Appell gegen das Schweigen: Kammeroper »Weiße Rose« am Staatstheater Mainz

Weiße Rose ~ Staatstheater Mainz ~ Sophie (Alexandra Samouilidou), Hans (Gabriel Rollinson) ~ © Andreas Etter
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Der Aktivismus der Widerstandgruppe Weiße Rose gegen die NS-Diktatur und zur Beendigung des Krieges hat Geschichte geschrieben. Ihrer wird bis heute gedacht und die Rezeption ist groß. Dazu zählt die Kammeroper Weiße Rose von Udo Zimmermann. Er wurde im Jahr der Hinrichtung der Geschwister Scholl geboren. In seinen jungen Jahren war er Mitglied des Dresdner Kreuzchores, später dann Dramaturg, Lehrbeauftragter, Professor und Intendant (Oper Leipzig und Deutsche Oper Berlin). Er dirigierte alle großen europäischen Orchester und war Gastdirigent an großen Opernhäusern. Bei alledem engagierte er sich auch organisatorisch in die Verbreitung neuer Musik.

Dramaturgie des „inneren Theaters“

Seine ersten beiden Fassungen der Weiße Rose hatten mehr einen dokumentarischen Handlungsrahmen. Ganz anders seine Neufassung von 1986. Sie entstand als Auftragswerk der Hamburgischen Staatsoper und folgt einer Dramaturgie des „inneren Theaters“. Im Mittelpunkt der sechzehn Szenen stehen die Gefühle und Gedanken von zwei Menschen in Grenzsituationen ihres Lebens, in existentieller Not. Klugheit, Sensibilität und menschliche Reife zeichnen sie aus. Die Oper ist eine Ermutigung, die eigene Stimme gegen Machtmissbrauch zu erheben. Musikalisch und thematisch ist sie durchaus fordernd.

Weiße Rose
Staatstheater Mainz
Sophie (Alexandra Samouilidou)
© Andreas Etter

Die Geschwister Hans und Sophie Scholl werden darin nicht heroisiert. Die Handlung spielt im Münchner Gefängnis Stadelheim, eine Stunde vor ihrer Hinrichtung (am 22. Februar 1943). Das Libretto entstand aus Tagebuchaufzeichnungen, Bibelzitaten und Psalmversen sowie Texten von „Zeitzeugen“, wie des Theologen Dietrich Bonhoeffer, des polnischen Schriftstellers Tadeusz Różewicz und des Schriftstellers Franz Fühmann. Es handelt in Monologen und Dialogen von Rückblenden (wie Fronterlebnisse, Kinder in Deportation), Traumerzählungen und Erinnerungen (an Natur, Eltern, Freunde).

Hautnah dabei

Das Staatstheater Mainz zeigt die Oper in der Spielstätte U17. Dort hat das Publikum eine unmittelbare Nähe zu Darstellern und Musikern, ist quasi hautnah dabei. Im linken Bereich vor der steil ansteigenden Zuschauertribüne befindet sich eine quadratische Fläche mit schwarzen Wänden als schlichtes und gleichsam effektives Bild für die Gefängniszelle. Sie hat nach rechts offene Rahmen. Dort sitzen die Musiker (Bühne: Lisa Moro).
Gleich zu Beginn fallen unzählige zusammengeknüllte Flugblätter herab, ein Meer der Erinnerungen für die beiden. Regisseur Maximilian Eisenacher vermittelt die letzte Stunde von Hans und Sophie, eindringlich fokussiert auf die inneren Konflikte der Geschwister.

Weiße Rose
Staatstheater Mainz
Hans (Gabriel Rollinson)
© Andreas Etter

Die mit ihren exaltierten Spitzentönen überaus fordernde Partie der Sophie gibt die griechische Koloratursopranistin Alexandra Samouilidou mit Bravour. Ihre große Erfahrung als Sängerin bringt sie auch darstellerisch mit einer fast tänzerischen Leichtigkeit ergreifend ein.

Sophies sich ohnmächtig und gleichgültig fühlenden Bruder Hans vermittelt der gebürtige Engländer (deutscher und amerikanischer Abstammung) Gabriel Rollinson deutlich. Der Bariton wirkt mit seiner balsamisch tiefgründigen Stimme gleichsam wie ein ruhender Pol.

Vielseitig gibt sich das Philharmonisches Staatsorchester Mainz unter der Leitung von Kapellmeister Paul-Johannes Kirschner. Die aufgefächerten Klänge geben einen weiten Raum für Assoziationen. Dabei wird statt mit den eigentlich vorgesehenen 15 Musikern mit nur sieben gespielt (so fehlen u. a. Trompete, Posaune, Harfe und Kontrabass). Darunter ragen besonders die Musikerin am großen und umfangreichen Schlagwerk und der Flötist heraus (im Programmheft nicht namentlich genannt).

Am Ende der einstündigen Aufführung langanhaltender und intensiver Applaus für diese intensive und eindringliche Mahnung gegen die Gleichgültigkeit.

Markus Gründig, März 24


Weiße Rose

Szenen für zwei Sänger und 15 Instrumentalisten

Von: Udo Zimmermann (1943–2021)
Libretto: Wolfgang Willaschek
Uraufführung 1. Fassung (Die Weiße Rose; „Ein Stück für Musiktheater“, Text: Ingo Zimmermann): 17. Juni 1967 (Dresden, Opernstudio der Dresdner Musikhochschule)
Uraufführung 2. Fassung (Weiße Rose; erweitert um zwei Szenen): 6. Oktober 1968 (Schwerin)
Uraufführung 3. Fassung (Weiße Rose): 27. Februar 1986 (Hamburg, Hamburgische Staatsoper ~ Opera stabile)

Premiere am Staatstheater Mainz: 13. März 24

Musikalische Leitung: Paul-Johannes Kirschner
Inszenierung: Maximilian Eisenacher
Bühne: Lisa Moro
Kostüme: Antonia Hilchenbach
Dramaturgie: Sonja Westerbeck
Theatervermittlung: Rebekka Gebert

Besetzung:

Sophie: Alexandra Samouilidou
Hans: Gabriel Rollinson

Philharmonisches Staatsorchester Mainz

Weitere Vorstellungstermine: 29.3., 14.4., 7.5.

staatstheater-mainz.de