Sarah Kanes »Phaidras Liebe« an den Landungsbrücken Frankfurt

Phaidras Liebe ~ Landungsbrücken Frankfurt ~ Phaidra (Daniela Fonda), Hippolytos (Ole Bechtold) ~ © Tayfun Selcuk
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Gerne werden Dramen der Antike für die Moderne adaptiert. Schließlich sind die zugrunde liegenden menschlichen Konflikte heute nicht grundsätzlich anders als damals und bieten viel Potenzial für spannende Geschichten. Auch die britische Dramatikerin Sarah Kane griff für ihr zweites Stück, Phaidras Liebe, auf eine Vorlage der Antike zurück. Auf Der bekränzte Hippolytos des griechischen Dramatikers Euripides, mit dem dieser den 1. Preis der Dionysien des Jahres 428 v. Chr. gewann.

Ähnlich wie in Zerbombt gibt es auch hier allerhand vulgäre Worte (die meist im Zusammenhang mit Sex stehen), Vergewaltigungen und körperliche Verstümmelungen (wie Genitalien, die vom Körper abgeschnitten und auf den Grill geworfen werden). Dennoch dreht sich alles um Kanes großes Thema: die Liebe. Hier in ihren Extremen zwischen totaler Selbstaufgabe und totalem Selbsterhalt, zwei Extreme, die sich letztlich gegenseitig bedingen. Am Ende zählt, dass jeder selbst für sein Handeln verantwortlich ist.

mädchen*theater im Rahmen der Werkreihe 20.21 KANE innen.

Phaidras Liebe ist jetzt im Rahmen der Werkreihe 20.21 KANE innen. bei den Landungsbrücken Frankfurt zu sehen. Die Werkreihe ist nicht nur ob des kühnen Vorhabens, sämtliche Stücke Sarah Kanes zu zeigen, außergewöhnlich, sondern auch dadurch, dass jede Produktion von einer anderen freien Theatergruppe inszeniert wird. Für Phaidras Liebe zeichnet mädchen*theater verantwortlich. Regisseurin Meike Hedderich lässt die acht Szenen des Stücks fast komplett spielen. Lediglich eine Handvoll Regieanweisungen werden rezitierend vorgetragen (mit deutlichem Verweis auf die Sarah Kane Gesamtausgabe des Rowohlt Taschenbuch Verlags). Ausstatterin Sarah Sauerborn verwendet für ihr karges Bühnenbild eine Leinwand auf einem drehbaren Podest und einen Sitzsack (als Bild für Hippolytos´ Sofa im Königspalast). Die Leinwand ermöglicht Schattenspiele, wie für des Königssohns Masturbation aus Langeweile oder für die aufgebrachte Volksmenge vor dem Gerichtsgebäude.
Die Kostüme unterstützen den Charakter der Figuren. Phaidra trägt auf High Heels nicht nur einen großmaschigen Reifrock, der mit seiner Offenheit ihre sexuelle Begierde widerspiegelt, auf ihrem Kopf ruht ein abstraktes Gebilde aus zahlreichen Dreiecken. Klar ist, dass sie sich nicht um den Satz des Pythagoras kümmert, sondern ihr Gefühlschaos kontrollieren muss. Illuster ist auch der Kopfschmuck ihrer aufgeschlossenen Tochter Strophe, ein Haarreif aus zwei Dutzend nackter Frauenbeine wie eine Girlreihe einer Showrevue. Ein Fettanzug verleiht dem Prinzen etwas mehr Volumen.

Daniela Fonda besticht in der Titelrolle

Konzentriert, gefasst und bemüht, ihre Contenance zu wahren, ist die Phaidra der Daniela Fonda. Sie besticht mit großer Intensität. Selbst in der Erniedrigung behält sie sich ihre königliche Würde, auch wenn sie kurz vorm Zerplatzen zu stehen scheint. Anders als Euripides, der Phaidras Besessenheit zu ihrem Stiefsohn als einen Zauber von Aphrodite darstellt, nimmt Kane ihn einfach als gegeben an, als pures Bildnis der menschlichen Gier.
Stiefsohn Hippolytos (Ole Bechtold) ist hier ein sehr rational, stets klar denkender und zynischer Mensch, weniger ein vulgärer oder verkommener. Er weiß um seine starke Wirkung auf seine Umwelt und wie er ihr verbale Messerstiche punktgenau zu erteilen hat.
Florian Stamm versucht mit Enthusiasmus als Arzt mit Stirnleuchte Hippolytos´ Problem auf den Grund zu gehen, kann aber keine körperlichen Schäden feststellen und nur ernüchternd mitteilen, dass nur er allein sich helfen kann. Léa Zehaf, die auch in groß In Her Face oder Die Autorin ist tot zu erleben ist, gibt mit viel Empathie die besorgte Tochter und Schwester Strophe, Andreas Gießer den mahnenden und ebenfalls Hippolytos verfallenen Priester (auf Kohorten). Theseus erscheint als Videoeinspielung (ebenfalls Ole Bechtold).

Am Ende der einstündigen Aufführung viel Applaus, der bei diesem von Sarah Kane ins Groteske gezogenen Liebeskonflikt wesentlich befreiter kommt, als nach dem unheilvollen Zerbombt.

Markus Gründig, August 21

Die Werkreihe wird im September mit Gesäubert, Gier und 4.48 Psychose fortgesetzt.


Phaidras Liebe

(Phaedras’ Love)

Von: Sarah Kane

Uraufführung: 15. Mai 1996 (London, Gate Theatre)
Deutschsprachige Erstaufführung: 22. April 1998 (Bonn, Theater Bonn)

Premiere bei den Landungsbrücken Frankfurt: 17. August 21
Produktion von mädchen*theater im Rahmen von 20.21 KANE innen.

Regie: Meike Hedderich
Ausstattung: Sarah Sauerborn
Musik: Ortrun Sommerweiß
Dramaturgie: Mareike D. Osenau

Besetzung:

Hippolytos: Ole Bechtold
Arzt: Florian Stamm
Phaidra: Daniela Fonda
Strophe: Léa Zehaf
Priester: Andreas Gießer
Theseus: Ole Bechtold

Weitere Termine: 18.08.//19.08.2021.//04.02.2022, jeweils 20:00 Uhr

landungsbruecken.org / 2021kane-innen.de