selbst auch als Künstler sah und betont seine facettenreiche Persönlichkeit mit übergroßen Ambitionen und menschlichen Schwächen. Die Geschichte fängt mit dem Tod der Mutter an und endet mit dem Brand Roms.
Großer Szenischer Aufwand
Das Regieteam von Nero ist in Bregenz nicht unbekannt, es inszenierte dort 2016 Franco Faccios Oper Hamlet. Regisseur Olivier Tambosi zeigt die eigentlich im 1. Jahrhundert spielende Geschichte in einem zeitlosen Rahmen. Die Kostüme von Gesine Völlm sind disparat. Einerseits antik anmutende Gewänder, andererseits moderne und glitzernde Anzüge und Jumpsuits, oftmals mit viel Blut verschmiert. Vereinzelt gibt es gar Figuren im Adamskostüm. Wobei viel Wert auf Geschlechterneutralität gelegt wird. Gerade bei den großen Volksszenen ist der Chor einheitlich mit Kleidern ausgestattet. Die Christen tragen hier bereits Tunika, Skapilier und Schleier, obwohl diese Praxis erst viele Jahre später entstand.
Frank Philipp Schlössmanns Bühne vermittelt geschickt abstrakt den historischen Handlungsort Rom. Für die Darstellung einer Szene an der Via Appia. eines unterirdischen Tempels, eines Gartens und des Circus Maximus reichen ihm zahlreiche hohe schwarze Wände, die versetzt auf der Drehbühne stehen und durch deren Einsatz ständig neue Räume entstehen. Trotz der Schlichtheit sind Unterschiede erkennbar: Glatt verputzte Wände beim Kaiser, nacktes Mauerwerk bei den Christen. An ihren Stirnseiten sind die Wände mit großflächigen Leuchtbändern ausgestattet, die, an die jeweilige Szene angepasst, in verschiedenen Farben strahlen und dann den Eindruck von Säulen vermitteln. Diese nehmen in der römischen Architektur einen zentralen Platz ein (vgl. beispielsweise Pantheon oder Forum Romanum). Als komische Note sind an den Wänden Feuerlöscher montiert. Ein Altar wird durch einen Billardtisch symbolisiert, Clubsessel stehen verteilt herum. Am Ende vermitteln umgestürzte Kirchenbänke und ein Beichtstuhl den Eindruck, dass das Christentum aus Trümmern entstanden ist. Alle Szenen spielen in der Nacht, Dunkelheit herrscht in allen vier Akten (Licht: Davy Cunningham).
Rivalität zwischen Kaiser Nero und heidnischen Magier Simon Mago
Boitos Musik ist eindeutig dem 19. Jahrhundert zuzuordnen. Die späte Uraufführung (1924) und der sich zwischenzeitlich veränderte Musikgeschmack sorgten dafür, dass diese vielschichtige Oper nicht den Weg ins Repertoire geschafft hat, obwohl die musikalische Seite sehr faszinierend ist. Dirigent Dirk Kaftan, seit 2017 Generalmusikdirektor der Stadt Bonn und des Beethoven Orchesters Bonn, leitet die im Orchestergraben spielenden Wiener Symphoniker. Es ist ein satter, aufbrausender Ton, der die großen Gefühle und das dramatische Geschehen impulsiv untermauert. Lyrische, zarte Momente, wie im 3. Akt, kommen nicht zu kurz.
In der Titelrolle glänzt der mexikanische Tenor Rafael Rojas mit seiner geschmeidigen und dennoch markanten Stimme. Darstellerisch zeigt er viele Facetten von Neros Persönlichkeit. Als sein Gegenspieler Simon Mago trumpft der italienische Bariton Lucio Gallo stimmgewaltig auf. Den einfühlsamen und besonnenen Christenführer Fanuèl gibt der kanadisch-italienische Bariton Brett Polegato mit balsamisch wirkendem Timbre. Die große Figur der Asteria verkörpert die russische Sopranistin Svetlana Aksenova mit nobler Ausstrahlung und ausdrucksstarker Stimme. Als furchtlose Rubria überzeugt die italienische Mezzosopranisti Alessandra Volpe mit reiner Klangschönheit.
In weiteren Rollen dabei: Miklós Sebestyén (Tigellino), Taylan Reinhard (Gobrias), Ilya Kutyukhin (Dositèo) und Katrin Wundsam (Cerinto / Pèrside). Sehr starken stimmlichen und schauspielerischen Einsatz zeigt der Prager Philharmonische Chor.
Nero ist eine interessante Oper, bei der es sehr viel zu entdecken gibt. Dies gilt ganz besonders für die Inszenierung von Olivier Tambosi bei den Bregenzer Festspielen.
Markus Gründig, Juli 21
Nero (Nerone)
Oper in vier Akten, unvollendet
Von: Arrigo Boito (1842 – 1918)
Bearbeitet von: Antonio Smareglia, Vittorio Tommasini und Arturo Toscanini
Libretto: Arrigo Boito
Uraufführung: 1. Mai 2024 (Mailand, Teatro alla Scala)
Premiere bei den Bregenzer Festspielen: 21. Juli 2021 (Festspielhaus)
Musikalische Leitung: Dirk Kaftan
Inszenierung: Olivier Tambosi
Bühne: Frank Philipp Schlössmann
Kostüme: Gesine Völlm
Licht: Davy Cunningham
Besetzung:
Nerone: Rafael Rojas
Simon Mago: Lucio Gallo
Fanuèl: Brett Polegato
Asteria: Svetlana Aksenova
Rubria: Alessandra Volpe
Tigellino: Miklós Sebestyén
Gobrias: Taylan Reinhard
Dositèo: Ilya Kutyukhin
Cerinto | Pèrside: Katrin Wundsam
Prager Philharmonischer Chor
Bühnenmusik in Kooperation mit dem Vorarlberger Landeskonservatorium
Wiener Symphoniker
bregenzer-festspiele.com