19. International DANCE Festival München: Die Bilanz

19. International DANCE Festival München: »This Body is Political.« Workshop- & Panel-Tag am 29. Mai 2025 im Lothringer 13 ~ Foto: Albert Vidal. Vertex Comunicacio

„You make me feel“ lautete das Festival-Motto. Und ja, DANCE hat tatsächlich in mehr als einer Hinsicht große Gefühle geweckt – und Erinnerungen, die bleiben werden.

Künstlerisch erfüllte das Programm klar die hohen Erwartungen. Im Vergleich zu früheren Ausgaben legte Tobias Staab den Schwerpunkt verstärkt auf das Performative und Installative, mit mehreren Inszenierungen, die sich frei im Raum entfalteten. Eine Bewegungsfreiheit im wörtlichen Sinne, die beim Publikum ausgesprochen gut ankam, angefangen bei dem entfesselten Ballet National de Marseille X (LA)HORDE mit The Master’s Tools am Eröffnungsabend und dem mythologisch aufgeladenen Duell Mensch gegen Maschine in François Chaignauds & Théo Merciers Radio Vinci Park über Jefta von Dinthers immersives Traum-Szenario AUSLAND und die DANCE X AKADEMIE mit Projekten von Studierenden der Akademie der Bildenden Künste bis zum enigmatisch-allegorischen TOTENTANZ – Morgen ist die Frage von Marcos Morau & La Veronal.

Weitere Highlights setzten Ligia Lewis mit ihren messerscharfen Gesellschaftsanalysen deader than dead zur Eröffnung und der performativen Installation steady now steady, beide im Haus der Kunst, die kraftvoll physischen, nackt performten Duette Repertório N.2 & Repertório N.3 von Davi Pontes & Wallace Ferreira sowie Ewa Dziarnowska mit ihrem intimen, berührenden Duett This resting, patience, das die reale Dauer von drei Stunden gefühlt auf maximal eine Stunde reduzierte.

Dass sich neue Horizonte genauso gut im gewohnten Gegenüber von Bühne und Zuschauerraum auftun können, bewiesen Marlene Monteiro Freitas und Dançando com a Diferença mit der inklusiven, im besten Sinne anarchischen Produktion ÔSS, das überschäumende Tanzfest von ZONA FRANCA von Alice Ripoll / Cia. Suave aus Brasilien, der glorreiche Solo-Abend Africa Simply the Best sowie der zeitlose, in seiner Perfektion schier unglaubliche Klassiker von Anne Teresa De Keersmaeker / Rosas, Fase, Four Movements to the Music of Steve Reich.

Bei einem Festival, das München im Titel trägt, versteht sich von selbst: Im Line-Up durften Künstler*innen nicht fehlen, die München besonders verbunden sind, darunter wie immer am Puls der Zeit Diego Tortelli & Miria Wurm mit ihrem naturwissenschaftlich informierten Duett über die Vernetzung TERRANOVA / hidden link, Richard Siegal mit der sensationellen Video-Installation art.Life im Kunstbau/Lenbachhaus, das Japanese Precision Walking mit Animationsfilm verschmolz, Trajal Harrell mit seiner einzigartigen Fusion von postmodernem Tanz und Voguing oder die offene Probe zu Moritz Ostruschnjaks Weltpremiere Cardboard Sessions, die den Streetdance in die Pinakothek der Moderne holt.

Last but not least lieferte das Rahmenprogramm reichlich Inspiration für Körper, Geist und Seele, darunter die beiden Artists’ Talks oder das Screening von Jenny Livingstons Dokumentarfilm-Klassiker Paris Is Burning als Einstimmung auf den umwerfenden Kiki Ball The Animal Kingdom, der die gesamte süddeutsche Ballroom-Szene nach München lockte. Abgerundet wurde die DANCE-Experience durch fünf Late-Night-Partys mit einem DJ-Line-up de luxe. Die Szene-Location Blitz Club diente gleichzeitig als Festivalzentrum, wo sich jeden Abend Künstler*innen, Team und Publikum feierten, trafen und verbanden.

Gemeinsam hatte dieses großartige Programm einen ganz besonderen, wertschätzenden Spirit. Den Ton setzte Tobias Staab mit seiner Eröffnungsrede am 22. Mai 2025 im Haus der Kunst. Schonungslos skizzierte er die Ausgangslage des Festivals: Kulturförderung, die als vermeintlicher Luxus zurückgefahren wird, der zunehmend prekäre Status von Künstler*innen, vor allem aber ein globales Ausmaß an Gewalt, Kriegen und Dystopie, das bis vor Kurzem noch unvorstellbar war.

Dazu Staab: „Die Nachrichten anzusehen, ist unerträglich geworden. Den Schmerz der anderen zu sehen und sich machtlos zu fühlen. Im Deutschen haben wir dafür ein interessantes Wort: in Ohn-Macht fallen. So fühlt es sich gerade an. Was können wir also tun? Als Kultureinrichtungen? Als Künstler*innen? Als Menschen? Wie können wir die Leute an den Schalthebeln der Macht dazu bringen, wieder Menschen zu sehen anstelle von Zahlen oder geopolitischen Strategien?

Lotte van den Berg, eine Freundin und meine Co-Regisseurin bei einem Opernprojekt an der Bayerischen Staatsoper neulich, hat diese Frage in einem wunderbaren Brief beantwortet, den sie dort verlesen hat. Sie hofft, dass wir alle wieder Menschen werden können. Denn es stimmt: Man ist nicht einfach so ein Mensch. Mensch-Sein ist vielmehr eine ständige Praxis, die wir jeden Tag üben müssen. Und damit etwas, was wir in der Kunst tun können.

Vor allem im Tanz und in der darstellenden Kunst, der Kunst der menschlichen Körper. Körper, die sich gemeinsam bewegen, sich in Beziehung zueinander setzen. Für DANCE haben wir uns vorgenommen, Momente der Zusammengehörigkeit zu schaffen. Gemeinschaft zu stiften. Das können wir, das kann die darstellende Kunst, tun. Das ist unsere Praxis. Dazu lade ich Sie ein: sich zusammen zu bewegen, den Raum zu teilen, Mensch zu werden nicht trotz, sondern wegen der Unterschiede, die wir um uns herum wahrnehmen.“

Und wie sie angenommen wurde, diese Einladung von Tobias Staab! DANCE wurde zum Statement, zur gelebten Praxis dieses Mensch-Seins. Das war während der 11 Festivaltage mit Händen zu greifen. Ein offenes, neugieriges, stark gemischtes und signifikant junges Publikum ließ sich begeistert ein auf das innovative, oft fordernde Programm. Und löste damit das zentrale Versprechen des Festivals ein: Menschen in ihrer ganzen Unterschiedlichkeit anzuerkennen und genau dadurch einander näherzubringen.

Wie dieses Zusammenkommen physisch und emotional funktioniert, demonstrierte fulminant das tagesfüllende Workshop- und Panel-Format This Body is Political. Eine Veranstaltung, die in nuce für das ganze Festival steht: Erwartet wurden etwa 30 bis 40, am Schluss waren es 150 Teilnehmende, die in bester Stimmung diskutierten, zu Mittag aßen und vor allem in den Movement Practices einen gemeinsamen Groove fanden.

Und jetzt? Alles vorbei? Zum Glück nicht ganz. Denn DANCE geht auch nach dem 1. Juni 2025 weiter. Nicht nur ist Richard Siegals grandiose Video-Installation art.Life bei kostenlosem Eintritt noch bis zum 15. Juni 2025 im Lenbachhaus / Kunstbau zu erleben. Mit Moritz Ostruschnjaks Cardboard Sessions folgt sogar noch eine echte Weltpremiere. In Kooperation mit DANCE findet sie am 28. Juni 2025 im Rahmen des Kunstareal-Fests in der Pinakothek der Moderne statt.

Mehr unter: dance-muenchen.de