Wilke Weermanns temporäres Kammerspiel »Alle Zeit der Welt« am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt

Alle Zeit der Welt ~ Sandra (Tanja Merlin Graf) ~ Foto: Robert Schittko
kulturfreak Bewertung: 4 von 5

Vor zwei Jahren stellte sich der Autor und Theaterreggiseur Wilke Weermann erstmals am Schauspiel Frankfurt vor. Die Uraufführung seines Stücks Unheim, ein Auftragswerk des Schauspiel Frankfurt, inszenierte er im Oktober 2022 selbst. „Mit der urkomischen Dystopie schrieb er ein durchaus gegenwärtiges Stück über Gefahren der Digitalisierung“ (Rita Thiele anlässlich der Verleihung des Kurt-Hübner-Preises für Regie 2023).

Sein neuestes Stück Alle Zeit der Welt schrieb Weermann im Rahmen der Autor:innenförderung (Deutsche Bank Stiftung) auch extra für das Schauspiel Frankfurt, an dem er es auch jetzt inszenierte.

Darin widmet er sich dem universellen Thema „Zeit“ und die Rätsel, die sie uns bereitet. Der Titel suggeriert, dass wir viel Zeit haben. Die Realität zeigt, dass wir der Zeit eher hinterherrennen. Aber was ist überhaupt Zeit? Ist sie Gegenwart, Vergangenheit und/oder Zukunft?

Zeit ist mehr als nur die Uhrzeit und eine physikalische Größe. Lässt sie sich beherrschen? Oder ist sie gar eine Illusion? Was wäre, wenn Zeitreisen möglichen wären? Kämen wir damit klar, wenn Erinnerungen Zukunft und Folgen Ursachen wären?

Was sich theoretisch anhört, ist in der szenischen Umsetzung in den Kammerspielen des Schauspiels Frankfurt eine unterhaltsame Angelegenheit.

Alle Zeit der Welt
Schauspiel Frankfurt
Ensemble
Foto: Robert Schittko

In der Kleinpension Schwartz erscheinen kurz vor der Milleniumwende ungewöhnliche Urlaubsgäste. Zudem tauchen noch ein Agent der Kontinuitätskontrolle und der Inhaber der Zeitreiseagentur Angelus Novos („Neuer Engel“) auf. Es herrscht ein hohes Maß an Nervosität und Unsicherheit, denn der Millennium-Bug (Y2K-Bug) droht die ganze Welt ins Unheil zu stürzen.

Insbesondere die Inhaberin ist besorgt. Während ihres ungeduldigen Entgegenfieberns von drohendem Unheil, ruft sie vom Wandtelefon aus wiederholt die Zeitansage an. Letztere existiert übrigens auch heute noch (unter neuer Nummer und für 20 Cent/Verbindung aus allen deutschen Netzen). Dazu zieht eine seltsame Gruppe Zeitreisender durch die Räume.

Die große Wohnstube mit Fenster zur Küche, in der Unmengen von Konserven lagern, ist eine Reminiszenz an die späten 1990 Jahre, mit einer pinken Tisch-/Stuhlgruppe und pink-farbenen Wänden (Bühne und Kostüme: Johanna Stenzel). Die skurril anmutende Szenerie wird durch Auf- und Abtritte durch den Kamin verstärkt. Der Pension vorgelagert ist ein schmaler, dunkelblau gehaltener Streifen, der für die Zukunft steht (mit einer blinkenden Schalttafel zur Linken).

Der Name der Inhaberin, Kassandra Schwartz, kurz Sandra, kommt nicht von ungefähr. In der griechischen Mythologie steht Kassandra für eine Person, deren Warnungen von anderen ignoriert werden. Tanja Merlin Graf gibt sie erhaben und mit viel Coolness. Ihr Mann ist Apolion, kurz Polli, frei nach dem griechischen Gott des Lichts und der Künste: Apollo (gut gelaunt: Wolfgang Vogler). Erst später wird aufgedeckt, dass er mehr auf dem Kasten hat, als zunächst angenommen.

Mit trockenem Humor gibt sich ein Frauenpärchen, das die häusliche Nähe an einem Atomkraftwerk sicherheitshalber verlassen hat und sich nun in der Pension einquartiert hat. Die ihre Freiheit verteidigende Mariam (distinguiert: Katharina Linder) und die sich eine engere Beziehung wünschende Clara (mit Komik sich von ihrer reifen Seite zeigend: Annie Nowak).
Unterschiedliche Interessen vertretend die Agenten Andersson (forsch: André Meyer) und der sich auf Kundenfang befindende Agent Schmidt (ausgebufft: Sebastian Reiß).

Am Ende der Premiere/Uraufführung gab es lang anhaltenden Applaus.

Markus Gründig, September 24


Alle Zeit der Welt

Temporäres Kammerspiel
Von: Wilke Weermann

Premiere/Uraufführung am Schauspiel Frankfurt: Freitag, 20. September 24 (Kammerspiele)

Regie: Wilke Weermann
Bühne & Kostüme: Johanna Stenzel
Musik: Constantin John
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Licht: Tobias Lauber

Besetzung:

Sandra (Kassandra Schwarz): Tanja Merlin Graf
Polli (Apolion) Schwartz: Wolfgang Vogler
Mariam: Katharina Linder
Clara: Annie Nowak
Agent Andersson: André Meyer
Agent Schmidt: Sebastian Reiß

Zeitreisende: Maja Friedrich, Tainah Jopp, Christian Raab, Thomas Wüst, Donna Zielinski

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