Ich bin es leid: »Phädra, in Flammen« am Schauspiel Frankfurt

Phädra, in Flammen ~ Schauspiel Frankfurt ~ Persea (Lotte Schubert), Phädra (Anna Kubin) ~ Foto: Jessica Schäfer

Im patriarchalischen Altertum und der Antike gab es zahlreiche starke Frauen. So wie beispielsweise Artemisia, Atalanta oder Nofretete. Phädra zählt nicht zu ihnen, auch wenn ihr Name heute vielen bekannt ist. Sie war der griechischen Mythologie nach die zweite Gattin von Theseus (Königs von Athen und Bezwinger des Minotaurus). Durch Aphrodite verzaubert, verliebt sie sich in ihren Stiefsohn Hippolytos und brachte sich schließlich um.

Ihre tragische Geschichte wurde von der Antike bis zur Gegenwart literarisch vielfach bearbeitet. In Frankfurt/M zeigte zuletzt in 2021 das mädchen*theater an den Landungsbrücken Frankfurt Phaidras Liebe von Sarah Kane. In den Kammerspielen inszenierte Oliver Reese in 2009 Jean Racines Tragödie Phädra. Dort stellte sich jetzt der Regisseur Max Lindemann mit einer neuen Überschreibung des Phädra-Mythos vor: Phädra, in Flammen. Sie stammt von der georgisch-deutschen Theaterregisseurin, Dramatikerin und Romanautorin Nino Haratischwili (aktuell auch Trägerin des Literaturpreises „Stadtschreiber von Bergen“).

Phädra, in Flammen
Schauspiel Frankfurt
Acamas (Mitja Over), Panopeus (Andreas Vögler), Theseus (Sebastian Kuschmann), Demophon (Miguel Klein Medina)
Foto: Jessica Schäfer

Text zwischen Antike und Moderne

Bei ihrer Bearbeitung des Stoffes hat Nino Haratischwili eine neue Figur hinzugefügt. Persea, die künftige Frau des Königssohns Demophon. Persea ist es, die Phädra in den Grundfesten berührt und zum Liebesglück führt. Inspiriert zum Thema gleichgeschlechtliche Liebe wurde Nino Haratischwili durch homophobe Vorfälle in ihrer georgischen Heimat (die zudem von der Orthodoxen-Kirche unterstützt wurden).

Ihr gutes Gespür für eine konziliante Sprache kommt bei Phädra sehr schön zur Geltung. Einerseits im Klang durchaus an die Antike anspielend, ist sie doch modern und zeitgemäß. Gleiches gilt auch für die Kostüme von Eleonore Carrière. Grundsätzlich modern, aber dann doch mit Strukturen und Falten versehen, die einen antiken Bezug vermitteln.

Auf der Suche nach dem inneren Frieden

Zu Beginn und am Ende steht die Vorderhälfte eines Kleinwagens auf der Bühne. Scheinbar gab es einen Unfall, er weist Dellen auf und die Warnleuchten blinken. Ein treffendes Bild für Phädras gescheiterten Weg in die Freiheit. Diese erscheint traumwandlerisch mit würdevollem Gang und Ausdruck. Anna Kubin gibt sie einfühlsam, kämpferisch, resignierend und stets Stärke bewahrend. Sie spricht ausführlich über all das, was sie seit langem belastet und nun ihrem Theseus sagen will: Sie ist es so leid, so unendlich leid, es ist ihr Recht, ihr Ich zurückzufordern und nicht nur Beiwerk, Schmuckstück, nichts Richtiges, Ganzes zu sein. Ein neues Leben kann sie sich nicht wirklich vorstellen, sie will nur ihre Ruhe, ihren inneren Frieden finden. „In Flammen“ dient in Georgien als Begriff für die weiblichen Wechseljahre.

Dass es dann ausgerechnet Persea (insistierend: Lotte Schubert) die Schwiegertochter in spe ist, die ihren Schutzpanzer aufbricht, hat sie wohl am wenigsten erwartet. Schließlich sind da ja auch noch andere im Spiel. Wie ihr Göttergatte Theseus (freundlich, dennoch autoritär: Sebastian Kuschmann), der allem Gerede zum Trotz, seine Position als König partout nicht aufgeben will (bis er schließlich „von den Göttern“ dazu gedrängt wird).

Höchst unterschiedlich sind die erwachsenen Kinder. Der sehr von sich überzeugte Erstgeborene Demophon (selbstbewusst: Miguel Klein Medina) ist diszipliniert, gehorsam und zuverlässig. Aus einem scheinbar starren Männerbild fällt der sensible und zart wirkende Acamas (als vielseitiger Außenseiter: Mitja Over), der schon äußerlich im Faltenrock auffällt, gerne mal einen Joint raucht und sich besser mit Tieren als mit Menschen versteht (die Mutter einmal ausgenommen). Perfide ist der Hohepriester Panopeus (auftrumpfend: Andreas Vögler), der unter dem Deckmantel des Glaubens seine eigenen Probleme (Verleugnung seines Sexualtriebs und mangelnde Anerkennung) nicht nur kaschiert, sondern auch manipulativ seine Macht ausspielt.

Viel Kulisse gibt es nicht, bedarf es bei dem intensiven Spiel aber auch nicht. Eine große runde Spielfläche mit Marmordesign vermittelt einen leichten antiken Bezug. Dazu ein Vorhang und eine Art Bluescreen, mehr bedarf es nicht. Später vermitteln Pflanzen und ein Erdhügel eine Außenatmosphäre (Bühne: Signe Raunkjær Holm). Dezente Musik (auch Max Lindemann) untermalt das Geschehen.

Am Ende hat sich Panopeus durchgesetzt, das pharmakós-Ritual (Menschenopfer) wird wieder eingeführt. Ob Persea das erste Opfer ist, das von Hunden gehetzt und inmitten einer Menschenmenge zerrissen wird, wird in dieser Inszenierung nicht explizit ausgesprochen. Im Schlussbild sitzen Phädra und Persea jedenfalls angeschmiegt im Auto, vielleicht ist dies aber auch nur ein Traum von Phädra.

Lang anhaltender Applaus.

Markus Gründig, März 24


Phädra, in Flammen

Von: Nino Haratischwili (* 1983)

Uraufführung: 25. Mai 2023 (Berlin, Berliner Ensemble/Ruhrfestspiele Recklinghausen)

Premiere am Schauspiel Frankfurt: 15. März 24

Regie und Musik: Max Lindemann
Bühne: Signe Raunkjær Holm
Kostüme: Eleonore Carrière
Dramaturgie: Lukas Schmelmer

Besetzung:

Demophon: Miguel Klein Medina
Phädra: Anna Kubin
Theseus: Sebastian Kuschmann
Acamas: Mitja Over
Persea: Lotte Schubert
Panopeus: Andreas Vögler

schauspielfrankfurt.de