kulturfreak.de Besprechungsarchiv Theater, Teil 1

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Ajax

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
23. Dezember 05 (Premiere)

Ajax räumt auf, viel zu gründlich und vor allem in der falschen Ecke. Es handelt sich hier natürlich nicht um den klassischen Haushaltsreiniger, sondern um einen der ältesten tragischen Helden. Armin Petras leistet mit seinem neustes Stück seinen Beitrag zum Spielzeitmotto des schauspielfrankfurt „Marke Mensch – wie lange halten Helden?“. Nach der Inszenierung von Goethes „Egmont“ inszenierte er sein eigenes Stück „Ajax“ in der Spielstätte schmidtstrasse 12 kurz vor Weihnachten. Das Einlenken Agamemnons zur ordentlichen Bestattung des Selbstmörders, wenn auch nur aus taktischen Gründen, passt als Friedensbotschaft in diese Zeit.

Wobei von Friede Freude Eierkuchen hier keine Spur ist. Wie einen spannenden Krimi hat Petras das Stück auf die Saisoneinheitsbühne der Schmidtstrasse gebracht. Da Wahrnehmung heute auf verschiedenen Ebenen geschieht, das Fernsehen eine Dominanz bei den meisten Bürgern hat, nimmt auch die Videokunst innerhalb aktueller Inszenierungen einen immer breiteren Raum ein. Petras nutzt das Medium Video um den äußeren Rahmen  wo er sein Stück angesiedelt hat, zu verdeutlichen. Gleich zu Beginn landet ein Flugzeug, ein Mann (Andreas Haase) steigt aus und fährt mit dem Taxi in sein Wohnbüro, wo er die Bilder die er auf seiner Reise gemacht hat, entwickelt. Es sind Bilder aus einem Kriegsgebiet, wie wir sie auch aus den Nachrichtensendungen her kennen, sie zeugen von Verletzungen und Zerstörung. Im Bett findet er Schlaf und während sich das Videobild abdunkelt, steigt auf der Spielfläche immer mehr Nebel hervor, aus dem die ersten Darsteller entsteigen (Odysseus „Wir sind Schatten im Neben“)…

Petras „Ajax“ beruht auf Sophokles Tragödie „Aias“, die mindestens 2400 Jahre alt ist. Petras zeigt, dass solch alte Themen auch heute sehr aktuell sind. Ajax macht einen fatalen Fehler und entscheidet sich zur Ehrenrettung für den Freitod. Doch auch damit ist noch nicht alles geklärt, denn was passiert jetzt mit seinem Leichnam?
Ist er schon ein Held weil er ein großer Kämpfer ist, weil er die Konsequenzen seines Fehlhandelns trägt? Sollte das nicht, heute wie damals, selbstverständlich sein? Heute werden große Firmen an die Wand gefahren, was Konsequenzen für tausende Mitarbeiter hat; die Finanzlage des Staates ist prekär, Politiker kommen und gehen, doch Verantwortliches Handeln wird immer seltener vorgelebt.
Wo Menschen sind, passieren Fehler. Das ist normal. Doch wie wird in der Gesellschaft damit umgegangen? Welchen Wert hat ein Mensch der, warum auch immer, versagt hat? Wie viel Eigenverantwortung tragen wir? Wird unser Schicksal von anderen bestimmt (so wie sich einst die griechischen Götter einmischten)? Wie wichtig ist mir, wie andere über mich denken? …

Petras behandelt derartige Grundfragen des Zusammenlebens in seinem „Ajax“, den er effektvoll in Szene gesetzt hat. Robert Kuchenbuch (mit athletischem Körper) gibt den kämpferischen, aber sich dann opfernden, Ajax. Hilke Altefrohne seine um Würde kämpfende Lebenspartnerin Tekmessa. Sohn Eurysakes (Sebastian Hamerski) sieht sich schon als Verbrecher jagender Batman.
Ajax steht nicht alleine da, sein Freund (Andreas Leupold) ist immer mit interessanten Bemerkungen und Weisheiten dabei, während Odysseus (Andreas Haase) sich meist als Beobachter in der zweiten Reihe zurück hält. Regine Zimmermann ist als Athene, Agamemnon und als dessen Bruder Menelaos gleich in drei Rollen zu sehen.

Das Stück ist in einem Ort irgendwo zwischen Afghanistan und dem Irak angesiedelt: eine Baracke mit Schießfenster, ein Zaungefüge und immer wieder lauter Hubschrauberlärm zeigen an, hier ist ein Kriegsschauplatz. Petras wechselt bei der Sprache zwischen alt klingenden Versen und einer zeitgemäßen Sprache („mach´en Witz bevor du stirbst“).
“Ajax“ endet, wie es begann: per Videoeinspielung. Jetzt wo alles vorbei ist, laufen Athene und Odysseus (der Mann vom Eingangsvideo) entspannt durch das bunte Rotlichtviertel einer Großstadt. Beide haben ohne ihr Gesicht zu verlieren nachgegeben, ein Problem ist gelöst, das Leben geht weiter. Wie, das hat jeder selber zu sehen.

Markus Gründig, Dezember 05


Besucher

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
22. Dezember 05 (Premiere)

Das Spielzeitthema „Marke Mensch – wie lange halten Helden?“ durchzieht das Programm des schauspielfrankfurt wie ein roter Faden. In der ersten Spielzeithälfte wurden schon allerhand Helden aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet. Bei der Auswahl an modernen Stücken entschied sich das schauspielfrankfurt u.a. für Botho Strauss 1988 uraufgeführte Komödie „Besucher“ und lenkt damit den Blick auf die eigene Institution. Denn Strauß Stück „Besucher“ handelt vom Theater im Theater, zeigt einen Darsteller, der von seinem hoch geschätzten Schauspielervorbild abgelehnt, ja sogar übel beschimpft wird. Er gibt aber partout nicht auf, und kann trotzt zusätzlicher Alkohol- und Liebesproblemen am Ende dann doch mit seinem Star gemeinsam auftreten. Ein Stück mit Happy End.

Besucher
schauspielfrankfurt
Felix von Manteuffel & Roland Bayer
Foto: Alexander Paul Englert ~ englert-fotografie.de

Regisseur Burkhard C. Kosminski zeigt in seiner Sichtweise das eigentlich aus drei Akten bestehende Stück auf einen großen Akt zusammengefasst, wodurch einige Nebenrollen entfielen. Das Theater im Theater und die Umdrehung auf das Theater im Leben gelang ihm vortrefflich. Fließend die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Ebenen Bühnengeschehen und Besucherblick, wodurch Maximilian Steinberg (Felix von Manteuffel) aus dem Lot gerät und feststellen muss, dass er seine eigenen Sorgen auf der Bühne sieht. Von Ute Lindberg in einen Anzug mit grünen Schottenmuster gesteckt, ist er schon äußerlich ein nicht ganz ernst zu nehmende Figur, als jemand der sich von den Anderen unterscheiden will es aber nicht recht kann. Manteuffel spielte verletzt, mit einer Schiene am Knie und zog so sein linkes Bein ständig nach (ein kürzlich erfolgter Knie-Eingriff hatte zu einer Verschiebung der Premiere geführt). Die in der Rolle begründete Unbeholfenheit bekam dadurch ein weiteres Profil.

Besucher
schauspielfrankfurt
Ilse Ritter & Traugott Buhre
Foto: Alexander Paul Englert ~ englert-fotografie.de

Auch seine Frau Lena (Leslie Malton) ist im Schottenmuster, allerdings in rot und in Form eines Ballkleides. Sehnsuchtsvoll wartet sie ja auf DIE drei Worte der Liebe, die ihr Mann ihr bislang verschwieg. So fliegt sie singend und träumend durch die Bühne und verbirgt sich in luftiger Höhe hinter einem Vorhang (und erinnerte damit ein wenig an die Kurtisane Satine imFilm Moulin Rouge („One Day I´ll fly away“) ).
Als ungeduldiger alter Schauspieler Karl Joseph ist Traugott Buhre als wahre Legende zu erleben. Feinfühlig und Selbstbewußt Ilse Ritter als Schauspielerin Edna Gruber, die Karl Joseph zurechtweist und sich für ihren jüngeren Kollegen einsetzt. Roland Bayer gibt den Regisseur, der auch als Baß-Spieler für dezente Musik im Hitergrund sorgt. In weiteren Rollen Anita Iselin (Die Blinde), Olga Strub (Graderobenfrau), Hubert Schulz (Max-Double) und Sven Prietz (Nachtpförtner).

Auf der von unten herauffahrenden großen Drehbühne stehen versetzt eine Zuschauertribüne, eine Garderobe und ein paar Stühle. Dunkelrote Vorhänge hängen wie überdimensionale Schals herab, bewegen sich untermalt von schwerer langsamer Musik wie choreografiert durch die Bühne und fügen sich zu einem großen Vorhang zusammen. Eine träumerische Atmosphäre entsteht beim beschaulichen Schneefall im Hintergrund. Herabgelassene Scheinwerfer an den Seiten verstärken die Probenatmosphäre. Florian Etti´s Bühnebild gleicht schon fast einer Technikshow über die Möglichkeiten dieses Hauses.
Durch drehen der Scheinwerfer auf die Zuschauer werden diese in den Sog dieses Stückes gezogen, daß die Grenze zwischen Darsteller und Besucher aufhebt und auch die Frage wie wir miteinander umgehen geschickt vermittelt.

Markus Gründig, Dezember 05


Künstlergespräch „Theatrum Sacrum“

schauspielfrankfurt, 19. Dezember 05

Fährt oder läuft man derzeit vom Süden kommend am schauspielfrankfurt vorbei, so sieht man links oben an der Glasfassade den überdimensionalen Hinterkopf eines liegenden Mannes, mit warmen roten Hintergrund. Eine Einladung zum Lesen etwa?
Das Rätsel löst sich beim Gang um die Ecke mit einem frontalen Blick, mit reichlich Abstand, auf die Frontseite des Hauses. Jetzt ist dieser Mann als liegender Jesus in einer gewaltigen und monumentalen Dimension zu erkennen. Die Augen geschlossen, die rechte Hand auf dem Oberschenkel liegend und das linke Bein lässig angewinkelt.
Ist das schauspielfrankfurt passend zur Weihnachtszeit jetzt auf einem Jesus-Trip?

Antworten zu dieser Installation gab es jetzt beim Künstlergespräch im Glas Haus, quasi im Inneren dieses Werkes. Hierzu begrüßte die Kunsthistorikerin und Kulturjournalistin Dorothee Baer-Bogenschütz den Künstler Benjamin Bergmann, die Filmemacherin Jaqueline Kaess-Farquet, den Konservator für Gegenwartskunst der Münchener Pinakothek der Moderne, Dr. Bernhart Schwenk und die Intendantin des schauspielfrankfurt, Dr. Elisabeth Schweeger.

Obwohl Bergmann früher als Holzbildner schon große Heiligen- und Christusstatuen schuf, prägte ihn eine spätere Mexikoreise am meisten: hautnah gelebter Glaube mit unverkrampften Umgang insbesondere mit dem Thema Sterben und Tod. Ausgehend vom Jahresmotto des schauspielfrankfurt („Marke Mensch – wie lange halten Helden“) stellt für Benjamin Bergmann Jesus Christus den Urheld des Christentums dar, selbstlos und mit Vorbildcharakter. Er stellt mit dieser Installation die Frage, woran wir heute glauben, welche Vorbilder wir haben oder suchen.
Denn Helden werden nach Dr. Elisabeth Schweeger gebraucht (in welcher Form auch immer), schließlich ist der Mensch nicht souverän.

Theatrum Sacrum
Benjamin Bergmann ( München), 11. November 05 – 17. Januar 06
Ein Projekt von schauspielfrankfurt, Intendantin: Elisabeth Schweeger, Kuratorin: Leonore Leonardy

Unsere Helden heute? Sie sind schon lange keine tadellosen Gott-gleichen Vorbilder mehr. Eine Tageszeitung kann sie in einen Tag erschaffen, doch ebenso schnell sind auch wieder vergessen. Dabei gibt es keine allgemeine Helden-Definition, hier hat ein jeder seine eigene Nuance in der Definition. Für Jaqueline Kaess-Farquet macht die Filmindustrie keine Helden, nur Stars. Ähnlich verneint Dr. Bernhart Schwenk das erschaffen von Helden in der Kunst.
Was ein Held ist, ihn ausmacht, wurde von den Gesprächsteilnehmern unterschiedlich beurteilt.

Der liegende Jesus von der Innenseite aus betrachtet macht die vermittelte Illusion deutlich, die transparente Folie ist geknittert und wie alles hier im Theater, nicht wirklich real. Das passt wiederum, schließlich trägt auch das Heldentum Illusionen in sich. Dennoch ist es für die Öffnung des gedanklichen Horizonts wichtig, auch und gerade für ein Theater, das Publikum nicht nur im Saal, sondern bereits beim zu- und vorbeilaufen am Haus, anzusprechen und Denkanstöße zu geben und so auf einer anderen Weise auf seine knapp 600 Vorstelungen in der aktuellen Spielzeit hinzuweisen.

Markus Gründig, Dezember 05


Floh im Ohr

schauspielfrankfurt
Premiere: 7. Oktober 05
Besuchte Vorstellung:  4. Dezember 05

„Das Wesentlichste im Theater ist die Schöpfung die vom Vorschlag ausgeht, den ein Werk liefert“ (Elisabeth Schweeger). Diesem Ansatz folgend hat Regisseurin Simone Blattner bei ihrer Interpretation von Georges Feydeau´s „Floh im Ohr“ den schon in der Vorlage ganz auf Komik gespannten Handlungsfaden noch weitergesponnen.
In kurzweiligen, pausenlos gespielten 120 Minuten gibt sich der „Floh im Ohr“ am schauspielfrankfurt als grell überzeichnetes, geniales Komikstück mit hohem Tempo. Die zeitgemäße Sprache entstammt der Übersetzung von Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek.

Beinahe wie in einem Rausch zieht der Klamauk vorbei und im Zuschauerraum wird gelacht was das Zeug hält, ganz so als säße man in der benachbarten Komödie. Wenn beim Schlussapplaus selbst zwei Monate nach der Premiere noch begeistert geklatscht und mit den Füßen gestampft wird, bestätigen die Zuschauer den hohen (Unterhaltungs-) Wert dieser Inszenierung.

Floh im Ohr
schauspielfrankfurt
Abak Safaei-Rad & Anita Iselin
Floh im Ohr
schauspielfrankfurt
Ben Daniel Jöhnk, Joachim Nimtz & Felix von Manteuffel

Sekretär und sprachbehindertes Familienmitglied Camille Chandebise (wieder einmal mit enormen körperlichen Einsatz: Stefko Hanushevsky) möchte einen Brief ablegen, doch wo er eine Klappe zu macht, geht am anderen Ende eine andere Klappe auf. Kaum hat er diese geschlossen, springt die erste wieder auf. Dies wiederholt sich mehrfach, währenddessen, Hase und Igel mäßig, Camille kaum hinterher kommt. So wird gleich zu Beginn deutlich, dass bei diesem Boulevardstück par excellence keine Aktion ohne Folgeaktion bleibt.

So schillernd die Handlung, so karger und nüchtern gibt sich dabei der Salon der Eheleute Chandebise: eine Bühnenübergreifende graue Wand, mit Kamin und Schornstein an der Seite, etlichen Türen und einer langen gepolsterten Sitzbank im Vordergrund. Stimmungsvoller ist es dann im Hotel zur zärtlichen Miezekatze. Viel rot macht deutlich, welche Art von Hotel dies ist (Bühne: Alain Rappaport).

Simone Blattner beweist mit dieser Inszenierung, dass es keiner großen Ausstattung bedarf, wenn die Regie die Darsteller geschickt führt und zu motiviert. Mit großen Gesten, Fratzen, viel Gehupse und Geholpere zeigt sich die Spaßgesellschaft menschlich nah als Identifikationsobjekt für die Nöten des Liebesalltags.
 
Allen voran Joachim Nimtz in der Doppelrolle des Monsieur Chandebise und des Hotelpagen Poche. Einerseits der Macho und Erektionsgestörte mit ständig beherzten Griff in den Schritt das das Publikum johlt, andererseits als der ruhige, leicht angetrunkene Hoteldiener Poche. Großartig wie er innerhalb kürzester Zeit ständig zwischen diesen Rollen wechselt.
Die Frauen kommen in ihren knalligen Kostümen (Marcella Maichle) gehörig in Fahrt. Anita Isekin als Raymonde Chandebise gibt sich optisch mondän im Stile einer Verona Pooth, allerdings wesentlich sprachgewandter. Schulfreundin Lucienne (Abak Safaei-Rad) ist anfangs zwar noch überlegen behutsam, spätestens aber als ihr Mann Carlos sie wutentbrannt sucht, gerät auch sie in Panik. Wunderbar Sebastian Schindegger als vermeintlich gehörnter feuriger spanischer Ehemann.

Zum Schluss platzt Chandebise/Poche überraschend aus dem Kamin und alle singen ihm ein Ehrenlied.

Bei der besuchten Vorstellung lud das schauspielfrankfurt auf Anregung von Simone Blattner in die „Bar zur zärtlichen Miezekatze“ ein, wo Schauspieler und Publikum den heiteren Abend in gelöster Atmosphäre fortsetzten konnten. Zusätzlich griffen einige Schauspieler zum Mikrofon und unterhielten mit Liedern von Brecht, Joe Cocker, Sinatra und Sting. Joachim Nimtz und Stefko Hanushevsky´s Duett „Something Stupid“ wurde des großen Anklangs wegen sogar ein zweites Mal gegeben.

Markus Gründig, Dezember 05


Blaubart – Hoffnung der Frauen

schauspielfrankfurt
Premiere: 26. November 05
Besuchte Vorstellung: 30. November 05

Die Dramatikerin Dea Loher (Jahrgang 1964), jüngst bei der Preisverleihung des „Else-Lasker-Schüler-Dramatikerpreis 2005“ als „Schmerzenssammlerin“ bezeichnet, ist alles andere als eine verträumte Romantikerin alá Rosamunde Pilcher. Glückliche Menschen sind nicht ihr Ding.
Weil Frau und Mann nicht zusammen kommen können, sterben in ihrem Stück „Blaubart – Hoffnung der Frauen“ sieben Menschen. Loher erzählt diese Geschichte als zeitgemäßes Märchen. Märchen haben den Vorteil, dass sie meist sehr kurzweilig sind und surreale und wunderbare Elemente miteinander verbinden. Märchen passt aber auch, weil die Hintergründe für die Morde mit Realismus wenig zu tun haben.

Blaubart – Hoffnung der Frauen
schauspielfrankfurt
Christiane (Sascha Icks) Heinrich (Mathias Max Herrmann)

Das 1997 als „work-in-progress“- Arbeit an den Münchener Kammerspielen entstandene Stück kommt in der Inszenierung des schauspielfrankfurt trotz Loher´s Skepsis was die Realisierbarkeit von Liebe und Beziehungsglück anbelangt, in 80 Minuten Spieldauer leicht und unterhaltsam daher. Die Dinge sind nun mal wie sie sind. Scheitern aus Zwang, aber ohne Schwermut.
Regisseur André Wilms und Intendanten Dr. Elisabeth Schweeger als Dramaturgin zeigen diese Farce mit sieben leidenschaftlichen Darstellerinnen und einem ob der weiblichen Liebesübermacht irritierten Darsteller mit einem kräftigen Augenzwinkern auf die weibliche Gefühlslandschaft und der Unfähigkeit des Mannes, damit umgehen zu können.

Ein blauer, durchsichtiger Vorhang spielt bereits vor Beginn auf den männlichen Titelhelden Heinrich Blaubart an. Das Bühnenbild (Nicky Rieti) besteht lediglich aus einem großen nüchternen  weißen  Raum mit einer Parkbank. Durch seitliche Öffnungen und einer Säule als Baumersatz ergibt sich trotzdem die Weite einer Landschaft auf der kleinen Bühne.
Das es an diesem Abend nicht so bitter ernst zugeht wird gleich im Prolog revuemäßig demonstriert. Ein kein Meter hoher Prospekt fährt herab, die Damen treten an eine Modenschau erinnernd, alle mit einem hellbläulichen Tuch umhüllt, wohl nach Größe sortiert, hinter diesen Prospekt, stellen den Sonderling „Mann“ alias Heinrich Blaubart vor. Dabei zeigen sie sinnlich ihre schönen Beine und lenken den Blick zum ersten Mal auf ihre Schuhe (denen später noch eine besondere Bedeutung zukommt).

Julia(Sarah Sandeh) ist das erste Opfer, die erste Liebe, die große Liebe (das macht schon der Name deutlich). Trotz ihrer Unerfahrenheit genießt sie äußerst doppeldeutig ihr Wasser-Eis. Ein zarter Kuss Heinrichs auf die Seite und in sehnsuchtsvollster Hingabe wendet sie sich neunzig Grad drehend frontal auf seine heißen Lippen zu. Große Erwartungshaltung taugt nicht als Basis einer Beziehung.

Anna (Ruth Marie Kröger) ist da schon weiter, sie brennt mit der Leidenschaft einer Carmen und verglüht.

Judith (Viola von der Burg), aus dem Dorf vom Ende der Bergstrasse stammend, sucht weise „das Auge der Stadt“, lebt genügsam in ihrer eigenen Welt mit kleinen Träumen. Doch auch das ist Heinrich zuviel und so wird sie schlafend von der Zeit befreit.

Tanja (Eva-Christine Richter), mit langen blonder Haarpracht und noch längeren Beinen die in schwarze hohe Lackstiefel gepackt sind, soll Heinrichs Drang nach einem warmen Köper ohne jegliche Gefühl professionell erledigen. Aber erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.

Eva (Sascha Ö. Soydan) ist seelenverwandt mit Heinrich, schließlich ist sie was das Morden anbelangt auch nicht ganz unerfahren, doch hat sie es leid, sich an der Haustür von der Einsamkeit begrüßen zu lassen.

Christiane (Sascha Icks) wählt Heinrich aus Zufall, ihren Mann mit zwei Kindern hat sie hinter sich gelassen, um noch einmal das volle, extreme Leben, um sich selbst  zu erfahren. Ein finaler Tanz mit dem Teufel.

Sechs Frauen der unterschiedlichsten Art, alle mit großen Hoffnungen, Erwartungen und Sehnsüchten. Doch da ist noch die Siebte. Die Blinde (Katrin Grumeth). Ohne Blindenstock tippelt sie mit kleinen Schritten in ihrem eleganten Jäcken und weißer Augenmaske immer wieder zu Heinrich. Auch sie ist ganz Frau und erzählt von ihrem Liebeswerben, bei dem Heinrich vor sieben Jahren auch schon mal eine Rolle spielte. Für ihn ist sie wohl ein Neutrum, das rettet sie, ihn aber nicht.

Die Morde geschehen wie nebenbei, angedeutet nur durch den Verlust eines Schuhs des jeweiligen weiblichen Opfers. In der schmalen rechten Ecke bleiben die Opfer zunächst liegen. Erst wenn die nächste um die Ecke gebracht werden muss, verschwinden sie.

Heinrich Blaubart (Mathias Max Hermann) ist äußerlich ein gewöhnlicher Mann, passiv abwartend und überrascht, wie leicht es ihm die Frauen scheinbar gerade deshalb machen. Er will nur seine Ruhe und er bekommt sie schließlich.

Am Ende ein roter Vorhang und rotes Licht. Aus mit verträumten Himmelblau.

Markus Gründig, Dezember 05


I hired a contract killer oder Wie feuere ich meinen Mörder

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung:
20. November 05 (Premiere)

Gewöhnlich entsteht ein Film nach einem Bühnenstück oder einem Buch. Doch manchmal ist es auch anders herum. Der Film des Finnen Aki Kaurismäki („Leningrad Cowboys“) entstand 1990, heißt in Deutsch „Vertrag mit meinem Killer“. Für die Theaterversion wurde als deutscher Untertitel „Wie feuere ich meinen Mörder“ gewählt, was den Inhalt besser beschreibt.
Kaurismäki ging bei seinem Film mit sparsamsten Mitteln zu Werke, insoweit passt das Stück gut in die schauspielfrankfurt Dependance „schmidtstrasse12“, ein Theatererlebnispark mit einem variablen Saisoneinheitsbühnenbild (Michael Graessner).

Theater einmal anders wahrzunehmen als gewohnt wird hier leicht gemacht und schon beim Betreten stellen sich die Fragen, wo setzte ich mich hin? Wo gibt es die beste Sicht? Und wofür sind die Kopfhörer die an alle Besucher ausgegeben werden? Nun die Geschichte spielt natürlich im gesamten Raum. Regisseur Florian Fiedler setzt die Handvoll Darsteller geschickt und ergänzt die vorgegebene Raumgestaltung mit wenigen Mitteln (Ausstattung Bernd Schneider) um intime Räume, Straßen und Plätze entstehen zu lassen; letztlich sind es die Darsteller, die diese Räume mit ihrem Spiel erschaffen.

Nach der heiteren Kündigungseingangsszene wird zunächst ausgedehnt Ruhe zelebriert, um das Reifen von Boulanger´s Suizidwunsch zu verdeutlichen. Danach gewinnt die Inszenierung an Fahrt, auch wenn Ruhe und Stille immer präsent sind. Fiedler gelingen mit seinem beherzten Blick immer wieder starke Momente: etwa der zunächst krampfhafte Tanzversuch von Margarete (Irene Klein), der ihr in poetischer Vollendung erst in der Zweisamkeit mit Henri (Andreas Leupold) gelingt; eine schöne Szene für den Ausdruck der wundersamen Kraft der Liebe.
Während er erstmals in seinem Leben Whisky trinkt, entscheidet sie sich für ein großes Guiness-Bier, sie hat wohl auch einiges zu „verdauen“. Klein´s Margarete ist eine genauso ruhige, nachdenkliche und gebrochene Person wie Henri, dennoch sind die beiden mehr als eine Schicksalsgemeinschaft, hier scheint einer den anderen zu tragen und Halt zu geben.
Für die Barszene reicht eine verruchte, fast stimmlose mysteriöse Frau (Abak Safaei-Rad) und ein Saxophonspieler (Christoph Heeg) um eine üble Spelunke im Kopf entstehen zu lassen.
In weiteren Rollen: Wolfgang Gorks als Killer, Chistian Kuchenbuch und Robert Kuchenbuch als Hotelbedienstete und Bösewichte.
Alle Darsteller benutzen Mikrofunkmikrofone, was durch die Überragung auf die Funkkopfhörer zu ungewohnten Theaterhörerlebnissen führt und die atmosphärische Stimmung verdichtet. Selbst das kleinste Geräusch ist zu hören ohne dass immer zu orten ist, wo es herkommt.

Das Leben ist eine traurige Angelegenheit, aber die kann auch ganz schön spaßig sein, Florian Fiedler zeigt das mit “I hired a contract killer“ auf einfühlsame Weise.

Markus Gründig, November 05


Egmont

schauspielfrankfurt
Besuchte Vorstellung: 19. November 05 (Premiere)

November 2005. Deutschland im vorzeitigen Winterschlaf, gelähmt das Volk, die Regierung notdürftig zusammengeschustert. Die allgemeine wirtschaftliche und politische Situation ist ernüchternd, folglich steht es auch mit der gesellschaftlichen Situation nicht zum Besten. Dem hält, quasi wie bestellt, das schauspielfankfurt nun Goethes Egmont entgegen.
Ein Trauerspiel nennt Goethe seinen Egmont und man ist ja versucht ob der verfahrenen Situation in Trübsal zu verfallen. Doch allein schon das Plakat zur Egmont Inszenierung verdeutlicht eine andere Stimmung. Gezoomte Volksmassen bei einer Aloa-Welle vermitteln Dynamik und die Kraft der Masse.
Diese will Armin Petras mit Goethes Egmont aus dem Dauerschlaf erwecken, sie mobilisieren auf die Strasse zu gehen und das Wort zu erheben. In Anlehnung an die ukrainische Orange-Revolution vom vergangenen Winter steht die Farbe Orange im Zentrum dieser Inszenierung. Obwohl bereits seit 1 ½ Jahren in Planung, kommt sie mit ungeheurer Aktualität, in gekürzter und lebendiger Fassung, daher.

Egmont
schauspielfrankfurt
Georgia Stahl, Wolfram Koch

Entsprechend gegenwärtig die Kostüme von Annette Riedel und das Bühnenbild von Patricia Talacko.
Der Palast der Regentin ist beschränkt auf eine schmale Fläche vor einer schwarzen, mit vielen kleinen farbigen Spots versehenen Vorhangwand. Ein sphärischer und mächtiger Raum wird so erzeugt, die Spots wechseln ihre Intensität und ziehen das Publikum durch die Anstrahlung mit in den Bereich ihrer Autorität.
Klärchens bürgerliches Heim beschränkt sich auf eine kleine Schrebergartenhütte, deren Boden zudem mit Schlamm gefüllt ist. Sie steht vor dem Platz, dessen Fläche durch eine lange horizontale Mauer die durch zwei Tore unterbrochen ist, beschränkt ist.
Das am meisten beeindruckende Bild der Inszenierung ist das von Egmonts Wohnung: Die große Bühne offen, ein riesiger schwarzer Raum, in dessen rechter Ecke ein kleiner Wohnwagen steht. Statt ihn halb offen zu zeigen nutzt Petras eine Videokamera, die die Geschehnisse innen einfängt und auf einer überdimensionalen, auf zwei Seiten sich erstreckende Leinwand, wiedergibt. Intimität in die Größe projiziert. Innen sitzt anstelle Egmonts Geheimschreiber Richard die ungeduldig wartende Sekretärin Ricarda Vansen (Georgia Stahl). Zeit- und Societygemäß an einer Schreibmaschine (warum nicht gleich am Laptop?) mit Veuve Clicquot im Glas. Links vom Wohnwagen markieren blaue Leuchtpunkte am Boden eine Start-/Landebahn, Egmonts ruhelose Hast durch die Welt andeutend.
Einzig traditionell gehalten ist ein Bühnenprospekt, der Albas Wohnung im Culenburgischen Palast wiedergibt, ein Mix aus Angst einflößender Burg einer dunklen Macht, schweren Gewitterwolken und einer unbestimmten Landschaft mit Kirche und Wohngebäude. Geschickt umgesetzt ist auch die Gefängnisszene, in der erst Egmont vor einer Wellblechwand als Penner mit langen Bart und vollen Plastiktüten erscheint, allein und ausgegrenzt von seinem geliebten Volk. Mit reichlich Nebel, grünen Licht (Norman Plathe) und Beleuchtung von hinten verwandelt sich diese Wand in eine Gefängniswand mit typischen Stäben und konfrontiert Egmont mit dem Ende seiner Träume. So stirbt er, seine Ideale, bereits vor der eigentlichen Hinrichtung, die offen bleibt und nicht das Stück beendet. Die Rückwand des Torbogens zeigt spiegelverkehrt ein großes €-Zeichen und die Skyline Frankfurts. Die Macht des Geldes steht auch heute noch immer über dem Einzelnen. Aber dennoch sind auch dort kleine strahlende Sterne die auf den Menschen herunterleuchten und ihm zuwinken.
Das letzte Bild zeigt Brackenburg und Klärchens Mutter in trauter Zweisamkeit. Mit „as time goes bye“ hat sich hier ein glückliches neues Paar gefunden. Wenn es schon nicht  mit den Träumen klappt, wird das genommen was es gibt.

Die Männer zeigen sich in zeitgemäßen schicken Anzügen, Egmont dazu passend mit einer orangen Krawatte, Brackenburg in brauner UPS-Uniform. Mit einem eleganten, eng anliegenden glänzenden elfenbeinfarbigen Kleid drückt Frederike Kammer als Regentin Margarete von Parma Charisma, Stolz und Erhabenheit aus, auch ohne Krone (dafür mit der Sturmfrisur einer Marge Simpson). Die bürgerliche Welt von Klärchen und ihrer Mutter zeigt sich auch in ihrer Kleidung aus Leggins, Glitzerpullover und zerrissenem Jeansrock.
Klärchen (Nadja Dankers) ist nicht nur Egmonts warmherzige Geliebte, sondern auch eine Göre die sich mit ihrer exaltierten Art auch bestens im Big Brother Dorf einfinden würde, zur Freude der deutschen TV-Nation. Der Übergang von ihrer euphorischen Stimmung („Free Egmont“) zur Entscheidung für den Freitod geht zwar schnell, sie spielt das aber dennoch nachvollziehbar.
Mutter (Susanne Böwe) und Brackenburg (Gunnar Teuber) sorgen mit ihrer naiven Art für einige Lacher, ebenso die drei Bürger Brüssels Jetter, Zimmermann und Soest (Stefko Hanushevsky, Jan Neumann & Andreas Haase).

Die von unsrer heutigen Umgangssprache entfernte Sprache Goethes wird in dieser Inszenierung größtenteils im Originaltext wiedergegeben. Das das ganze dabei dennoch authentisch klingt ist dem hervorragenden Schauspielern zu verdanken, die die Texte lebendig mit viel Mimik präsentieren.
Als jovialer Egmont heimst Wolfram Koch den meisten Premierenapplaus ein, sicher auch als Ausdruck der Freude ihn mal wieder in Frankfurt zu sehen. Sein Egmont gleicht einem Gerhard Schröder, der die Größe eines Staatsmannes hat, aber dennoch ein gewöhnlicher Bürger geblieben ist, wenn er beispielsweise mit einer Pralinenherzpackung auf dem Lenker um Klärchens Hütte radelt.

Eine Sonderstellung nimmt das Volk ein, hier ein Laienchor von fast 40 DarstellerInnnen, die in einer gut 15minütigen Performance nicht nur ermahnen und zum Kampf aufrufen („Deutschland erwache“), sie singen und finden sich wie eine Sportmannschaft vorm Spiel zu einer eingeschworenen Truppe zusammen. Unter der Leitung von Faliou Seck sprechen sie Texte von Goethe, Schiller und Hölderlin zum Thema Mensch, Freiheit und Deutschland. Dazu auf der Leinwand Filmschnitte einer Deutschlandreise: Fachwerkhäuser, moderne Bauten, Alleen und immer wieder Autobahnen, das Auto als der Deutschen liebstes Kind.

“Auf Freiheit verzichten heißt aufs Menschsein verzichten“. Doch sind wir heute frei? Frei wovon? Frei wozu?
Egmont ist gescheitert, sowohl historisch als auch in der Aufarbeitung von Goethe. Für Petras ist Egmont aber ein Held der mehr ist als ein Denkanstoss. Wenn sich der Einzelne verschließt und sich zurückzieht, aus Angepasstheit schweigt und nur stumm sitzen bleibt, ändert sich freilich nichts.
„…wieso, weshalb, warum – wer nicht fragt bleibt dumm.“ heißt es schon seit über 30 Jahren in der Sesamstraße, die Mut macht zum Hinterfragen. Daran immer wieder erinnert werden ist heute dringender nötig denn je.

Markus Gründig, November 05