Starker Sarah Kane Werkschau Auftakt von Landungsbrücken Frankfurt mit »In Her Face oder Die Autorin ist tot«

In Her Face oder Die Autorin ist tot ~ Landungsbrücken Frankfurt ~ Léa Zehaf und Antigone Akgün ~ © Christian Schuller

Nicht ohne Grund sind Werke der britischen Dramaturgin Sarah Kane regelmäßig in den Spielplänen vertreten. Wäre sie nicht schon 1999 freiwillig aus dem Leben geschieden, hätte sie diesen Februar ihren 50. Geburtstag feiern können.

Die Landungsbrücken Frankfurt zeigen jetzt in Koproduktion und Kooperation mit fünf freien Theatergruppen sechs Stücke von und zu Sarah Kane. Dazu gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm. Das ambitionierte Projekt wird im Februar 2022 mit dem 20.21 KANE innen Festival abgeschlossen.

Kane war mehr als eine von der Kritik zunächst verachtete, später hoch gelobte Dramatikerin. Lange litt sie unter der noch immer nahezu totgeschwiegenen Volkskrankheit Depression.

Als Umrahmung kann das erste Stück In Her Face oder Die Autorin ist tot gesehen werden. Es ist eigens für die Landungsbrücken Frankfurt entstanden. Es geht der Frage nach, wer war Sarah Kane?
Die Dramatikerin, Dozentin, Feministin, Intellektuelle und Regisseurin wird in ihrer komplexen Art und Weise von verschiedenen Blickwinkeln aus betrachtet. Zitate aus ihren fünf Dramen vermitteln darüber hinaus einen Bezug zu ihr.
Antigone Akgün, Hannah Schassner und Léa Zehaf haben zunächst viele unterschiedliche Textmaterialien geschrieben und zusammengetragen. Hannah Schassner erstellte daraus eine zweistündige Bühnenfassung für zwei Darstellerinnen. Wie die Schauspielerin Léa Zehaf in dem auf die Premiere folgenden Livestream-Talk mit Melli auf YouTube (youtu.be) mitteilte, wurde über acht Wochen lang geprobt. Es hat sich gelohnt! Entstanden ist ein dichter, nie langweilender facettenreicher Abend, der, wohl auch ganz im Sinne Sarah Kanes, den Zuschauer den Blick immer wieder auf sich selber richten lässt.

Der Stücktitel nimmt Bezug zu IN YER FACE, ein in den 1990er-Jahren sich etablierender Begriff für britische GegenwartsdramatikerInnen, die mit Brutalität und Vulgärem nicht geizten und die direkte Konfrontation mit dem Publikum suchten. Landungsbrücken geben deshalb eine Triggerwarnung an die Zuschauer („Diese Inszenierung behandelt Themen sexualisierter, physischer und psychischer Gewalt und Suizid. Dies kann von einigen Zuschauer*innen als beklemmend empfunden werden.“).

Während das Publikum Platz nimmt, sitzen die beiden Darstellerinnen Antigone Akgün und Léa Zehaf bereits auf einem Podest, getrennt von einer Plexiglasscheibe, betrachten ihr eigenes Ich. Dazu läuft eine Instrumentalversion von Whitney Houstons „I Will Always Love You“. Das mag vielleicht zunächst irritierend wirken, doch Sarah Kane hatte viele Facetten. Ihre Stücke handeln nicht nur von Blut, Gewalt und Schmerzen, sondern auch von Liebe.

Unter der Regie von Hannah Schassner lassen Antigone Akgün und Léa Zehaf die ZuschauerInnen in die komplexe Figur und Welt der Sarah Kane eintauchen. Sie zeigen sie in Höhen und Tiefen beim Arbeiten an der Schreibmaschine, in Selbstreflexion auf der Couch beim Therapeuten, bei einem Symposium zur Autorschaft und in ihrer Einsamkeit (Bühne: Anna Hasche). Mosaikartig ergibt sich ein Bild, wächst Anteilnahme und mitunter wird gar gelacht. Die Popsongs „It’s Raining Men“ (The Weather Girls) und „Baby One More Time“ (Britney Spears) unterbrechen die stets im Wechsel gesprochenen Texte, freilich nicht ohne Bezug zu Kane („hit me“ beispielsweise in Zusammenhang mit der Gewaltthematik). Gleich gekleidet, betonen Akgün und Zehaf bei den mehrfachen Kleiderwechseln auch weibliche Aspekte in Bezug auf Sarah Kane (Kostüm: Marijke Wehrmann).

Am Ende viel Applaus für diesen intensiven und starken Auftakt der Werkschau.

Markus Gründig, August 21


In Her Face oder Die Autorin ist tot


Stückentwicklung für die Landungsbrücken Frankfurt

Von: Hannah Schassner / Léa Zehaf / Antigone Akgün

Premiere/Uraufführung am Theater Landungsbrücken Frankfurt: 4. August 21
Besuchte Vorstellung: 5. August 21

Regie: Hannah Schassner
Dramaturgie: Julius Ohlemann
Kostüm: Marijke Wehrmann
Bühne: Anna Hasche
Sounddesign: Thomas Buchenauer
Fotos: Christian Schuller
Technik: Nina Koempel
Assistenz: Emily Hirsch

Mit: Antigone Akgün & Léa Zehaf

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