Die 1970er sind zurück in Bad Vilbel. Nicht mit deutschen oder italienischen Schlagern, sondern mit den Hits der Bee Gees. Erstmals wird bei den Burgfestspielen das Disco-Musical Saturday Night Fever gespielt, das nicht zuletzt durch den gleichnamigen Kinohit aus dem Jahr 1977 bekannt ist (mit John Travolta als Tony Monero ). Wo im Kölner Musical Dome vom September 1999 bis Juni 2002 eine Musicalgroßproduktion eine glattpolierte und glitzernde Traumwelt mit großem Disco-Inferno vorführte, wird in Bad Vilbel die mehr am realen Leben orientierte Fassung des britischen Regisseurs Ryan McBryde gegeben (die erstmals im Winter 2013/14 im English Theatre Frankfurt zu sehen war). Bei aller Leidenschaft für den Tanz, um dem grauen Alltag zu entfliehen, zeigt diese keine heile Traumwelt. Hier sind Menschen aus einfachen Verhältnissen die es gewohnt sind, stets herumgeschubst zu werden („I’ve been kicked around since I was born“), die sozial benachteiligt sind und bei denen gilt „unter jedem Dach, ein Ach“. Sei es die Aussichtslosigkeit, zu Geld zu kommen, dem Lebenstraum der Eltern nicht zu entsprechen, um seinen eigenen Weg zu gehen, mit der sich wandelnden Gesellschaft mit vielen Zuwanderern und rivalisierenden Jugendclans klar zu kommen oder nicht die große Liebe zu finden. Die 1970er Jahre werden nicht glorifiziert, sondern mit ihren rauen Ecken und Kanten gezeigt (am krassesten, wenn sich Double J am Schluss einen goldenen Schuss spritzt und zusammenbricht). Aber keine Sorge, die unsterblichen Hits der Bee Gees kommen dennoch ausgezeichnet zur Geltung. Schließlich wartet die Besetzungsliste mit vielen talentierten SängerInnen und TänzerInnen auf.
Sascha Luder ist ein starker Underdog Tony Manero, mit großer Ausstrahlung, körperlicher Agilität (bis hin zum Spagat), erhabenem Pathos und einer Nuance an Überheblichkeit (hinter der sich die Unerfahrenheit und Unsicherheit eines 19-Jährigen verbirgt). Er glänzt mit seiner Stimme, die klasse Höhen erreichen kann. Die redlich in einem Agenturbüro in Manhattan arbeitende tanzbegabte Stepanie Mangano verkörpert selbstbewußt aber dennoch verletzbar Nathalie Parsa. Janice Rudelsberger ist die vergeblich in Tony verliebte Annette. Parsa wie Rudelsberger geben ihre Soli sehr emotional. Hitzig ist der Joey des Lukas Benjamin Engel, bravourös der schräge Double J. des Jürgen Brehm (mit artistischem Geschick). Aufgrund Erkrankung der Erst- und der Zweitbesetzung, ist Maximilian Nowak erst zur Generalprobe am Tag vor der Premiere zum Ensemble hinzugekommen (wie Intendant Claus-Günther Kunzmann vor Vorstellungsbeginn dem Publikum mitteilte). Den verzweifelten Bobby C gibt Nowak sehr authentisch wirkend. Für sein „Tragedy“ erhielt er großen Zwischenapplaus.
Dabei sind zudem: Oliver Fobe (als trinksüchtiger und arbeitsloser Vater Manero, strahlender DJ Monty und Tonys strenger Boss im Malergeschäft), Thomas Zimmer (als Tonys, von der Priesterweihe Abstand nehmender, Bruder Frank und Jay), Katia Bischoff (als Tonys kleine Schwester Linda und tanzstarke Maria), Fabian Rogall (als Ray und Tänzer Cesare) und Giulia Haas (als Shirley Charles). Besonders stark sind die zahlreichen Tanzszenen (Choreographie: Amy Share-Kissiov), die natürlich plakativ die legendären Saturday Night Fever-Mooves beinhalten. Das Ensemble harmoniert dabei sehr gut mit den Solisten. Mit seinem immensen Hüftschwung und hoher Beweglichkeit bei gleichzeitig guter Körperspannung sticht Tänzer Arthur Polle trotz kleinerer Rolle (Chester) stark hervor.
Einfache Bühnenkonstruktionen deuten das Zuhause der Moneros und von Stefanie, wie auch des Farbengschäfts und die Disco2000 an. Die Burgwände zieren vier Graffitibilder, die sich aufgeklappt zu einer glitzernden Discowand wandeln (Bühne: Elke König).
Bei den Kostümen hat Anja Müller ganze Arbeit geleistet: die 1970er Jahre leben mit Schlaghosen satt auf. Die für damals typischen Farbgebung und die Designs vermitteln einen passenden Retroeindruck.
Von hoher Qualität ist die musikalische Seite. Anders als im English Theatre gibt es keine „Actor-Musicans“, sondern eine Live-Band (Musikalische Leitung: Markus Höller) die nicht nur platt die Hits nachspielt, sondern eigene musikalische Akzente setzt. Zusätzlich ist ein Clubsängerduo (Sonja Herrmann, auch Mutter Flo, und Tobias Georg Biermann) beteiligt. Ihre Blues- und Souleinlagen sind dezent und effektiv eingebunden und sorgen zusätzlich für starke emotionale Momente.
Am Ende großer Jubel für die gelungene Interpretation des Song und Dance Spektakels (Dialoge auf Deutsch, Gesang auf Englisch) in der Regie vom erfahrenen Benedikt Borrmann.
Markus Gründig, Juni 19
Saturday Night Fever
Musical von: Robert Stigwood & Bill Oakes
Musik: The Bee Gees
Deutsche Dialoge: Anja Hauptmann
Premiere bei den Burgfestspielen Bad Vilbel: 13. Juni 19
In der neuen Version von Ryan McBryde
Regie: Benedikt Borrmann
Musikalische Leitung: Markus Höller
Choreographie: Amy Share-Kissiov
Bühne: Elke König
Kostüme: Anja Müller
Produktionsdramaturgie: Angelika Zwack
Besetzung:
Tony Manero: Sascha Luder
Stepanie Mangano: Nathalie Parsa
Annette: Janice Rudelsberger
Flo/Clubsängerin: Sonja Herrmann
Clubsänger: Tobias Georg Biermann
Frank Manero sen./Monty/Mr. Fusco: Oliver Fobe
Bobby C: Maximilian Nowak Krisha Dalke
Joey: Lukas Benjamin Engel
Double J.: Jürgen Brehm
Frank Manero jr./Jay: Thomas Zimmer
Linda/Maria: Katia Bischoff
Ray/Cesare: Fabian Rogall
Chester: Arthur Polle
Shirley Charles: Giulia Haas
Live Band Saturday Night Fever:
Keyboard: Markus Höller, Antonia Keßler
Bass: Harold Nardelli
Drums: Valery Brusilovsky
Gitarre: Steffen Ahrens
Reed: Jens Hunstein, Andreas Pompe
Trompete: Markus Privat
Posaune: Stephan Schlett, Uwe Dierksen
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