Exzessive Gewalt bei Verdis »Otello« am Staatstheater Mainz

Otello ~ Staatstheater Mainz ~ Jago (Ivan Krutikov), Otello (Antonello Palombi) ~ © Andreas Etter
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Handwerklich ist Victoria Stevens Inszenierung von Giuseppe Verdis Otello am Staatstheater Mainz sehr gut gemacht. Die Bühne von Anna-Sofia Kirsch bietet eindrucksvolle Bilder. Die sängerische Leistung betört. Unter der Leitung von GMD Hermann Bäumer spielt das Philharmonische Staatsorchester glutvoll. Sind damit alle Voraussetzung für einen schönen Opernabend erfüllt? Das kommt auf den Standpunkt an. Denn Stevens´ Inszenierung ist von exzessiver Gewalt geprägt, weit mehr als darüber im Libretto steht.

Gewalt auf allen Seiten, in allen Schichten und Altersklassen

Zwar ist die Apartheid in Südafrika offiziell abgeschafft. Doch noch ist das Land davon geprägt und die Spannungen zwischen Arm und Reich spitzen sich immer weiter zu. Die Sopranistin und Regisseurin Victoria Stevens wurde in diesem Land geboren und erlebte als Kind die Apartheid unmittelbar mit. Ihre erste Arbeit für das Staatstheater Mainz ist stark von ihren Erfahrungen dort geprägt. Otello ist bei ihr nicht nur ein Eifersuchtsdrama zwischen dem Befehlshaber der venezianischen Streitkräfte und seiner Ehefrau. Streit und Handgreiflichkeiten sind in der gesamten Bevölkerung omnipräsent. Das wird gleich zu Beginn beim großen Volksauflauf zur Feier der erfolgreichen Seeschlacht plakativ gezeigt. Beispielsweise müssen junge Männer vor allen anderen ihre Männlichkeit bei einem Geschlechtsakt beweisen, andere werden drangsaliert und misshandelt. Frauen kämpfen untereinander und schon Kinder tragen Maschinengewehre.

Otello
Staatstheater Mainz
Otello (Antonello Palombi; oben), Jago (Ivan Krutikov; oben hinten), Ensemble, Chor und Extrachor
© Andreas Etter

Düsternis und Filmsequenzen aus Südafrika

Die finsteren Seelen der Protagonist:innen spiegeln sich im Bühnenbild von Anna-Sofia Kirsch. Sämtliche Szenen spielen hier bei Nacht, denn außer ein paar Spots gibt es nicht viel Licht. Düsternis herrscht allerorten (Licht: Ulrich Schneider). Auf der ansonsten offenen und leeren Bühne befindet sich lediglich ein großer Baukörper, einem lang gezogenen Container gleich. Er ragt steil nach oben und ist begehbar. Er trennt gewissermaßen die Gesellschaftsschichten, denn nur die Oberen haben Zugang zu ihm. Für die beiden Akte nach der Pause hat er, nunmehr in Wasser stehend, eine vertikale Position eingenommen. Er wirkt nicht unbedingt phallisch, aber bedrohlich und monströs (und erinnert an das Patriot Flugabwehrraketen-System). In ihm fällt, als zusätzliche Ergänzung der Regisseurin, Otello über Emilia her.

Otello
Staatstheater Mainz
Jago (Ivan Krutikov), Cassio (Mark Watson Williams)
© Andreas Etter

Eine Verbindung zu ihrer südafrikanischen Heimat stellt Victoria Stevens über Protestplakate (Amandla! Awethu! Die Machtfrage stellen!) und Filmsequenzen her (dazu zählen ausdrucksstarke Porträts von Setsoane Jeanny Ntseki; Video: Lukas Eicher). Die Kostüme von Charlotte Werkmeister reflektieren teilweise indirekt den Schwarz-Weiß-Konflikt.

Otello
Staatstheater Mainz
Emilia ( Karina Repova), Desdemona (Lauren Margison)
© Andreas Etter

Antonello Palombi mit nicht nachlassender Kraft

Im ersten Akt ist die Welt zwischen Otello und seiner Frau Desdemona noch in Ordnung, denn sie besingen ihre Liebe („Già nella notte densa“). Doch hierbei wird deutlich, dass sie sich scheinbar schon entfremdet haben. Wie ein Liebespaar wirken sie nicht, stehen bei ihrem Liebesgesang doch entfernt voneinander. Otellos überaus anspruchsvolle und umfangreiche Partie meistert Tenor Antonello Palombi famos und mit nicht nachlassender Kraft. Er gestaltete vor einem Jahr die Titelrolle in Leoncavallos Operneinakter Pagliacci. Dieser wurde gemeinsam mit Puccinis Le Villi gegeben, bei dem wiederum die Sopranistin Lauren Margison betörte (und als Nedda in Pagliacci). Als Desdemona zeigt sie eine starke Präsenz, Anmut und rührt mit dem sentimentalen „Piangea cantando nell’erma landa“. Auch der russische Bariton Ivan Krutikov war bei dem Doppelabend Le Villi / Pagliacci zu erleben. Als Intrigen spannender Jago hat er nun eine größere Partie, die er mit starker Stimme verkörpert.
In weiteren Rollensind zu erleben: Karina Repova (Emili), Mark Watson Williams (Cassio), Collin André Schöning (Roderigo), Derrick Ballard (Lodovico), Tim Lukas Reuter (Montano) und Seok-Gill Choi (Araldo). Teilweise gibt es alternierende Besetzungen. Imposant bringen sich der Chor und der Extrachor des Staatstheater Mainz ein (Chorleitung: Sebastian Hernandez-Laverny).

Auch das Ende ist bei dieser Inszenierung besonders. Während sich Jago offensichtlich die Hände in Unschuld wäscht, tötet Otello nicht sich selbst, sondern wird von seinem Sohn erschossen.

Intensiver Beifall bei der besuchten 2. Vorstellung.

Markus Gründig, April 24


Otello

Dramma lirico in quattro atti

Von: Giuseppe Verdi (1813-1901)
Libretto: Arrigo Boito (nach dem gleichnamigen Schauspiel Othello von William Shakespeare)
Uraufführung: 5. Februar 1887 (Mailand, Teatro alla Scala)

Premiere am Staatstheater Mainz: Samstag, 23. März 24
Besuchte Vorstellung: 31. März 24

Musikalische Leitung: Hermann Bäumer
Inszenierung: Victoria Stevens
Bühne: Anna-Sofia Kirsch
Kostüme: Charlotte Werkmeister
Kampfchoreografie: Ted Stoffer
Licht: Ulrich Schneider
Video: Lukas Eicher
Chorleitung: Sebastian Hernandez-Laverny
Dramaturgie: Elena Garcia Fernandez

Besetzung:

Otello: Antonello Palombi
Desdemona: Selene Zanetti / Lauren Margison
Jago: Ivan Krutikov
Emilia: Verena Tönjes / Karina Repova
Cassio: Jaesung Kim / Mark Watson Williams
Roderigo: Collin André Schöning
Lodovico: Derrick Ballard
Montano: Tim Lukas Reuter
Araldo: Seok-Gill Choi

Statisterie des Staatstheater Mainz
Chor und Extrachor des Staatstheater Mainz
Philharmonisches Staatsorchester Mainz

staatstheater-mainz.com